Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Konferenz in Konstantinopel. Machtwort, mit dem die Konferenz jenen Interessen und diesem Bedürfnisse Die Konferenz in Konstantinopel. Machtwort, mit dem die Konferenz jenen Interessen und diesem Bedürfnisse <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197088"/> <fw type="header" place="top"> Die Konferenz in Konstantinopel.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1112" prev="#ID_1111" next="#ID_1113"> Machtwort, mit dem die Konferenz jenen Interessen und diesem Bedürfnisse<lb/> Ausdruck geben soll, gegenüber den Aufständischen und den in Waffen stehenden<lb/> Nachbarn derselben, wenn sie sich, wie es scheint, nicht füge» wollte», zur Geltung<lb/> zu bringe» sein würde, Zunächst aber kommt in Betracht, daß die Gegner an<lb/> der Grenze zwischen Bulgarien und Serbien sich gleichsam mit schußfertigem<lb/> Gewehr dicht gegenüberstehen, daß an der thessalisch-macedonischen Grenze jeden<lb/> Tag el» ähnlicher Zustand eintreten kann, und daß andre Leute bereit sind,<lb/> sobald der erste Schuß sich hören läßt, ebenfalls zu den Waffen zu greifen und<lb/> sich Beute zu suchen, daß also die Situation aufs höchste gespannt und eine<lb/> Krisis vor der Thür ist, bei welcher der Zufall, ein Mißverständnis, ein Mi߬<lb/> griff, ein unwissender Unteroffizier, ein zu hitziger Leutnant den Anfang der<lb/> Katastrophe herbeiführen kann. Nicht bloß die Serben und die Griechen haben<lb/> das Schwert gezogen, auch der Sturmvogel auf de» Schwarzen Bergen schickt<lb/> sich an, aus seinem Neste aufzufliegen und entweder in Albanien oder ander¬<lb/> wärts Nahrung für seine Landgier zu suchen. Montenegro verhält sich, wie<lb/> es scheint, nur noch ruhig, weil es ihm von Petersburg dringend empfohlen ist,<lb/> wie Österreich den Serben und Grieche» nach Kalnokhs Worten „guten Rat"<lb/> zur Geduld erteilt hat. Genug, wir sehen, daß alle diese getreuen Nachbarn<lb/> Bulgariens und des Sultans in höchster Aufregung auf den Beinen sind, und<lb/> daß nichts als die Furcht vor einem falschen Schritte und vor der schweren<lb/> Hand der nächsten Großmacht sie abhält, auf einander loszustürzen oder in<lb/> türkisches Gebiet einzubrechen. Diese Lage ist durch deu Gewaltakt der Bul¬<lb/> gare» geschaffen wurden, der, wie Kalnoky im Einklang mit der serbischen Ne¬<lb/> gierung versichert, das Gleichgewicht der Balkaustaateu aufgehoben und in ge¬<lb/> wissem Maße die Ansprüche auf E»tschädig»»g gerechtfertigt hat und so lange<lb/> rechtfertigen wird, als die Bulgaren sich der Wiederherstellung ihrer früheren<lb/> Trennung nicht fügen, was bis jetzt noch ungewiß ist. Sollen die dnrch das<lb/> Aufgehe» Ostrumeliens i» Bulgarien erweckten Befürchtungen, Leidenschaften und<lb/> Begehrlichkeiten nicht z»r Katastrophe führe», so muß, wie es scheint, die Kon¬<lb/> ferenz rasch zu eiuer Verständigung über die Art kommen, wie das Prinzip der<lb/> Restauration verwirklicht werden und wie der Beschluß Europas nötigenfalls<lb/> erzwungen werden soll. Zögern kann hier leicht scheitern heißen. Wenn die<lb/> Konferenz monatelang, wenn sie gar den ganzen Winter hindurch tagen soll,<lb/> wenn man glaubt, daß im Frühling sich bessere Gelegenheit für den moralischen<lb/> Einfluß auf die erregten Völker bieten werde, wen» man Serbien und Griechen¬<lb/> land inzwischen finanziell auszuhungern hofft, so könnte diese Rechnung täuschen<lb/> und das Chaos, von dem Graf Kalnoky sprach, sich so plötzlich und unerwartet<lb/> einstellen wie die Rebellion in Philippvpel, die auch nicht daran dachte, daß<lb/> Europa sie mißbilligen müßte, oder wenn sie daran dachte, sich »icht daran<lb/> kehrte. Gegenwärtig sind die drei Kaiscrmmchte, wie der ungarische Minister<lb/> erklärt, in der Sache eiuer Meinung, indem Dentschland und Österreich-Ungarn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0354]
Die Konferenz in Konstantinopel.
Machtwort, mit dem die Konferenz jenen Interessen und diesem Bedürfnisse
Ausdruck geben soll, gegenüber den Aufständischen und den in Waffen stehenden
Nachbarn derselben, wenn sie sich, wie es scheint, nicht füge» wollte», zur Geltung
zu bringe» sein würde, Zunächst aber kommt in Betracht, daß die Gegner an
der Grenze zwischen Bulgarien und Serbien sich gleichsam mit schußfertigem
Gewehr dicht gegenüberstehen, daß an der thessalisch-macedonischen Grenze jeden
Tag el» ähnlicher Zustand eintreten kann, und daß andre Leute bereit sind,
sobald der erste Schuß sich hören läßt, ebenfalls zu den Waffen zu greifen und
sich Beute zu suchen, daß also die Situation aufs höchste gespannt und eine
Krisis vor der Thür ist, bei welcher der Zufall, ein Mißverständnis, ein Mi߬
griff, ein unwissender Unteroffizier, ein zu hitziger Leutnant den Anfang der
Katastrophe herbeiführen kann. Nicht bloß die Serben und die Griechen haben
das Schwert gezogen, auch der Sturmvogel auf de» Schwarzen Bergen schickt
sich an, aus seinem Neste aufzufliegen und entweder in Albanien oder ander¬
wärts Nahrung für seine Landgier zu suchen. Montenegro verhält sich, wie
es scheint, nur noch ruhig, weil es ihm von Petersburg dringend empfohlen ist,
wie Österreich den Serben und Grieche» nach Kalnokhs Worten „guten Rat"
zur Geduld erteilt hat. Genug, wir sehen, daß alle diese getreuen Nachbarn
Bulgariens und des Sultans in höchster Aufregung auf den Beinen sind, und
daß nichts als die Furcht vor einem falschen Schritte und vor der schweren
Hand der nächsten Großmacht sie abhält, auf einander loszustürzen oder in
türkisches Gebiet einzubrechen. Diese Lage ist durch deu Gewaltakt der Bul¬
gare» geschaffen wurden, der, wie Kalnoky im Einklang mit der serbischen Ne¬
gierung versichert, das Gleichgewicht der Balkaustaateu aufgehoben und in ge¬
wissem Maße die Ansprüche auf E»tschädig»»g gerechtfertigt hat und so lange
rechtfertigen wird, als die Bulgaren sich der Wiederherstellung ihrer früheren
Trennung nicht fügen, was bis jetzt noch ungewiß ist. Sollen die dnrch das
Aufgehe» Ostrumeliens i» Bulgarien erweckten Befürchtungen, Leidenschaften und
Begehrlichkeiten nicht z»r Katastrophe führe», so muß, wie es scheint, die Kon¬
ferenz rasch zu eiuer Verständigung über die Art kommen, wie das Prinzip der
Restauration verwirklicht werden und wie der Beschluß Europas nötigenfalls
erzwungen werden soll. Zögern kann hier leicht scheitern heißen. Wenn die
Konferenz monatelang, wenn sie gar den ganzen Winter hindurch tagen soll,
wenn man glaubt, daß im Frühling sich bessere Gelegenheit für den moralischen
Einfluß auf die erregten Völker bieten werde, wen» man Serbien und Griechen¬
land inzwischen finanziell auszuhungern hofft, so könnte diese Rechnung täuschen
und das Chaos, von dem Graf Kalnoky sprach, sich so plötzlich und unerwartet
einstellen wie die Rebellion in Philippvpel, die auch nicht daran dachte, daß
Europa sie mißbilligen müßte, oder wenn sie daran dachte, sich »icht daran
kehrte. Gegenwärtig sind die drei Kaiscrmmchte, wie der ungarische Minister
erklärt, in der Sache eiuer Meinung, indem Dentschland und Österreich-Ungarn
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