Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Malerische in der Plastik,

Partien des letztern Frieses vielleicht ausgenommen, namentlich die großen
Reitermassen, die, wie Michaelis bemerkt, mehr den Eindruck einer ins Relief
übersetzten Konturcnzcichnung machen. Im übrigen finden sich gerade hier, in
dem Parthenvnfries, Beispiele der kunstvollsten, vornehmlich auf eiuer fein¬
sinnigen Berechnung der Licht- und Schattenwirkung beruhenden Neliefbe-
handlung, Figuren und Gruppen, die, so flach das Relief gehalten ist, dennoch
in lebendiger Rundung aus dem Grunde hervorzutreten scheinen, völlig im
Gegensatze zu jenem Eindrucke des Flachgepreßten, Gequetschter, der sich bei
einer ungeschickten Behandlung des Flachreliefs notwendig einstellt. In der
Art, wie es hier gelang, im ganzen den Flächeneindruck zu wahren, in der
Erscheinung der Oberfläche den Eindruck ruhiger Ebenheit festzuhalten, gleich¬
wohl aber im einzelnen durch eine kunstreiche Modelliruug den Effekt lebendiger
Körperlichkeit zu erreichen, in dieser Art der Neliefbehandlnng ist der Widerspruch
zwischen dem malerische" und plastischen Elemente in der That so ganz über¬
wunden, daß er sür das Auge garnicht vorhanden ist. Soll man deshalb
diese Art der Neliefbehandlnng für die künstlerisch einzig berechtigte halten?
Hieße es uicht die Natur des Reliefs beschränken, seiner Entwicklung hemmende
Fesseln anlegen, wem? man von der Eigentümlichkeit dieses Reliefstils ein bin¬
dendes Gesetz für die Neliefbehandlnng überhaupt ableiten wollte? Dieser Re-
liefstil entstand -- das ist besonders nachdrücklich zu betonen -- im unmittel¬
barsten Zusammenhange mit der Architektur, recht eigentlich im Dienste
derselben. Die Rücksicht auf die tektonischen Flächen, denen das Relief zum
Schmuck dienen sollte, war maßgebend für seinen ganzen Charakter; die Wirkung
der Fläche als solcher durfte nicht aufgehoben werden. Überall daher, wo das
Relief den gleiche" Zweck hat, wird der i" sich vollendete Stilcharakter jener
berühmten Friese prinzipiell eine mustergiltige Bedeutung behaupten.

Mit Entschiedenheit konnte sich das Bestreben, im Relief den Flächeneindruck
nach Art der Malerei zu überwinden, in der griechischen Kunst erst dann geltend
machen, als das Relief innerhalb der Architektur zu einer gewissen Selbststän-
digkeit gelangte. Dies geschah, wie Th. Schreiber neuerdings nachgewiesen hat,")
gleichzeitig mit der charakteristischen Wandlung, die sich gegen Ende des vierten
Jahrhunderts, in der Epoche Alexanders des Großen, in der griechischen Bau¬
technik vollzog, in dem Zeitpunkte, wo die Marmorinkrnstation der Wände die
frühere Stuckbeklcidung und damit zugleich das Wandgemälde zu verdrängen
begann. An Stelle des letzteren trat das Relief, das nun, ein selbständiger
Wandschmuck wie jenes, nicht mehr, wie früher, durch die Rücksicht auf die
tektonische Fläche gebunden, sür die Entwicklung seiner malerischen Tendenz
freieren Raum gewann; daß der neue Reliefstil. der unter diesen Verhältnissen
entstand, allmählich auf die Neliefbehaudluug im allgemeinen bestimmend ein-



-) Lützows Zeitschrift f. bild. Kunst, 1885, S. 243. Archäologische Zeitung, 1880, S. 145 ff.
Das Malerische in der Plastik,

Partien des letztern Frieses vielleicht ausgenommen, namentlich die großen
Reitermassen, die, wie Michaelis bemerkt, mehr den Eindruck einer ins Relief
übersetzten Konturcnzcichnung machen. Im übrigen finden sich gerade hier, in
dem Parthenvnfries, Beispiele der kunstvollsten, vornehmlich auf eiuer fein¬
sinnigen Berechnung der Licht- und Schattenwirkung beruhenden Neliefbe-
handlung, Figuren und Gruppen, die, so flach das Relief gehalten ist, dennoch
in lebendiger Rundung aus dem Grunde hervorzutreten scheinen, völlig im
Gegensatze zu jenem Eindrucke des Flachgepreßten, Gequetschter, der sich bei
einer ungeschickten Behandlung des Flachreliefs notwendig einstellt. In der
Art, wie es hier gelang, im ganzen den Flächeneindruck zu wahren, in der
Erscheinung der Oberfläche den Eindruck ruhiger Ebenheit festzuhalten, gleich¬
wohl aber im einzelnen durch eine kunstreiche Modelliruug den Effekt lebendiger
Körperlichkeit zu erreichen, in dieser Art der Neliefbehandlnng ist der Widerspruch
zwischen dem malerische» und plastischen Elemente in der That so ganz über¬
wunden, daß er sür das Auge garnicht vorhanden ist. Soll man deshalb
diese Art der Neliefbehandlnng für die künstlerisch einzig berechtigte halten?
Hieße es uicht die Natur des Reliefs beschränken, seiner Entwicklung hemmende
Fesseln anlegen, wem? man von der Eigentümlichkeit dieses Reliefstils ein bin¬
dendes Gesetz für die Neliefbehandlnng überhaupt ableiten wollte? Dieser Re-
liefstil entstand — das ist besonders nachdrücklich zu betonen — im unmittel¬
barsten Zusammenhange mit der Architektur, recht eigentlich im Dienste
derselben. Die Rücksicht auf die tektonischen Flächen, denen das Relief zum
Schmuck dienen sollte, war maßgebend für seinen ganzen Charakter; die Wirkung
der Fläche als solcher durfte nicht aufgehoben werden. Überall daher, wo das
Relief den gleiche» Zweck hat, wird der i» sich vollendete Stilcharakter jener
berühmten Friese prinzipiell eine mustergiltige Bedeutung behaupten.

Mit Entschiedenheit konnte sich das Bestreben, im Relief den Flächeneindruck
nach Art der Malerei zu überwinden, in der griechischen Kunst erst dann geltend
machen, als das Relief innerhalb der Architektur zu einer gewissen Selbststän-
digkeit gelangte. Dies geschah, wie Th. Schreiber neuerdings nachgewiesen hat,")
gleichzeitig mit der charakteristischen Wandlung, die sich gegen Ende des vierten
Jahrhunderts, in der Epoche Alexanders des Großen, in der griechischen Bau¬
technik vollzog, in dem Zeitpunkte, wo die Marmorinkrnstation der Wände die
frühere Stuckbeklcidung und damit zugleich das Wandgemälde zu verdrängen
begann. An Stelle des letzteren trat das Relief, das nun, ein selbständiger
Wandschmuck wie jenes, nicht mehr, wie früher, durch die Rücksicht auf die
tektonische Fläche gebunden, sür die Entwicklung seiner malerischen Tendenz
freieren Raum gewann; daß der neue Reliefstil. der unter diesen Verhältnissen
entstand, allmählich auf die Neliefbehaudluug im allgemeinen bestimmend ein-



-) Lützows Zeitschrift f. bild. Kunst, 1885, S. 243. Archäologische Zeitung, 1880, S. 145 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197080"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Malerische in der Plastik,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1095" prev="#ID_1094"> Partien des letztern Frieses vielleicht ausgenommen, namentlich die großen<lb/>
Reitermassen, die, wie Michaelis bemerkt, mehr den Eindruck einer ins Relief<lb/>
übersetzten Konturcnzcichnung machen. Im übrigen finden sich gerade hier, in<lb/>
dem Parthenvnfries, Beispiele der kunstvollsten, vornehmlich auf eiuer fein¬<lb/>
sinnigen Berechnung der Licht- und Schattenwirkung beruhenden Neliefbe-<lb/>
handlung, Figuren und Gruppen, die, so flach das Relief gehalten ist, dennoch<lb/>
in lebendiger Rundung aus dem Grunde hervorzutreten scheinen, völlig im<lb/>
Gegensatze zu jenem Eindrucke des Flachgepreßten, Gequetschter, der sich bei<lb/>
einer ungeschickten Behandlung des Flachreliefs notwendig einstellt. In der<lb/>
Art, wie es hier gelang, im ganzen den Flächeneindruck zu wahren, in der<lb/>
Erscheinung der Oberfläche den Eindruck ruhiger Ebenheit festzuhalten, gleich¬<lb/>
wohl aber im einzelnen durch eine kunstreiche Modelliruug den Effekt lebendiger<lb/>
Körperlichkeit zu erreichen, in dieser Art der Neliefbehandlnng ist der Widerspruch<lb/>
zwischen dem malerische» und plastischen Elemente in der That so ganz über¬<lb/>
wunden, daß er sür das Auge garnicht vorhanden ist. Soll man deshalb<lb/>
diese Art der Neliefbehandlnng für die künstlerisch einzig berechtigte halten?<lb/>
Hieße es uicht die Natur des Reliefs beschränken, seiner Entwicklung hemmende<lb/>
Fesseln anlegen, wem? man von der Eigentümlichkeit dieses Reliefstils ein bin¬<lb/>
dendes Gesetz für die Neliefbehandlnng überhaupt ableiten wollte? Dieser Re-<lb/>
liefstil entstand &#x2014; das ist besonders nachdrücklich zu betonen &#x2014; im unmittel¬<lb/>
barsten Zusammenhange mit der Architektur, recht eigentlich im Dienste<lb/>
derselben. Die Rücksicht auf die tektonischen Flächen, denen das Relief zum<lb/>
Schmuck dienen sollte, war maßgebend für seinen ganzen Charakter; die Wirkung<lb/>
der Fläche als solcher durfte nicht aufgehoben werden. Überall daher, wo das<lb/>
Relief den gleiche» Zweck hat, wird der i» sich vollendete Stilcharakter jener<lb/>
berühmten Friese prinzipiell eine mustergiltige Bedeutung behaupten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1096" next="#ID_1097"> Mit Entschiedenheit konnte sich das Bestreben, im Relief den Flächeneindruck<lb/>
nach Art der Malerei zu überwinden, in der griechischen Kunst erst dann geltend<lb/>
machen, als das Relief innerhalb der Architektur zu einer gewissen Selbststän-<lb/>
digkeit gelangte. Dies geschah, wie Th. Schreiber neuerdings nachgewiesen hat,")<lb/>
gleichzeitig mit der charakteristischen Wandlung, die sich gegen Ende des vierten<lb/>
Jahrhunderts, in der Epoche Alexanders des Großen, in der griechischen Bau¬<lb/>
technik vollzog, in dem Zeitpunkte, wo die Marmorinkrnstation der Wände die<lb/>
frühere Stuckbeklcidung und damit zugleich das Wandgemälde zu verdrängen<lb/>
begann. An Stelle des letzteren trat das Relief, das nun, ein selbständiger<lb/>
Wandschmuck wie jenes, nicht mehr, wie früher, durch die Rücksicht auf die<lb/>
tektonische Fläche gebunden, sür die Entwicklung seiner malerischen Tendenz<lb/>
freieren Raum gewann; daß der neue Reliefstil. der unter diesen Verhältnissen<lb/>
entstand, allmählich auf die Neliefbehaudluug im allgemeinen bestimmend ein-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_27" place="foot"> -) Lützows Zeitschrift f. bild. Kunst, 1885, S. 243. Archäologische Zeitung, 1880, S. 145 ff.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0346] Das Malerische in der Plastik, Partien des letztern Frieses vielleicht ausgenommen, namentlich die großen Reitermassen, die, wie Michaelis bemerkt, mehr den Eindruck einer ins Relief übersetzten Konturcnzcichnung machen. Im übrigen finden sich gerade hier, in dem Parthenvnfries, Beispiele der kunstvollsten, vornehmlich auf eiuer fein¬ sinnigen Berechnung der Licht- und Schattenwirkung beruhenden Neliefbe- handlung, Figuren und Gruppen, die, so flach das Relief gehalten ist, dennoch in lebendiger Rundung aus dem Grunde hervorzutreten scheinen, völlig im Gegensatze zu jenem Eindrucke des Flachgepreßten, Gequetschter, der sich bei einer ungeschickten Behandlung des Flachreliefs notwendig einstellt. In der Art, wie es hier gelang, im ganzen den Flächeneindruck zu wahren, in der Erscheinung der Oberfläche den Eindruck ruhiger Ebenheit festzuhalten, gleich¬ wohl aber im einzelnen durch eine kunstreiche Modelliruug den Effekt lebendiger Körperlichkeit zu erreichen, in dieser Art der Neliefbehandlnng ist der Widerspruch zwischen dem malerische» und plastischen Elemente in der That so ganz über¬ wunden, daß er sür das Auge garnicht vorhanden ist. Soll man deshalb diese Art der Neliefbehandlnng für die künstlerisch einzig berechtigte halten? Hieße es uicht die Natur des Reliefs beschränken, seiner Entwicklung hemmende Fesseln anlegen, wem? man von der Eigentümlichkeit dieses Reliefstils ein bin¬ dendes Gesetz für die Neliefbehandlnng überhaupt ableiten wollte? Dieser Re- liefstil entstand — das ist besonders nachdrücklich zu betonen — im unmittel¬ barsten Zusammenhange mit der Architektur, recht eigentlich im Dienste derselben. Die Rücksicht auf die tektonischen Flächen, denen das Relief zum Schmuck dienen sollte, war maßgebend für seinen ganzen Charakter; die Wirkung der Fläche als solcher durfte nicht aufgehoben werden. Überall daher, wo das Relief den gleiche» Zweck hat, wird der i» sich vollendete Stilcharakter jener berühmten Friese prinzipiell eine mustergiltige Bedeutung behaupten. Mit Entschiedenheit konnte sich das Bestreben, im Relief den Flächeneindruck nach Art der Malerei zu überwinden, in der griechischen Kunst erst dann geltend machen, als das Relief innerhalb der Architektur zu einer gewissen Selbststän- digkeit gelangte. Dies geschah, wie Th. Schreiber neuerdings nachgewiesen hat,") gleichzeitig mit der charakteristischen Wandlung, die sich gegen Ende des vierten Jahrhunderts, in der Epoche Alexanders des Großen, in der griechischen Bau¬ technik vollzog, in dem Zeitpunkte, wo die Marmorinkrnstation der Wände die frühere Stuckbeklcidung und damit zugleich das Wandgemälde zu verdrängen begann. An Stelle des letzteren trat das Relief, das nun, ein selbständiger Wandschmuck wie jenes, nicht mehr, wie früher, durch die Rücksicht auf die tektonische Fläche gebunden, sür die Entwicklung seiner malerischen Tendenz freieren Raum gewann; daß der neue Reliefstil. der unter diesen Verhältnissen entstand, allmählich auf die Neliefbehaudluug im allgemeinen bestimmend ein- -) Lützows Zeitschrift f. bild. Kunst, 1885, S. 243. Archäologische Zeitung, 1880, S. 145 ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/346
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/346>, abgerufen am 15.01.2025.