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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das Malerische in der Plastik.

durch die skulpturale Behandlung, durch den Charakter der plastischen Form
bestimmt werden. In der Marmorplastik während der eigentlichen Blütezeit der
griechischen Kunst findet sich bekanntlich durchgehends eine von der natürlichen
Form eigentümlich abweichende Bildung des Augapfels, die offenbar keinen
andern Zweck hatte, als den der Erzeugung eines lebendigen Lichtspieles; indem
man den Angapfel nicht kugelförmig, sondern mehr oder weniger abgeplattet
bildete, sodas; er sich der Form einer gebognen Fläche näherte, war es möglich,
mit dem tiefen Schatten unter dem stark vorspringenden obern Augenlid zugleich
auf der Höhe der Wölbung eine schärfere, intensivere Lichtwirkung entstehen zu
lassen, mit welcher zusammen die farbige Andeutung der Iris und der Pupille
allerdings Wohl imstande war, den Eindruck des lebendigen Blickes doppelt
wirksam hervorzurufen. In späterer Zeit begab sich die griechische Plastik,
indem sie anfing, den Augapfel, der Wirklichkeit entsprechend, völlig gerundet zu
bilden, schon mehrfach jenes Vorteils; die römische Marmorplastik suchte dafür
Ersatz, indem sie, gleichfalls zur Erzeugung eines bestimmten Lichteffekts, die
Iris und die Pupille durch das Eingraben eines Ringes und Punktes bezeich¬
nete, ein Verfahren, das in der spätern griechischen Skulptur nur erst aus¬
nahmsweise vorkommt.*)

Indessen, so wirksam die Skulptur das Auge zu gestalten imstande ist, so
sehr man die Feinheit der künstlerischen Erwägung bewundern wird, die sich in
der griechischen Plastik auch in diesem Punkte kundgiebt, so wird man doch sagen
müssen, daß der Bildhauer, weil er die Lichtwirkungen nicht in gleichem Maße
künstlerisch in der Gewalt hat, wie der Maler, mit diesem in der Darstellung
des Auges, dieses wundersamen geistigen Lichtpunktes im menschlichen Antlitz,
nicht rivalisiren kann. Eine gewisse Beschränktheit oder, wenn man will, eine
gewisse Unzulänglichkeit bleibt der Plastik in dieser Beziehung unter allen Um¬
ständen anhaften. In der Hauckschen Abhandlung wird die Ansicht geäußert,
daß der griechische Bildhauer im Bewußtsein der Schranken seiner Kunst "bei
farblosen Skulpturen gesucht habe, deu seelischen Ausdruck vorzugsweise in den
Mund zu verlegen." Das Hinzutreten der Farbe zu der plastischen Bildung
des Auges vermag freilich nach dem gesagten keine unbedingte Hilfe zu bringen.
Denn gerade das, wodurch die Malerei in der Darstellung des Auges die größte
Wirkung erzielt, kann die Färbung der plastischen Form unmöglich leisten, eben das
läßt sich in der Skulptur bis zu gewissem Grade nur durch plastische Mittel erreichen.

So kann mau in der That, so paradox es klingt, behaupten, daß malerische
Wirkungen in der Plastik nicht durch malerische Mittel, sondern wesentlich dnrch



*) Vergl. Overbeck, Berichte über die Verhandlungen der tgi. scichs. Gesellschaft der
Wissenschaften, XVI, 47 f.: "Einige Bemerkungen über die Epoche, seit der bei Marmorköpfen
Augenstern und Pupille cingehnuen worden sind;" auch eine Bemerkung Brunns in der
Abhandlung über die kunstgeschichtliche Stellung der pergamenischen Gigantomachie, Jahrbuch
der preußischen Museen. 1884. S. 267-
Das Malerische in der Plastik.

durch die skulpturale Behandlung, durch den Charakter der plastischen Form
bestimmt werden. In der Marmorplastik während der eigentlichen Blütezeit der
griechischen Kunst findet sich bekanntlich durchgehends eine von der natürlichen
Form eigentümlich abweichende Bildung des Augapfels, die offenbar keinen
andern Zweck hatte, als den der Erzeugung eines lebendigen Lichtspieles; indem
man den Angapfel nicht kugelförmig, sondern mehr oder weniger abgeplattet
bildete, sodas; er sich der Form einer gebognen Fläche näherte, war es möglich,
mit dem tiefen Schatten unter dem stark vorspringenden obern Augenlid zugleich
auf der Höhe der Wölbung eine schärfere, intensivere Lichtwirkung entstehen zu
lassen, mit welcher zusammen die farbige Andeutung der Iris und der Pupille
allerdings Wohl imstande war, den Eindruck des lebendigen Blickes doppelt
wirksam hervorzurufen. In späterer Zeit begab sich die griechische Plastik,
indem sie anfing, den Augapfel, der Wirklichkeit entsprechend, völlig gerundet zu
bilden, schon mehrfach jenes Vorteils; die römische Marmorplastik suchte dafür
Ersatz, indem sie, gleichfalls zur Erzeugung eines bestimmten Lichteffekts, die
Iris und die Pupille durch das Eingraben eines Ringes und Punktes bezeich¬
nete, ein Verfahren, das in der spätern griechischen Skulptur nur erst aus¬
nahmsweise vorkommt.*)

Indessen, so wirksam die Skulptur das Auge zu gestalten imstande ist, so
sehr man die Feinheit der künstlerischen Erwägung bewundern wird, die sich in
der griechischen Plastik auch in diesem Punkte kundgiebt, so wird man doch sagen
müssen, daß der Bildhauer, weil er die Lichtwirkungen nicht in gleichem Maße
künstlerisch in der Gewalt hat, wie der Maler, mit diesem in der Darstellung
des Auges, dieses wundersamen geistigen Lichtpunktes im menschlichen Antlitz,
nicht rivalisiren kann. Eine gewisse Beschränktheit oder, wenn man will, eine
gewisse Unzulänglichkeit bleibt der Plastik in dieser Beziehung unter allen Um¬
ständen anhaften. In der Hauckschen Abhandlung wird die Ansicht geäußert,
daß der griechische Bildhauer im Bewußtsein der Schranken seiner Kunst „bei
farblosen Skulpturen gesucht habe, deu seelischen Ausdruck vorzugsweise in den
Mund zu verlegen." Das Hinzutreten der Farbe zu der plastischen Bildung
des Auges vermag freilich nach dem gesagten keine unbedingte Hilfe zu bringen.
Denn gerade das, wodurch die Malerei in der Darstellung des Auges die größte
Wirkung erzielt, kann die Färbung der plastischen Form unmöglich leisten, eben das
läßt sich in der Skulptur bis zu gewissem Grade nur durch plastische Mittel erreichen.

So kann mau in der That, so paradox es klingt, behaupten, daß malerische
Wirkungen in der Plastik nicht durch malerische Mittel, sondern wesentlich dnrch



*) Vergl. Overbeck, Berichte über die Verhandlungen der tgi. scichs. Gesellschaft der
Wissenschaften, XVI, 47 f.: „Einige Bemerkungen über die Epoche, seit der bei Marmorköpfen
Augenstern und Pupille cingehnuen worden sind;" auch eine Bemerkung Brunns in der
Abhandlung über die kunstgeschichtliche Stellung der pergamenischen Gigantomachie, Jahrbuch
der preußischen Museen. 1884. S. 267-
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[0342] Das Malerische in der Plastik. durch die skulpturale Behandlung, durch den Charakter der plastischen Form bestimmt werden. In der Marmorplastik während der eigentlichen Blütezeit der griechischen Kunst findet sich bekanntlich durchgehends eine von der natürlichen Form eigentümlich abweichende Bildung des Augapfels, die offenbar keinen andern Zweck hatte, als den der Erzeugung eines lebendigen Lichtspieles; indem man den Angapfel nicht kugelförmig, sondern mehr oder weniger abgeplattet bildete, sodas; er sich der Form einer gebognen Fläche näherte, war es möglich, mit dem tiefen Schatten unter dem stark vorspringenden obern Augenlid zugleich auf der Höhe der Wölbung eine schärfere, intensivere Lichtwirkung entstehen zu lassen, mit welcher zusammen die farbige Andeutung der Iris und der Pupille allerdings Wohl imstande war, den Eindruck des lebendigen Blickes doppelt wirksam hervorzurufen. In späterer Zeit begab sich die griechische Plastik, indem sie anfing, den Augapfel, der Wirklichkeit entsprechend, völlig gerundet zu bilden, schon mehrfach jenes Vorteils; die römische Marmorplastik suchte dafür Ersatz, indem sie, gleichfalls zur Erzeugung eines bestimmten Lichteffekts, die Iris und die Pupille durch das Eingraben eines Ringes und Punktes bezeich¬ nete, ein Verfahren, das in der spätern griechischen Skulptur nur erst aus¬ nahmsweise vorkommt.*) Indessen, so wirksam die Skulptur das Auge zu gestalten imstande ist, so sehr man die Feinheit der künstlerischen Erwägung bewundern wird, die sich in der griechischen Plastik auch in diesem Punkte kundgiebt, so wird man doch sagen müssen, daß der Bildhauer, weil er die Lichtwirkungen nicht in gleichem Maße künstlerisch in der Gewalt hat, wie der Maler, mit diesem in der Darstellung des Auges, dieses wundersamen geistigen Lichtpunktes im menschlichen Antlitz, nicht rivalisiren kann. Eine gewisse Beschränktheit oder, wenn man will, eine gewisse Unzulänglichkeit bleibt der Plastik in dieser Beziehung unter allen Um¬ ständen anhaften. In der Hauckschen Abhandlung wird die Ansicht geäußert, daß der griechische Bildhauer im Bewußtsein der Schranken seiner Kunst „bei farblosen Skulpturen gesucht habe, deu seelischen Ausdruck vorzugsweise in den Mund zu verlegen." Das Hinzutreten der Farbe zu der plastischen Bildung des Auges vermag freilich nach dem gesagten keine unbedingte Hilfe zu bringen. Denn gerade das, wodurch die Malerei in der Darstellung des Auges die größte Wirkung erzielt, kann die Färbung der plastischen Form unmöglich leisten, eben das läßt sich in der Skulptur bis zu gewissem Grade nur durch plastische Mittel erreichen. So kann mau in der That, so paradox es klingt, behaupten, daß malerische Wirkungen in der Plastik nicht durch malerische Mittel, sondern wesentlich dnrch *) Vergl. Overbeck, Berichte über die Verhandlungen der tgi. scichs. Gesellschaft der Wissenschaften, XVI, 47 f.: „Einige Bemerkungen über die Epoche, seit der bei Marmorköpfen Augenstern und Pupille cingehnuen worden sind;" auch eine Bemerkung Brunns in der Abhandlung über die kunstgeschichtliche Stellung der pergamenischen Gigantomachie, Jahrbuch der preußischen Museen. 1884. S. 267-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/342>, abgerufen am 15.01.2025.