Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Malerische in der Plastik.

geringere Wölbung gab, bald mehr, bald weniger lief in die Platte hineinging,
ohne jedoch die Darstellung einer räumlichen Tiefe anzustreben; in den Figuren
war die Prvsilstellung, in ihrer Anordnung das Nebeneinander vorherrschend.
Erst in der weitem Entwicklung trat die Absicht, den Flächencindruck zu über¬
winden, mit größerer Bestimmtheit hervor. Für die Darstellung hinter einander
befindlicher Figuren ward der Reliefgruud stärker eingetieft und die Relief¬
erhebung nach der Tiefe mannichfach abgestuft; schließlich führte die Tendenz,
den Reliefgruud als solchen gewissermaßen verschwinden und die Figuren wie
im freien Raume erscheinen zu lassen, dazu, die Darstellung einer räumliche"
Umgebung in das Ncliefbild aufzunehmen, die Figuren mit einem architektonischen
oder landschaftlichen Hintergrunde zu versehen. Diese Art der Reliefbilduerei,
von der man bisher annahm, daß sie erst in der römischen Kunst zur eigent¬
lichen Ausbildung gelangte, war, wie wir jetzt wissen, bereits in der hellenistischen
Epoche mit solcher Entschiedenheit ausgeprägt, daß den Römern, wie Conze a. a. O.
bemerkt, in dieser Beziehung nichts Neues zu thun mehr übrig blieb.

In der Zeit unsers modernen Klassizismus pflegte man die letztbezeichnete
Art der Reliefbchandlung durchweg als eine Verirrung anzusehen, als ein un¬
berechtigtes Übergreifen in das Gebiet des Malerischen. Gegenwärtig ist diese
Ansicht nicht mehr die allgemein herrschende. Conze sagt a. ni. O, ausdrücklich,
daß das antike Relief nicht "in Verirrung, sondern in wirklicher Entwicklungs¬
tendenz" zu dieser malerischen Form gelangt, daß letztere als das Endziel zu
betrachten sei, auf welches die Entwicklung der griechischen Neliefkuust mit innerer
Notwendigkeit hinstrebte, daß eine malerische Tendenz schon in den frühern
Stadien dieser Entwicklung wirksam gewesen sei. Anders urteilt Hauck, indem er
im allgemeinen jener frühern Anschauung zustimmt. In dem Fortschreiten des
griechischen Reliefs von der ebeuflüchigeu Kouturcnzeichuuug zur Flächenwölbung,
in dem Bestrebe", den Flächeneindruck zu überwinden, sieht er zunächst nur ein
Hinzielen auf erhöhte plastische Wirkung; vor der hellenistischen Epoche sei in
der Entwicklung des Reliefs noch nicht ein Ausgehen auf malerischen Effekt zu
erkennen, im Gegenteil könne man von ihr behaupten, daß sie sich vom Malerischen
(d. h. von der ebenflächigen Abbildung) entferne. Das malerische Prinzip
bringe erst die hellenistische Kunst zur Geltung, indem sie die landschaftliche und
architektonische Jnszenirung aus der Malerei ins Relief übertrage und damit
die natürlichen Grenzen der Plastik überschreite.

Bis zu einem gewissen Punkte, so weit es sich um eine rein historische
Charakteristik der Neliefentwicklung handelt, lassen sich die Conzesche und die
Hancksche Ansicht, so sehr sie einander zu widersprechen scheinen, meines Tr¬
achtens miteinander vereinigen. In jeder derselben ist von der eigentümlichen
Doppelnatur des Reliefs, die sich in dem geschichtlichen Entwicklungsprozeß
notwendig mit immer schärferer Deutlichkeit ausspricht, vornehmlich nur eine
Seite ins Auge gefaßt.


Das Malerische in der Plastik.

geringere Wölbung gab, bald mehr, bald weniger lief in die Platte hineinging,
ohne jedoch die Darstellung einer räumlichen Tiefe anzustreben; in den Figuren
war die Prvsilstellung, in ihrer Anordnung das Nebeneinander vorherrschend.
Erst in der weitem Entwicklung trat die Absicht, den Flächencindruck zu über¬
winden, mit größerer Bestimmtheit hervor. Für die Darstellung hinter einander
befindlicher Figuren ward der Reliefgruud stärker eingetieft und die Relief¬
erhebung nach der Tiefe mannichfach abgestuft; schließlich führte die Tendenz,
den Reliefgruud als solchen gewissermaßen verschwinden und die Figuren wie
im freien Raume erscheinen zu lassen, dazu, die Darstellung einer räumliche»
Umgebung in das Ncliefbild aufzunehmen, die Figuren mit einem architektonischen
oder landschaftlichen Hintergrunde zu versehen. Diese Art der Reliefbilduerei,
von der man bisher annahm, daß sie erst in der römischen Kunst zur eigent¬
lichen Ausbildung gelangte, war, wie wir jetzt wissen, bereits in der hellenistischen
Epoche mit solcher Entschiedenheit ausgeprägt, daß den Römern, wie Conze a. a. O.
bemerkt, in dieser Beziehung nichts Neues zu thun mehr übrig blieb.

In der Zeit unsers modernen Klassizismus pflegte man die letztbezeichnete
Art der Reliefbchandlung durchweg als eine Verirrung anzusehen, als ein un¬
berechtigtes Übergreifen in das Gebiet des Malerischen. Gegenwärtig ist diese
Ansicht nicht mehr die allgemein herrschende. Conze sagt a. ni. O, ausdrücklich,
daß das antike Relief nicht „in Verirrung, sondern in wirklicher Entwicklungs¬
tendenz" zu dieser malerischen Form gelangt, daß letztere als das Endziel zu
betrachten sei, auf welches die Entwicklung der griechischen Neliefkuust mit innerer
Notwendigkeit hinstrebte, daß eine malerische Tendenz schon in den frühern
Stadien dieser Entwicklung wirksam gewesen sei. Anders urteilt Hauck, indem er
im allgemeinen jener frühern Anschauung zustimmt. In dem Fortschreiten des
griechischen Reliefs von der ebeuflüchigeu Kouturcnzeichuuug zur Flächenwölbung,
in dem Bestrebe», den Flächeneindruck zu überwinden, sieht er zunächst nur ein
Hinzielen auf erhöhte plastische Wirkung; vor der hellenistischen Epoche sei in
der Entwicklung des Reliefs noch nicht ein Ausgehen auf malerischen Effekt zu
erkennen, im Gegenteil könne man von ihr behaupten, daß sie sich vom Malerischen
(d. h. von der ebenflächigen Abbildung) entferne. Das malerische Prinzip
bringe erst die hellenistische Kunst zur Geltung, indem sie die landschaftliche und
architektonische Jnszenirung aus der Malerei ins Relief übertrage und damit
die natürlichen Grenzen der Plastik überschreite.

Bis zu einem gewissen Punkte, so weit es sich um eine rein historische
Charakteristik der Neliefentwicklung handelt, lassen sich die Conzesche und die
Hancksche Ansicht, so sehr sie einander zu widersprechen scheinen, meines Tr¬
achtens miteinander vereinigen. In jeder derselben ist von der eigentümlichen
Doppelnatur des Reliefs, die sich in dem geschichtlichen Entwicklungsprozeß
notwendig mit immer schärferer Deutlichkeit ausspricht, vornehmlich nur eine
Seite ins Auge gefaßt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197078"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Malerische in der Plastik.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1089" prev="#ID_1088"> geringere Wölbung gab, bald mehr, bald weniger lief in die Platte hineinging,<lb/>
ohne jedoch die Darstellung einer räumlichen Tiefe anzustreben; in den Figuren<lb/>
war die Prvsilstellung, in ihrer Anordnung das Nebeneinander vorherrschend.<lb/>
Erst in der weitem Entwicklung trat die Absicht, den Flächencindruck zu über¬<lb/>
winden, mit größerer Bestimmtheit hervor. Für die Darstellung hinter einander<lb/>
befindlicher Figuren ward der Reliefgruud stärker eingetieft und die Relief¬<lb/>
erhebung nach der Tiefe mannichfach abgestuft; schließlich führte die Tendenz,<lb/>
den Reliefgruud als solchen gewissermaßen verschwinden und die Figuren wie<lb/>
im freien Raume erscheinen zu lassen, dazu, die Darstellung einer räumliche»<lb/>
Umgebung in das Ncliefbild aufzunehmen, die Figuren mit einem architektonischen<lb/>
oder landschaftlichen Hintergrunde zu versehen. Diese Art der Reliefbilduerei,<lb/>
von der man bisher annahm, daß sie erst in der römischen Kunst zur eigent¬<lb/>
lichen Ausbildung gelangte, war, wie wir jetzt wissen, bereits in der hellenistischen<lb/>
Epoche mit solcher Entschiedenheit ausgeprägt, daß den Römern, wie Conze a. a. O.<lb/>
bemerkt, in dieser Beziehung nichts Neues zu thun mehr übrig blieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1090"> In der Zeit unsers modernen Klassizismus pflegte man die letztbezeichnete<lb/>
Art der Reliefbchandlung durchweg als eine Verirrung anzusehen, als ein un¬<lb/>
berechtigtes Übergreifen in das Gebiet des Malerischen. Gegenwärtig ist diese<lb/>
Ansicht nicht mehr die allgemein herrschende. Conze sagt a. ni. O, ausdrücklich,<lb/>
daß das antike Relief nicht &#x201E;in Verirrung, sondern in wirklicher Entwicklungs¬<lb/>
tendenz" zu dieser malerischen Form gelangt, daß letztere als das Endziel zu<lb/>
betrachten sei, auf welches die Entwicklung der griechischen Neliefkuust mit innerer<lb/>
Notwendigkeit hinstrebte, daß eine malerische Tendenz schon in den frühern<lb/>
Stadien dieser Entwicklung wirksam gewesen sei. Anders urteilt Hauck, indem er<lb/>
im allgemeinen jener frühern Anschauung zustimmt. In dem Fortschreiten des<lb/>
griechischen Reliefs von der ebeuflüchigeu Kouturcnzeichuuug zur Flächenwölbung,<lb/>
in dem Bestrebe», den Flächeneindruck zu überwinden, sieht er zunächst nur ein<lb/>
Hinzielen auf erhöhte plastische Wirkung; vor der hellenistischen Epoche sei in<lb/>
der Entwicklung des Reliefs noch nicht ein Ausgehen auf malerischen Effekt zu<lb/>
erkennen, im Gegenteil könne man von ihr behaupten, daß sie sich vom Malerischen<lb/>
(d. h. von der ebenflächigen Abbildung) entferne. Das malerische Prinzip<lb/>
bringe erst die hellenistische Kunst zur Geltung, indem sie die landschaftliche und<lb/>
architektonische Jnszenirung aus der Malerei ins Relief übertrage und damit<lb/>
die natürlichen Grenzen der Plastik überschreite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1091"> Bis zu einem gewissen Punkte, so weit es sich um eine rein historische<lb/>
Charakteristik der Neliefentwicklung handelt, lassen sich die Conzesche und die<lb/>
Hancksche Ansicht, so sehr sie einander zu widersprechen scheinen, meines Tr¬<lb/>
achtens miteinander vereinigen. In jeder derselben ist von der eigentümlichen<lb/>
Doppelnatur des Reliefs, die sich in dem geschichtlichen Entwicklungsprozeß<lb/>
notwendig mit immer schärferer Deutlichkeit ausspricht, vornehmlich nur eine<lb/>
Seite ins Auge gefaßt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] Das Malerische in der Plastik. geringere Wölbung gab, bald mehr, bald weniger lief in die Platte hineinging, ohne jedoch die Darstellung einer räumlichen Tiefe anzustreben; in den Figuren war die Prvsilstellung, in ihrer Anordnung das Nebeneinander vorherrschend. Erst in der weitem Entwicklung trat die Absicht, den Flächencindruck zu über¬ winden, mit größerer Bestimmtheit hervor. Für die Darstellung hinter einander befindlicher Figuren ward der Reliefgruud stärker eingetieft und die Relief¬ erhebung nach der Tiefe mannichfach abgestuft; schließlich führte die Tendenz, den Reliefgruud als solchen gewissermaßen verschwinden und die Figuren wie im freien Raume erscheinen zu lassen, dazu, die Darstellung einer räumliche» Umgebung in das Ncliefbild aufzunehmen, die Figuren mit einem architektonischen oder landschaftlichen Hintergrunde zu versehen. Diese Art der Reliefbilduerei, von der man bisher annahm, daß sie erst in der römischen Kunst zur eigent¬ lichen Ausbildung gelangte, war, wie wir jetzt wissen, bereits in der hellenistischen Epoche mit solcher Entschiedenheit ausgeprägt, daß den Römern, wie Conze a. a. O. bemerkt, in dieser Beziehung nichts Neues zu thun mehr übrig blieb. In der Zeit unsers modernen Klassizismus pflegte man die letztbezeichnete Art der Reliefbchandlung durchweg als eine Verirrung anzusehen, als ein un¬ berechtigtes Übergreifen in das Gebiet des Malerischen. Gegenwärtig ist diese Ansicht nicht mehr die allgemein herrschende. Conze sagt a. ni. O, ausdrücklich, daß das antike Relief nicht „in Verirrung, sondern in wirklicher Entwicklungs¬ tendenz" zu dieser malerischen Form gelangt, daß letztere als das Endziel zu betrachten sei, auf welches die Entwicklung der griechischen Neliefkuust mit innerer Notwendigkeit hinstrebte, daß eine malerische Tendenz schon in den frühern Stadien dieser Entwicklung wirksam gewesen sei. Anders urteilt Hauck, indem er im allgemeinen jener frühern Anschauung zustimmt. In dem Fortschreiten des griechischen Reliefs von der ebeuflüchigeu Kouturcnzeichuuug zur Flächenwölbung, in dem Bestrebe», den Flächeneindruck zu überwinden, sieht er zunächst nur ein Hinzielen auf erhöhte plastische Wirkung; vor der hellenistischen Epoche sei in der Entwicklung des Reliefs noch nicht ein Ausgehen auf malerischen Effekt zu erkennen, im Gegenteil könne man von ihr behaupten, daß sie sich vom Malerischen (d. h. von der ebenflächigen Abbildung) entferne. Das malerische Prinzip bringe erst die hellenistische Kunst zur Geltung, indem sie die landschaftliche und architektonische Jnszenirung aus der Malerei ins Relief übertrage und damit die natürlichen Grenzen der Plastik überschreite. Bis zu einem gewissen Punkte, so weit es sich um eine rein historische Charakteristik der Neliefentwicklung handelt, lassen sich die Conzesche und die Hancksche Ansicht, so sehr sie einander zu widersprechen scheinen, meines Tr¬ achtens miteinander vereinigen. In jeder derselben ist von der eigentümlichen Doppelnatur des Reliefs, die sich in dem geschichtlichen Entwicklungsprozeß notwendig mit immer schärferer Deutlichkeit ausspricht, vornehmlich nur eine Seite ins Auge gefaßt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/344>, abgerufen am 15.01.2025.