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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Antipathie des Mädchens gegen Vroni immer stärker geworden; letztere versuchte
es in Abwesenheit Haralds, mit Edles eine" neuen Verkehr anzuknüpfen, mußte
ihn aber aufgeben, da Edles aus ihrer Abneigung gegen Vroni kein Hehl
machte. So kam es, daß auch, wenn die Möglichkeit des Verkehrs gegeben war.
Harald und Vroni einander meiden mußten.

Harald hatte immer gefürchtet, daß Vrouis Name eines schönen Tages
ans dem Theaterzettel prangen würde, und das war der einzige Grund, wes¬
halb er mit fieberhafter Hast jeden Morgen die Zeitungen aus Berlin erwar¬
tete. Allein auch Vroni kämpfte noch immer mit sich selbst, und da sie selber
insbesondre in Rücksicht auf ihren Vater zu keinem Entschlüsse kommen konnte,
so wurde sie Fatalistin und wartete mir auf die Gelegenheit, die sie zur Ent¬
scheidung drängen würde. Denn bei Herrn Keller wurde seine philosophische
Erziehungsmethode immer mehr zur Manie, und Vroni sah mit Schrecken, wie
ihr Vater täglich mehr alles Interesse für sie und die Außenwelt verlor und
sich lediglich mit seinem Kinderasyl beschäftigte. Sie mußte einen lebendigen
Verkehr im Hause aufrecht erhalten, um gewaltsam den Vater von seinen
philosophischen Träumereien abzulenken, und sie sah, daß so lange sie im Hanse
bleiben würde, ihr dies Werk auch gelingen würde. Wohl dachte sie zuweilen an
Harald, aber mehr wie an ein Glück, das in der Vergangenheit lag, als das in
der Zukunft winkt. Sie verübelte es ihm, daß er so leicht den Kampf um sie
aufgab, und daß seine Kunst ihm teurer schien als sie selbst, und doch, wenn
sie wieder an die Stunden dachte, welche sie in seiner Gesellschaft verlebt hatte,
dann überkam es sie oft, daß sie sich nur durch Thränen Luft machen konnte.
Zwar war es ihr nicht zweifelhaft, daß nach ihrer letzten Äußerung der Freund
auf das erlösende Wort von ihr hoffen mußte, daß es nur an ihr lag, um
ihn zu dem Glücklichsten aller Menschen zu machen. Aber auch sie? Würde
auch sie das Glück an seiner Seite finden? Sollte sie gegen den Ruf taub sein, den
sie unwiderstehlich in ihrer Brust zu hören glaubte? Und indem sie so hin-
und herschwankte, glaubte sie, daß auch ihr einmal, wie es bei Harald geschehen,
das Schicksal die Stirnlocke hinreichen würde, an der sie es dann ergreifen
und für immer an sich fesseln wollte.

Die Arbeit auf Schloß Jscnstein ging infolge der gut getrosfnen Vorarbeiten
und sorgsam gemachten Entwürfe schneller von statten, als man erwartet hatte.
Zu Weihnachten hatte sich Graf Klodwig verlobt; die Hochzeit war auf die Zeit
nach dem Osterfeste bestimmt, und es lag in dem Wunsche des Besitzers, die
junge Gemahlin in das fertige Stammschloß der Ahnen einzuführen. Harald
mußte sich deshalb verstärkte Hilfe c>us Berlin holen, und so wurde der Zyklus
der Freskomalereien zur höchsten Zufriedenheit des Bestellers schon mit dem
Ausgange des Winters vollendet.

Im April konnte Harald wieder nach Berlin übersiedeln; aber er durfte
die Früchte seines Fleißes nicht genießen und auch an den Beginn einer neuen


Auf dem Stilfser >ch-

Antipathie des Mädchens gegen Vroni immer stärker geworden; letztere versuchte
es in Abwesenheit Haralds, mit Edles eine» neuen Verkehr anzuknüpfen, mußte
ihn aber aufgeben, da Edles aus ihrer Abneigung gegen Vroni kein Hehl
machte. So kam es, daß auch, wenn die Möglichkeit des Verkehrs gegeben war.
Harald und Vroni einander meiden mußten.

Harald hatte immer gefürchtet, daß Vrouis Name eines schönen Tages
ans dem Theaterzettel prangen würde, und das war der einzige Grund, wes¬
halb er mit fieberhafter Hast jeden Morgen die Zeitungen aus Berlin erwar¬
tete. Allein auch Vroni kämpfte noch immer mit sich selbst, und da sie selber
insbesondre in Rücksicht auf ihren Vater zu keinem Entschlüsse kommen konnte,
so wurde sie Fatalistin und wartete mir auf die Gelegenheit, die sie zur Ent¬
scheidung drängen würde. Denn bei Herrn Keller wurde seine philosophische
Erziehungsmethode immer mehr zur Manie, und Vroni sah mit Schrecken, wie
ihr Vater täglich mehr alles Interesse für sie und die Außenwelt verlor und
sich lediglich mit seinem Kinderasyl beschäftigte. Sie mußte einen lebendigen
Verkehr im Hause aufrecht erhalten, um gewaltsam den Vater von seinen
philosophischen Träumereien abzulenken, und sie sah, daß so lange sie im Hanse
bleiben würde, ihr dies Werk auch gelingen würde. Wohl dachte sie zuweilen an
Harald, aber mehr wie an ein Glück, das in der Vergangenheit lag, als das in
der Zukunft winkt. Sie verübelte es ihm, daß er so leicht den Kampf um sie
aufgab, und daß seine Kunst ihm teurer schien als sie selbst, und doch, wenn
sie wieder an die Stunden dachte, welche sie in seiner Gesellschaft verlebt hatte,
dann überkam es sie oft, daß sie sich nur durch Thränen Luft machen konnte.
Zwar war es ihr nicht zweifelhaft, daß nach ihrer letzten Äußerung der Freund
auf das erlösende Wort von ihr hoffen mußte, daß es nur an ihr lag, um
ihn zu dem Glücklichsten aller Menschen zu machen. Aber auch sie? Würde
auch sie das Glück an seiner Seite finden? Sollte sie gegen den Ruf taub sein, den
sie unwiderstehlich in ihrer Brust zu hören glaubte? Und indem sie so hin-
und herschwankte, glaubte sie, daß auch ihr einmal, wie es bei Harald geschehen,
das Schicksal die Stirnlocke hinreichen würde, an der sie es dann ergreifen
und für immer an sich fesseln wollte.

Die Arbeit auf Schloß Jscnstein ging infolge der gut getrosfnen Vorarbeiten
und sorgsam gemachten Entwürfe schneller von statten, als man erwartet hatte.
Zu Weihnachten hatte sich Graf Klodwig verlobt; die Hochzeit war auf die Zeit
nach dem Osterfeste bestimmt, und es lag in dem Wunsche des Besitzers, die
junge Gemahlin in das fertige Stammschloß der Ahnen einzuführen. Harald
mußte sich deshalb verstärkte Hilfe c>us Berlin holen, und so wurde der Zyklus
der Freskomalereien zur höchsten Zufriedenheit des Bestellers schon mit dem
Ausgange des Winters vollendet.

Im April konnte Harald wieder nach Berlin übersiedeln; aber er durfte
die Früchte seines Fleißes nicht genießen und auch an den Beginn einer neuen


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[0364] Auf dem Stilfser >ch- Antipathie des Mädchens gegen Vroni immer stärker geworden; letztere versuchte es in Abwesenheit Haralds, mit Edles eine» neuen Verkehr anzuknüpfen, mußte ihn aber aufgeben, da Edles aus ihrer Abneigung gegen Vroni kein Hehl machte. So kam es, daß auch, wenn die Möglichkeit des Verkehrs gegeben war. Harald und Vroni einander meiden mußten. Harald hatte immer gefürchtet, daß Vrouis Name eines schönen Tages ans dem Theaterzettel prangen würde, und das war der einzige Grund, wes¬ halb er mit fieberhafter Hast jeden Morgen die Zeitungen aus Berlin erwar¬ tete. Allein auch Vroni kämpfte noch immer mit sich selbst, und da sie selber insbesondre in Rücksicht auf ihren Vater zu keinem Entschlüsse kommen konnte, so wurde sie Fatalistin und wartete mir auf die Gelegenheit, die sie zur Ent¬ scheidung drängen würde. Denn bei Herrn Keller wurde seine philosophische Erziehungsmethode immer mehr zur Manie, und Vroni sah mit Schrecken, wie ihr Vater täglich mehr alles Interesse für sie und die Außenwelt verlor und sich lediglich mit seinem Kinderasyl beschäftigte. Sie mußte einen lebendigen Verkehr im Hause aufrecht erhalten, um gewaltsam den Vater von seinen philosophischen Träumereien abzulenken, und sie sah, daß so lange sie im Hanse bleiben würde, ihr dies Werk auch gelingen würde. Wohl dachte sie zuweilen an Harald, aber mehr wie an ein Glück, das in der Vergangenheit lag, als das in der Zukunft winkt. Sie verübelte es ihm, daß er so leicht den Kampf um sie aufgab, und daß seine Kunst ihm teurer schien als sie selbst, und doch, wenn sie wieder an die Stunden dachte, welche sie in seiner Gesellschaft verlebt hatte, dann überkam es sie oft, daß sie sich nur durch Thränen Luft machen konnte. Zwar war es ihr nicht zweifelhaft, daß nach ihrer letzten Äußerung der Freund auf das erlösende Wort von ihr hoffen mußte, daß es nur an ihr lag, um ihn zu dem Glücklichsten aller Menschen zu machen. Aber auch sie? Würde auch sie das Glück an seiner Seite finden? Sollte sie gegen den Ruf taub sein, den sie unwiderstehlich in ihrer Brust zu hören glaubte? Und indem sie so hin- und herschwankte, glaubte sie, daß auch ihr einmal, wie es bei Harald geschehen, das Schicksal die Stirnlocke hinreichen würde, an der sie es dann ergreifen und für immer an sich fesseln wollte. Die Arbeit auf Schloß Jscnstein ging infolge der gut getrosfnen Vorarbeiten und sorgsam gemachten Entwürfe schneller von statten, als man erwartet hatte. Zu Weihnachten hatte sich Graf Klodwig verlobt; die Hochzeit war auf die Zeit nach dem Osterfeste bestimmt, und es lag in dem Wunsche des Besitzers, die junge Gemahlin in das fertige Stammschloß der Ahnen einzuführen. Harald mußte sich deshalb verstärkte Hilfe c>us Berlin holen, und so wurde der Zyklus der Freskomalereien zur höchsten Zufriedenheit des Bestellers schon mit dem Ausgange des Winters vollendet. Im April konnte Harald wieder nach Berlin übersiedeln; aber er durfte die Früchte seines Fleißes nicht genießen und auch an den Beginn einer neuen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/364>, abgerufen am 15.01.2025.