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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Gin Jesuit über Goethe.

Ankunft gestorben wäre? Baumgartner würde dann Goethe wohl zum Vatermörder
gemacht haben! Daß der Alte über die Anstellung des Sohnes, zu welcher der
Hof bei den Eltern die Erlaubnis einholen ließ, wirklich erfreut war, zeigt sein
einen Monat nach derselben geschriebener Brief an Schönborn. Freilich fiel
ihm die Abwesenheit des Sohnes oft schwer aufs Herz, und der Schmerz
darüber mag mit zu der Abstumpfung feiner Seele beigetragen haben. Aber
sollte Wolfgang dies wirklich gefürchtet haben? und mußte er, um die letzten
Lebensjahre seines Vaters zu verschönen, dem Drange seines Geistes widerstreben,
obgleich er nach seiner Erfahrung wußte, daß ein behagliches Zusammenleben
mit ihm unmöglich war? Mönch hätte Wolfgang wohl werden und dabei ein
guter Sohn bleiben können, hätte dies dem Alten auch das Herz gebrochen;
nur dem Drange seines Genius durfte er uicht folgen.

Zum Schlüsse (denn wer möchte diesen labyrinthischen Abgrund von Bos¬
heiten erschöpfen wollen!) noch einige Worte über Goethes Eintritt in den von
den Jesuiten tötlich gehaßten Freimaurerorden. Er soll "sich um das Schurzfell
bemüht haben, um vou Brüdern und Schwestern gepriesen zu werden" (S. 465),
auch dem Einfluß des Ordens später vielleicht zu gutem Teil seine Macht, seinen
Ruhm und seine literarische Weltstellung verdankt haben. Was doch die Frei¬
maurer nicht alles verschulden! Das, was ihn zum Eintritt in den Orden ver¬
anlaßte, hat Goethe in dem von Baumgartner selbst angeführten Briefe an Fritsch
so prosaisch nüchtern als möglich ausgesprochen. Dadurch seinen Einfluß als
Schriftsteller zu heben, konnte ihm damals (im Jahre 1780) umsoweniger ein¬
fallen, als ihm jeder literarische Ruhm und Erwerb fern lag, er, der nach
Baumgartner so geldsüchtig war, seine berühmten Werke den Nachdruckern
Preisgab, nichts zur Veröffentlichung bestimmte; erst als er im Jahre 1786
dem Drange nach Italien nicht länger widerstehen konnte, dachte er an eine
Ausgabe seiner Werke, deren Honorar ihm eine Beisteuer zu den Kosten seiner
Reise geben sollte. Zu den tollsten Einfällen Baumgartners gehört die Be¬
hauptung (S. 464), ein französisches Lied in einem französischen, zu Köln im
Jahre 1804 erschienenen Freimaurerliederbuche "werfe ein erklärendes Licht auf
Goethes Philosophie, Poesie und Leben." In diesem heißt es, die einfache
Natur vereinige in einem Maurer den lächelnden Epikur und den göttlichen
Plato, und zur Entschuldigung des Fernhaltens der Frauen vou den Fest¬
versammlungen wird in einer Anrede an die "zärtliche Liebe" bemerkt, des
Maurers Seele widerstrebe ihr nicht bestündig, seine Seufzer lobten die Süßig¬
keiten ihres Gesetzes und beim Verlassen der Loge gehöre jeder Bruder ihr an.
Baumgartner muß nach seiner Bemerkung etwas sehr Schlimmes darin gefunden
haben, ohne Zweifel die Andeutung, daß die Brüder entschiedne Epiturecr seien (trotz
des "göttlichen" Plato) und außerhalb der Loge sich dem freiesten Liebesgenuffe hin¬
gegeben hätten; denn wie sollte sonst dieses Lied ein erklärendes Licht ans "Goethes
Philosophie, Poesie und Leben" werfen, bieder Jesuit sich alle gleich schlecht denkt.


Gin Jesuit über Goethe.

Ankunft gestorben wäre? Baumgartner würde dann Goethe wohl zum Vatermörder
gemacht haben! Daß der Alte über die Anstellung des Sohnes, zu welcher der
Hof bei den Eltern die Erlaubnis einholen ließ, wirklich erfreut war, zeigt sein
einen Monat nach derselben geschriebener Brief an Schönborn. Freilich fiel
ihm die Abwesenheit des Sohnes oft schwer aufs Herz, und der Schmerz
darüber mag mit zu der Abstumpfung feiner Seele beigetragen haben. Aber
sollte Wolfgang dies wirklich gefürchtet haben? und mußte er, um die letzten
Lebensjahre seines Vaters zu verschönen, dem Drange seines Geistes widerstreben,
obgleich er nach seiner Erfahrung wußte, daß ein behagliches Zusammenleben
mit ihm unmöglich war? Mönch hätte Wolfgang wohl werden und dabei ein
guter Sohn bleiben können, hätte dies dem Alten auch das Herz gebrochen;
nur dem Drange seines Genius durfte er uicht folgen.

Zum Schlüsse (denn wer möchte diesen labyrinthischen Abgrund von Bos¬
heiten erschöpfen wollen!) noch einige Worte über Goethes Eintritt in den von
den Jesuiten tötlich gehaßten Freimaurerorden. Er soll „sich um das Schurzfell
bemüht haben, um vou Brüdern und Schwestern gepriesen zu werden" (S. 465),
auch dem Einfluß des Ordens später vielleicht zu gutem Teil seine Macht, seinen
Ruhm und seine literarische Weltstellung verdankt haben. Was doch die Frei¬
maurer nicht alles verschulden! Das, was ihn zum Eintritt in den Orden ver¬
anlaßte, hat Goethe in dem von Baumgartner selbst angeführten Briefe an Fritsch
so prosaisch nüchtern als möglich ausgesprochen. Dadurch seinen Einfluß als
Schriftsteller zu heben, konnte ihm damals (im Jahre 1780) umsoweniger ein¬
fallen, als ihm jeder literarische Ruhm und Erwerb fern lag, er, der nach
Baumgartner so geldsüchtig war, seine berühmten Werke den Nachdruckern
Preisgab, nichts zur Veröffentlichung bestimmte; erst als er im Jahre 1786
dem Drange nach Italien nicht länger widerstehen konnte, dachte er an eine
Ausgabe seiner Werke, deren Honorar ihm eine Beisteuer zu den Kosten seiner
Reise geben sollte. Zu den tollsten Einfällen Baumgartners gehört die Be¬
hauptung (S. 464), ein französisches Lied in einem französischen, zu Köln im
Jahre 1804 erschienenen Freimaurerliederbuche „werfe ein erklärendes Licht auf
Goethes Philosophie, Poesie und Leben." In diesem heißt es, die einfache
Natur vereinige in einem Maurer den lächelnden Epikur und den göttlichen
Plato, und zur Entschuldigung des Fernhaltens der Frauen vou den Fest¬
versammlungen wird in einer Anrede an die „zärtliche Liebe" bemerkt, des
Maurers Seele widerstrebe ihr nicht bestündig, seine Seufzer lobten die Süßig¬
keiten ihres Gesetzes und beim Verlassen der Loge gehöre jeder Bruder ihr an.
Baumgartner muß nach seiner Bemerkung etwas sehr Schlimmes darin gefunden
haben, ohne Zweifel die Andeutung, daß die Brüder entschiedne Epiturecr seien (trotz
des „göttlichen" Plato) und außerhalb der Loge sich dem freiesten Liebesgenuffe hin¬
gegeben hätten; denn wie sollte sonst dieses Lied ein erklärendes Licht ans „Goethes
Philosophie, Poesie und Leben" werfen, bieder Jesuit sich alle gleich schlecht denkt.


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[0335] Gin Jesuit über Goethe. Ankunft gestorben wäre? Baumgartner würde dann Goethe wohl zum Vatermörder gemacht haben! Daß der Alte über die Anstellung des Sohnes, zu welcher der Hof bei den Eltern die Erlaubnis einholen ließ, wirklich erfreut war, zeigt sein einen Monat nach derselben geschriebener Brief an Schönborn. Freilich fiel ihm die Abwesenheit des Sohnes oft schwer aufs Herz, und der Schmerz darüber mag mit zu der Abstumpfung feiner Seele beigetragen haben. Aber sollte Wolfgang dies wirklich gefürchtet haben? und mußte er, um die letzten Lebensjahre seines Vaters zu verschönen, dem Drange seines Geistes widerstreben, obgleich er nach seiner Erfahrung wußte, daß ein behagliches Zusammenleben mit ihm unmöglich war? Mönch hätte Wolfgang wohl werden und dabei ein guter Sohn bleiben können, hätte dies dem Alten auch das Herz gebrochen; nur dem Drange seines Genius durfte er uicht folgen. Zum Schlüsse (denn wer möchte diesen labyrinthischen Abgrund von Bos¬ heiten erschöpfen wollen!) noch einige Worte über Goethes Eintritt in den von den Jesuiten tötlich gehaßten Freimaurerorden. Er soll „sich um das Schurzfell bemüht haben, um vou Brüdern und Schwestern gepriesen zu werden" (S. 465), auch dem Einfluß des Ordens später vielleicht zu gutem Teil seine Macht, seinen Ruhm und seine literarische Weltstellung verdankt haben. Was doch die Frei¬ maurer nicht alles verschulden! Das, was ihn zum Eintritt in den Orden ver¬ anlaßte, hat Goethe in dem von Baumgartner selbst angeführten Briefe an Fritsch so prosaisch nüchtern als möglich ausgesprochen. Dadurch seinen Einfluß als Schriftsteller zu heben, konnte ihm damals (im Jahre 1780) umsoweniger ein¬ fallen, als ihm jeder literarische Ruhm und Erwerb fern lag, er, der nach Baumgartner so geldsüchtig war, seine berühmten Werke den Nachdruckern Preisgab, nichts zur Veröffentlichung bestimmte; erst als er im Jahre 1786 dem Drange nach Italien nicht länger widerstehen konnte, dachte er an eine Ausgabe seiner Werke, deren Honorar ihm eine Beisteuer zu den Kosten seiner Reise geben sollte. Zu den tollsten Einfällen Baumgartners gehört die Be¬ hauptung (S. 464), ein französisches Lied in einem französischen, zu Köln im Jahre 1804 erschienenen Freimaurerliederbuche „werfe ein erklärendes Licht auf Goethes Philosophie, Poesie und Leben." In diesem heißt es, die einfache Natur vereinige in einem Maurer den lächelnden Epikur und den göttlichen Plato, und zur Entschuldigung des Fernhaltens der Frauen vou den Fest¬ versammlungen wird in einer Anrede an die „zärtliche Liebe" bemerkt, des Maurers Seele widerstrebe ihr nicht bestündig, seine Seufzer lobten die Süßig¬ keiten ihres Gesetzes und beim Verlassen der Loge gehöre jeder Bruder ihr an. Baumgartner muß nach seiner Bemerkung etwas sehr Schlimmes darin gefunden haben, ohne Zweifel die Andeutung, daß die Brüder entschiedne Epiturecr seien (trotz des „göttlichen" Plato) und außerhalb der Loge sich dem freiesten Liebesgenuffe hin¬ gegeben hätten; denn wie sollte sonst dieses Lied ein erklärendes Licht ans „Goethes Philosophie, Poesie und Leben" werfen, bieder Jesuit sich alle gleich schlecht denkt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/335>, abgerufen am 15.01.2025.