Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Handwerker der Poesie. Dichtung als psychischen Prozesses" untersucht, unternimmt es, nachzuweisen, Es hat guten Grund, wenn wir trotzdem den Begriff der Schöpfung fest¬ Was den schaffenden Dichter ausmacht, ist anzugeben. Das innere Wesen Die Handwerker der Poesie. Dichtung als psychischen Prozesses" untersucht, unternimmt es, nachzuweisen, Es hat guten Grund, wenn wir trotzdem den Begriff der Schöpfung fest¬ Was den schaffenden Dichter ausmacht, ist anzugeben. Das innere Wesen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196770"/> <fw type="header" place="top"> Die Handwerker der Poesie.</fw><lb/> <p xml:id="ID_76" prev="#ID_75"> Dichtung als psychischen Prozesses" untersucht, unternimmt es, nachzuweisen,<lb/> wie aus der Kombination einfacher Vorstellungen zusammengesetzte große Werke<lb/> entstehen. Sie zergliedert das Ganze in die Teilchen, aus denen es entstand,<lb/> und bemüht sich, „die psychischen Prozesse selbst aufzulösen in ihre elementarsten<lb/> Formen, in die einfachsten Vorgänge des Bewußtseins." Dem Begriffe poetischer<lb/> Schöpfungen, als den Ergebnissen eines auf eigne Faust frei gestaltenden<lb/> Schaffens, ist sie abgeneigt. Mit Recht, soweit es sich um die Geschichte dieser<lb/> Schöpfungen handelt. Die Entwicklung der durch frühere Vorstellungen, Lebens-<lb/> umstände und Ereignisse durchaus bestimmten dichterischen Thätigkeiten nach¬<lb/> zuweisen, ist eine lohnende Aufgabe der ästhetischen Forschung, die sich dem<lb/> psychologischen Ursprünge der künstlerischen Erscheinungen zugewandt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_77"> Es hat guten Grund, wenn wir trotzdem den Begriff der Schöpfung fest¬<lb/> halten. Gesetzt auch den Fall, es gelänge, die Natur und die Wirlnngs-<lb/> bcdingungen des Genius psychologisch zu erklären, so würde doch die lückenlose<lb/> Angabe des psychischen Mechanismus das Wesen seines Schaffens nicht er¬<lb/> schöpfen. Die im Dichter wirksame Kraft, die diesen Mechanismus treibt und<lb/> seinen Stoff zu einem so lebendigen Ganzen zusammenfügt, wäre durch jene<lb/> Erklärung nicht mit erklärt. Man würde sie nur in einer umschreibenden<lb/> Schilderung angeben können, die ihr Wesen nach ihren Wirkungen bezeichnet,<lb/> ihre Verfahrungsweisen verfolgt, ihre Eigenschaften andeutet, ihren innern<lb/> Lebensgrund aber nicht enthält. Diese bisher geheimnisvolle Kraft ist es, die<lb/> den Unterschied bewirkt zwischen den geleimten Figuren klügelnder Macher und<lb/> den Werken wahrer Dichter. Das Wesen dieser Kraft ist eben das einer natur¬<lb/> gewaltig von innen schaffenden im Vergleich zu äußerlich kombinirender Arbeits¬<lb/> mühe. Nötig aber erscheint es, gewissen unechten Tcigcspoeten gegenüber das<lb/> echt dichterische, nicht freie, aber lebendige Schaffen besonders zu betonen.</p><lb/> <p xml:id="ID_78" next="#ID_79"> Was den schaffenden Dichter ausmacht, ist anzugeben. Das innere Wesen<lb/> der Welt und der Menschheit dem Gefühlsverstüudisse lebendig zu machen, das<lb/> ist sein Ziel. Zwei Dinge bedarf er dazu: erstens lebendiges Gefühl im Herzen,<lb/> zweitens die Fähigkeit, sein eignes Gefühl in einer Reihe von Gestaltungen dem<lb/> Gcfühlsversiändnis andrer verständlich mitzuteilen. Von leicht erregbarer, allen<lb/> Eindrücken offener Natur ist der Dichter, nichts Menschliches soll ihm fremd<lb/> sein, Leidenschaften und Kämpfe, Leiden und Freuden des Lebens hat er durch¬<lb/> gekostet und wirklich erfahren, und alle äußere Erfahrung ist ihm zum inneren<lb/> Ergebnis geworden, zur Gemütsstimmung, welche die seelische Frucht der Er¬<lb/> lebnisse festhält. Ans dem Gemütsleben heraus wird der Drang geboren, der<lb/> ihn treibt, den Gehalt seiner Erlebnisse andern zu gleichem Erlebnis in Gestalten<lb/> einzuschließen. „Was ein Menschenherz in sich bewegen, was es thun und<lb/> leiden kann, in welchen unermeßlichen Weisen die Welt es anregt, welche Ab¬<lb/> gründe und Höhen in ihm sich aufthun, welche unendliche Kämpfe sich in ihm<lb/> entspinnen, in welchen verwickelten Prozessen die Leidenschaften, die Entschlüsse,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Die Handwerker der Poesie.
Dichtung als psychischen Prozesses" untersucht, unternimmt es, nachzuweisen,
wie aus der Kombination einfacher Vorstellungen zusammengesetzte große Werke
entstehen. Sie zergliedert das Ganze in die Teilchen, aus denen es entstand,
und bemüht sich, „die psychischen Prozesse selbst aufzulösen in ihre elementarsten
Formen, in die einfachsten Vorgänge des Bewußtseins." Dem Begriffe poetischer
Schöpfungen, als den Ergebnissen eines auf eigne Faust frei gestaltenden
Schaffens, ist sie abgeneigt. Mit Recht, soweit es sich um die Geschichte dieser
Schöpfungen handelt. Die Entwicklung der durch frühere Vorstellungen, Lebens-
umstände und Ereignisse durchaus bestimmten dichterischen Thätigkeiten nach¬
zuweisen, ist eine lohnende Aufgabe der ästhetischen Forschung, die sich dem
psychologischen Ursprünge der künstlerischen Erscheinungen zugewandt hat.
Es hat guten Grund, wenn wir trotzdem den Begriff der Schöpfung fest¬
halten. Gesetzt auch den Fall, es gelänge, die Natur und die Wirlnngs-
bcdingungen des Genius psychologisch zu erklären, so würde doch die lückenlose
Angabe des psychischen Mechanismus das Wesen seines Schaffens nicht er¬
schöpfen. Die im Dichter wirksame Kraft, die diesen Mechanismus treibt und
seinen Stoff zu einem so lebendigen Ganzen zusammenfügt, wäre durch jene
Erklärung nicht mit erklärt. Man würde sie nur in einer umschreibenden
Schilderung angeben können, die ihr Wesen nach ihren Wirkungen bezeichnet,
ihre Verfahrungsweisen verfolgt, ihre Eigenschaften andeutet, ihren innern
Lebensgrund aber nicht enthält. Diese bisher geheimnisvolle Kraft ist es, die
den Unterschied bewirkt zwischen den geleimten Figuren klügelnder Macher und
den Werken wahrer Dichter. Das Wesen dieser Kraft ist eben das einer natur¬
gewaltig von innen schaffenden im Vergleich zu äußerlich kombinirender Arbeits¬
mühe. Nötig aber erscheint es, gewissen unechten Tcigcspoeten gegenüber das
echt dichterische, nicht freie, aber lebendige Schaffen besonders zu betonen.
Was den schaffenden Dichter ausmacht, ist anzugeben. Das innere Wesen
der Welt und der Menschheit dem Gefühlsverstüudisse lebendig zu machen, das
ist sein Ziel. Zwei Dinge bedarf er dazu: erstens lebendiges Gefühl im Herzen,
zweitens die Fähigkeit, sein eignes Gefühl in einer Reihe von Gestaltungen dem
Gcfühlsversiändnis andrer verständlich mitzuteilen. Von leicht erregbarer, allen
Eindrücken offener Natur ist der Dichter, nichts Menschliches soll ihm fremd
sein, Leidenschaften und Kämpfe, Leiden und Freuden des Lebens hat er durch¬
gekostet und wirklich erfahren, und alle äußere Erfahrung ist ihm zum inneren
Ergebnis geworden, zur Gemütsstimmung, welche die seelische Frucht der Er¬
lebnisse festhält. Ans dem Gemütsleben heraus wird der Drang geboren, der
ihn treibt, den Gehalt seiner Erlebnisse andern zu gleichem Erlebnis in Gestalten
einzuschließen. „Was ein Menschenherz in sich bewegen, was es thun und
leiden kann, in welchen unermeßlichen Weisen die Welt es anregt, welche Ab¬
gründe und Höhen in ihm sich aufthun, welche unendliche Kämpfe sich in ihm
entspinnen, in welchen verwickelten Prozessen die Leidenschaften, die Entschlüsse,
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