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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das Malerische in der Elastik.

wirkte, konnte nicht ausbleiben. Hier nun ist der Punkt, in welchem Hauck in
Übereinstimmung mit frühern Ansichten den Beginn einer künstlerischen Ver-
irrung erblickt. Wir unserseits werden nach dem bisher Auseinandergesetzten
einen künstlerischen Fehler bei dieser Art der Ncliefbehandlung nur in den
Fällen wahrnehmen können, wo sie mit der architektonischen Bestimmung des
Reliefs in augenfälligen Widerspruche erscheint oder wo es ihr nicht gelingt,
den beabsichtigten malerischen Eindruck wirklich hervorzubringen, sodaß der in
der Natur des Reliefs latente Widerspruch für das Auge störend zu Tage tritt.

Dasjenige Darstellungsmittel, dessen gesteigerte Anwendung den Fortschritt
der malerischen Tendenz in der Neliefentwicklung hauptsächlich kennzeichnet, ist
die perspektivische Verkürzung der Reliefformen. In beschränkter Weise findet
sie sich, wie dies nicht anders sein kann, schon in den Anfängen dieser Ent¬
wicklung, und genau genommen, herrscht zwischen dem strengen und dem
malerischen Reliefstile in dieser Beziehung nur ein Gradunterschied. Ge¬
wöhnlich allerdings spricht man von Verkürzungen erst da, wo bei stärkerer
Relieferhebung die Stellung und Lage der Figuren oder einzelner Teile der¬
selben verlangt, daß sie tief in den Grund hineinzugehen, beziehentlich stark
aus ihm herauszutreten scheinen sollen. In Wahrheit jedoch beruht schon
in der einfachsten Art des Flachreliefs die Darstellung von streng im Profil
gehaltenen Figuren auf dem Prinzip einer perspektivischen Verkürzung. Diese
wird als solche kenntlicher, sowie die Figuren aus der reinen Profilstellung
heraustreten. In dem Flachrelief des Parthenonfricscs zeigt die nicht geringe
Zahl der Figuren, die in die Dreiviertelsansicht gestellt sind, die Körperformen,
insbesondre Brust und Schulter, in sehr feiner, wohlberechneter Verkürzung;
die Füße, die auch bei diesen Figuren großenteils die bei den übrigen Gestalten
vorherrschende Prosilstelluug hal'en, sind nur in wenigen Fällen in mäßiger Ver¬
kürzung nach vorn gewendet. Beispiele ziemlich kühner und entschieden ge¬
lungener Verkürzungen bietet der Fries des Theseustempels in den Figuren
zweier gefallenen Krieger. Natürlich muß, sobald die Reliefdarstellung in ihrer
Gesamtheit nicht mehr, wie hier, durch das Flächenprinzip beherrscht wird, so¬
bald die Vertiefung der Reliefgründe zunimmt und die Figuren auf mehrfach
abgestuften Plänen hintereinander angeordnet werden, auch die Anwendung
dieses malerischen Darstellungsmittels sich entschiedncr geltend machen. Mit
welcher Freiheit dasselbe in der ersten Zeit der griechisch-römischen Kunst ge¬
handhabt wurde, davon geben die großen Reliefs am Grabmal der Julier zu
Se. Remy einen besonders schlagenden Beweis. "Die dicht gedrängten Ge¬
stalten bewegen sich in diesen Reliefgemälden, bemerkt Cvnze a. a. O,, wie im
freien Raum: die Pferde springen verkürzt in das Bild hinein und aus dem
Bilde heraus; auf die vordersten Figuren, die im Hochrelief heraustreten, folgen
eine, zwei, drei Reihen hintereinander in abnehmender Relieferhebnng, die letztere
nur im Kontur in den Grund eingetieft."


Das Malerische in der Elastik.

wirkte, konnte nicht ausbleiben. Hier nun ist der Punkt, in welchem Hauck in
Übereinstimmung mit frühern Ansichten den Beginn einer künstlerischen Ver-
irrung erblickt. Wir unserseits werden nach dem bisher Auseinandergesetzten
einen künstlerischen Fehler bei dieser Art der Ncliefbehandlung nur in den
Fällen wahrnehmen können, wo sie mit der architektonischen Bestimmung des
Reliefs in augenfälligen Widerspruche erscheint oder wo es ihr nicht gelingt,
den beabsichtigten malerischen Eindruck wirklich hervorzubringen, sodaß der in
der Natur des Reliefs latente Widerspruch für das Auge störend zu Tage tritt.

Dasjenige Darstellungsmittel, dessen gesteigerte Anwendung den Fortschritt
der malerischen Tendenz in der Neliefentwicklung hauptsächlich kennzeichnet, ist
die perspektivische Verkürzung der Reliefformen. In beschränkter Weise findet
sie sich, wie dies nicht anders sein kann, schon in den Anfängen dieser Ent¬
wicklung, und genau genommen, herrscht zwischen dem strengen und dem
malerischen Reliefstile in dieser Beziehung nur ein Gradunterschied. Ge¬
wöhnlich allerdings spricht man von Verkürzungen erst da, wo bei stärkerer
Relieferhebung die Stellung und Lage der Figuren oder einzelner Teile der¬
selben verlangt, daß sie tief in den Grund hineinzugehen, beziehentlich stark
aus ihm herauszutreten scheinen sollen. In Wahrheit jedoch beruht schon
in der einfachsten Art des Flachreliefs die Darstellung von streng im Profil
gehaltenen Figuren auf dem Prinzip einer perspektivischen Verkürzung. Diese
wird als solche kenntlicher, sowie die Figuren aus der reinen Profilstellung
heraustreten. In dem Flachrelief des Parthenonfricscs zeigt die nicht geringe
Zahl der Figuren, die in die Dreiviertelsansicht gestellt sind, die Körperformen,
insbesondre Brust und Schulter, in sehr feiner, wohlberechneter Verkürzung;
die Füße, die auch bei diesen Figuren großenteils die bei den übrigen Gestalten
vorherrschende Prosilstelluug hal'en, sind nur in wenigen Fällen in mäßiger Ver¬
kürzung nach vorn gewendet. Beispiele ziemlich kühner und entschieden ge¬
lungener Verkürzungen bietet der Fries des Theseustempels in den Figuren
zweier gefallenen Krieger. Natürlich muß, sobald die Reliefdarstellung in ihrer
Gesamtheit nicht mehr, wie hier, durch das Flächenprinzip beherrscht wird, so¬
bald die Vertiefung der Reliefgründe zunimmt und die Figuren auf mehrfach
abgestuften Plänen hintereinander angeordnet werden, auch die Anwendung
dieses malerischen Darstellungsmittels sich entschiedncr geltend machen. Mit
welcher Freiheit dasselbe in der ersten Zeit der griechisch-römischen Kunst ge¬
handhabt wurde, davon geben die großen Reliefs am Grabmal der Julier zu
Se. Remy einen besonders schlagenden Beweis. „Die dicht gedrängten Ge¬
stalten bewegen sich in diesen Reliefgemälden, bemerkt Cvnze a. a. O,, wie im
freien Raum: die Pferde springen verkürzt in das Bild hinein und aus dem
Bilde heraus; auf die vordersten Figuren, die im Hochrelief heraustreten, folgen
eine, zwei, drei Reihen hintereinander in abnehmender Relieferhebnng, die letztere
nur im Kontur in den Grund eingetieft."


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[0347] Das Malerische in der Elastik. wirkte, konnte nicht ausbleiben. Hier nun ist der Punkt, in welchem Hauck in Übereinstimmung mit frühern Ansichten den Beginn einer künstlerischen Ver- irrung erblickt. Wir unserseits werden nach dem bisher Auseinandergesetzten einen künstlerischen Fehler bei dieser Art der Ncliefbehandlung nur in den Fällen wahrnehmen können, wo sie mit der architektonischen Bestimmung des Reliefs in augenfälligen Widerspruche erscheint oder wo es ihr nicht gelingt, den beabsichtigten malerischen Eindruck wirklich hervorzubringen, sodaß der in der Natur des Reliefs latente Widerspruch für das Auge störend zu Tage tritt. Dasjenige Darstellungsmittel, dessen gesteigerte Anwendung den Fortschritt der malerischen Tendenz in der Neliefentwicklung hauptsächlich kennzeichnet, ist die perspektivische Verkürzung der Reliefformen. In beschränkter Weise findet sie sich, wie dies nicht anders sein kann, schon in den Anfängen dieser Ent¬ wicklung, und genau genommen, herrscht zwischen dem strengen und dem malerischen Reliefstile in dieser Beziehung nur ein Gradunterschied. Ge¬ wöhnlich allerdings spricht man von Verkürzungen erst da, wo bei stärkerer Relieferhebung die Stellung und Lage der Figuren oder einzelner Teile der¬ selben verlangt, daß sie tief in den Grund hineinzugehen, beziehentlich stark aus ihm herauszutreten scheinen sollen. In Wahrheit jedoch beruht schon in der einfachsten Art des Flachreliefs die Darstellung von streng im Profil gehaltenen Figuren auf dem Prinzip einer perspektivischen Verkürzung. Diese wird als solche kenntlicher, sowie die Figuren aus der reinen Profilstellung heraustreten. In dem Flachrelief des Parthenonfricscs zeigt die nicht geringe Zahl der Figuren, die in die Dreiviertelsansicht gestellt sind, die Körperformen, insbesondre Brust und Schulter, in sehr feiner, wohlberechneter Verkürzung; die Füße, die auch bei diesen Figuren großenteils die bei den übrigen Gestalten vorherrschende Prosilstelluug hal'en, sind nur in wenigen Fällen in mäßiger Ver¬ kürzung nach vorn gewendet. Beispiele ziemlich kühner und entschieden ge¬ lungener Verkürzungen bietet der Fries des Theseustempels in den Figuren zweier gefallenen Krieger. Natürlich muß, sobald die Reliefdarstellung in ihrer Gesamtheit nicht mehr, wie hier, durch das Flächenprinzip beherrscht wird, so¬ bald die Vertiefung der Reliefgründe zunimmt und die Figuren auf mehrfach abgestuften Plänen hintereinander angeordnet werden, auch die Anwendung dieses malerischen Darstellungsmittels sich entschiedncr geltend machen. Mit welcher Freiheit dasselbe in der ersten Zeit der griechisch-römischen Kunst ge¬ handhabt wurde, davon geben die großen Reliefs am Grabmal der Julier zu Se. Remy einen besonders schlagenden Beweis. „Die dicht gedrängten Ge¬ stalten bewegen sich in diesen Reliefgemälden, bemerkt Cvnze a. a. O,, wie im freien Raum: die Pferde springen verkürzt in das Bild hinein und aus dem Bilde heraus; auf die vordersten Figuren, die im Hochrelief heraustreten, folgen eine, zwei, drei Reihen hintereinander in abnehmender Relieferhebnng, die letztere nur im Kontur in den Grund eingetieft."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/347>, abgerufen am 15.01.2025.