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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das Malerische in der Plastik.

Das Relief ist seiner Natur, seinen: Ursprünge nach malerisch-plastisch,
sofern es eine plastische Darstellung auf der Fläche ist. Es hat nicht, wie die
Malerei, "Licht und Schatten in sich selbst," ist aber im übrigen bezüglich der
Methode, mit welcher die Malerei Körperliches und Räumliches auf der Fläche
darstellt, derselben verwandt.

So liegt in der Natur des Reliefs offenbar ein Widerspruch, und man
kann behaupten, daß die künstlerische Bewältigung dieses Widerspruches, d. h. eine
Behandlungsweise, die diesen Widerspruch in der Relieferscheinmig wirkungslos
macht, recht eigentlich die Aufgabe der Reliefkuust sei. Der Flächeneindruck soll
überwunden werden, diese Tendenz aber, die bis zu einem gewissen Grade schon in
der flachsten Modcllirung der Figuren hervortritt, bleibt auch auf der höchsten
Stufe ihrer Entwicklung durch die Natur der Fläche bestimmt. Sie ist plastisch
zu nennen, sofern sie in der Nelieferhebung auf die Ausgestaltung körperlicher
Formen gerichtet ist, malerisch, sofern sie in dieser Gestaltung von der Fläche
ausgeht und den Flächeneindruck auf der Fläche selbst zu überwinden trachtet,
den Anschein der vollen körperlichen Rundung. sowie den Schein räumlicher Tiefe
durch die Art der Flächenbehandlung anstrebt. Auch wo sich das Relief der
Freiskulptur nähert -- sowie es in diese überginge, würde es eben aufhören,
Relief zu sein --, bleibt es künstlerisch durch den Charakter der Flüche bedingt.
In der griechischen Plastik begegnet man schon am Anfang des vierten Jahr¬
hunderts, namentlich an den großen Grabsteinen, Kompositionen, denen nach
Conzes Ausdruck eine wundervoll in der Schwebe zwischen Freiskulptnr und
Flächendarstellung sich haltende Neliefweise eigen ist. Schon hier zeigt sich auf
des eklatanteste, wie mit dem Streben nach erhöhter plastischer Wirkung die
malerische Tendenz notwendig zugleich zur Entwicklung kommt. Beide Tendenzen
sind eben in der Natur, im Wesen des Reliefs begründet.

Was man im Gegensatze zu der malerisch freien Neliefbehandlung als den
strengen Reliefstil oder, wenn man jene als eine Verirrung ansieht, als den
echten bezeichnet, der Stil, für welchen der Cellafries des Parthenon und der
Fries am Theseustempel die klassischen Beispiele sind, bedeutet einen Höhepunkt
der Entwicklung allerdings nicht bloß insofern, als sich Vorzüge allgemein künst¬
licher Art in seltenster Vollkommenheit mit ihm verbunden zeigen, nicht bloß
wegen des bewunderungswürdigen Reichtums an lebendiger künstlerischer Er¬
findung, wegen der hohen Schönheit der einzelnen Gestalten und der ganzen
Komposition, sondern hauptsächlich auch wegen der speziell der Reliefbehandlnng
eigentümlichen Vorzüge. In beiden Friesen ist, dem durchgehends festgehaltenen
Flachencharakter des Reliefgrundes entsprechend, auch in der Gesamterscheinung
der Figurenreihen bei nur wenig variirter Nelieferhebung der Eindruck einer
ebenmäßigen Vorder- oder Oberfläche gewahrt und dennoch in der Mvdelliruug
der Figuren, bei dein Fries des Theseion im Hochrelief, bei dem des Parthenon
in sehr flachem Relief, eine vollkommen plastische Wirkung erzielt -- einige


Grenzboten IV. I88ö. 43
Das Malerische in der Plastik.

Das Relief ist seiner Natur, seinen: Ursprünge nach malerisch-plastisch,
sofern es eine plastische Darstellung auf der Fläche ist. Es hat nicht, wie die
Malerei, „Licht und Schatten in sich selbst," ist aber im übrigen bezüglich der
Methode, mit welcher die Malerei Körperliches und Räumliches auf der Fläche
darstellt, derselben verwandt.

So liegt in der Natur des Reliefs offenbar ein Widerspruch, und man
kann behaupten, daß die künstlerische Bewältigung dieses Widerspruches, d. h. eine
Behandlungsweise, die diesen Widerspruch in der Relieferscheinmig wirkungslos
macht, recht eigentlich die Aufgabe der Reliefkuust sei. Der Flächeneindruck soll
überwunden werden, diese Tendenz aber, die bis zu einem gewissen Grade schon in
der flachsten Modcllirung der Figuren hervortritt, bleibt auch auf der höchsten
Stufe ihrer Entwicklung durch die Natur der Fläche bestimmt. Sie ist plastisch
zu nennen, sofern sie in der Nelieferhebung auf die Ausgestaltung körperlicher
Formen gerichtet ist, malerisch, sofern sie in dieser Gestaltung von der Fläche
ausgeht und den Flächeneindruck auf der Fläche selbst zu überwinden trachtet,
den Anschein der vollen körperlichen Rundung. sowie den Schein räumlicher Tiefe
durch die Art der Flächenbehandlung anstrebt. Auch wo sich das Relief der
Freiskulptur nähert — sowie es in diese überginge, würde es eben aufhören,
Relief zu sein —, bleibt es künstlerisch durch den Charakter der Flüche bedingt.
In der griechischen Plastik begegnet man schon am Anfang des vierten Jahr¬
hunderts, namentlich an den großen Grabsteinen, Kompositionen, denen nach
Conzes Ausdruck eine wundervoll in der Schwebe zwischen Freiskulptnr und
Flächendarstellung sich haltende Neliefweise eigen ist. Schon hier zeigt sich auf
des eklatanteste, wie mit dem Streben nach erhöhter plastischer Wirkung die
malerische Tendenz notwendig zugleich zur Entwicklung kommt. Beide Tendenzen
sind eben in der Natur, im Wesen des Reliefs begründet.

Was man im Gegensatze zu der malerisch freien Neliefbehandlung als den
strengen Reliefstil oder, wenn man jene als eine Verirrung ansieht, als den
echten bezeichnet, der Stil, für welchen der Cellafries des Parthenon und der
Fries am Theseustempel die klassischen Beispiele sind, bedeutet einen Höhepunkt
der Entwicklung allerdings nicht bloß insofern, als sich Vorzüge allgemein künst¬
licher Art in seltenster Vollkommenheit mit ihm verbunden zeigen, nicht bloß
wegen des bewunderungswürdigen Reichtums an lebendiger künstlerischer Er¬
findung, wegen der hohen Schönheit der einzelnen Gestalten und der ganzen
Komposition, sondern hauptsächlich auch wegen der speziell der Reliefbehandlnng
eigentümlichen Vorzüge. In beiden Friesen ist, dem durchgehends festgehaltenen
Flachencharakter des Reliefgrundes entsprechend, auch in der Gesamterscheinung
der Figurenreihen bei nur wenig variirter Nelieferhebung der Eindruck einer
ebenmäßigen Vorder- oder Oberfläche gewahrt und dennoch in der Mvdelliruug
der Figuren, bei dein Fries des Theseion im Hochrelief, bei dem des Parthenon
in sehr flachem Relief, eine vollkommen plastische Wirkung erzielt — einige


Grenzboten IV. I88ö. 43
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[0345] Das Malerische in der Plastik. Das Relief ist seiner Natur, seinen: Ursprünge nach malerisch-plastisch, sofern es eine plastische Darstellung auf der Fläche ist. Es hat nicht, wie die Malerei, „Licht und Schatten in sich selbst," ist aber im übrigen bezüglich der Methode, mit welcher die Malerei Körperliches und Räumliches auf der Fläche darstellt, derselben verwandt. So liegt in der Natur des Reliefs offenbar ein Widerspruch, und man kann behaupten, daß die künstlerische Bewältigung dieses Widerspruches, d. h. eine Behandlungsweise, die diesen Widerspruch in der Relieferscheinmig wirkungslos macht, recht eigentlich die Aufgabe der Reliefkuust sei. Der Flächeneindruck soll überwunden werden, diese Tendenz aber, die bis zu einem gewissen Grade schon in der flachsten Modcllirung der Figuren hervortritt, bleibt auch auf der höchsten Stufe ihrer Entwicklung durch die Natur der Fläche bestimmt. Sie ist plastisch zu nennen, sofern sie in der Nelieferhebung auf die Ausgestaltung körperlicher Formen gerichtet ist, malerisch, sofern sie in dieser Gestaltung von der Fläche ausgeht und den Flächeneindruck auf der Fläche selbst zu überwinden trachtet, den Anschein der vollen körperlichen Rundung. sowie den Schein räumlicher Tiefe durch die Art der Flächenbehandlung anstrebt. Auch wo sich das Relief der Freiskulptur nähert — sowie es in diese überginge, würde es eben aufhören, Relief zu sein —, bleibt es künstlerisch durch den Charakter der Flüche bedingt. In der griechischen Plastik begegnet man schon am Anfang des vierten Jahr¬ hunderts, namentlich an den großen Grabsteinen, Kompositionen, denen nach Conzes Ausdruck eine wundervoll in der Schwebe zwischen Freiskulptnr und Flächendarstellung sich haltende Neliefweise eigen ist. Schon hier zeigt sich auf des eklatanteste, wie mit dem Streben nach erhöhter plastischer Wirkung die malerische Tendenz notwendig zugleich zur Entwicklung kommt. Beide Tendenzen sind eben in der Natur, im Wesen des Reliefs begründet. Was man im Gegensatze zu der malerisch freien Neliefbehandlung als den strengen Reliefstil oder, wenn man jene als eine Verirrung ansieht, als den echten bezeichnet, der Stil, für welchen der Cellafries des Parthenon und der Fries am Theseustempel die klassischen Beispiele sind, bedeutet einen Höhepunkt der Entwicklung allerdings nicht bloß insofern, als sich Vorzüge allgemein künst¬ licher Art in seltenster Vollkommenheit mit ihm verbunden zeigen, nicht bloß wegen des bewunderungswürdigen Reichtums an lebendiger künstlerischer Er¬ findung, wegen der hohen Schönheit der einzelnen Gestalten und der ganzen Komposition, sondern hauptsächlich auch wegen der speziell der Reliefbehandlnng eigentümlichen Vorzüge. In beiden Friesen ist, dem durchgehends festgehaltenen Flachencharakter des Reliefgrundes entsprechend, auch in der Gesamterscheinung der Figurenreihen bei nur wenig variirter Nelieferhebung der Eindruck einer ebenmäßigen Vorder- oder Oberfläche gewahrt und dennoch in der Mvdelliruug der Figuren, bei dein Fries des Theseion im Hochrelief, bei dem des Parthenon in sehr flachem Relief, eine vollkommen plastische Wirkung erzielt — einige Grenzboten IV. I88ö. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/345>, abgerufen am 15.01.2025.