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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Gin Jesuit über Goethe.

ebensowenig genannt war als der so edel sich rächende Einsender. Ich bewahre
die Sendung als eine Reliquie. Einige Jahre später gab Baumgartner "Goethes
Lehr- und Wanderjahre in Weimar und Italien" heraus, die ich ruhig ihren
Weg wandern ließ, da ich den bösen Geist kannte, der sie erzeugt hat. Soeben
ist nun mit der Bezeichnung "zweite, vermehrte und verbesserte Auflage" der erste
Band eines Werkes "Goethe. Sein Leben und seine Werke" (Freiburg i. B.,
Herder) erschienen, in welchem der Verfasser "mit Zuziehung der neuesten
Goethe-Literatur verschiedne Lücken ausgefüllt, sachliche Fehler zu verbessern
und der äußern Form mehr Abrundung zu geben versucht haben" will. Die
meisten der von mir beispielsweise gerügten groben Fehler haben sich auch in
die neue Ausgabe gerettet, was freilich wenig sagen will, da Unzuverlässigkeit
und Flüchtigkeit der Charakter der ganzen von Mißwollen eingegebenen Arbeit ist.
Selbstverständlich hat die katholische Kritik diesen schroffen Angriff auf den
berühmten deutschen Heiden willkommen geheißen, aber auch in einem viel ge¬
lesenen Blatte freierer Richtung wurde dem Verfasser zugestanden, er wisse gut
Bescheid in den Schriften von und über Goethe und befleißige sich manchmal
eines löblichen Strebens nach Objektivität. Bekanntlich sitzen die Gegner Goethes
nicht allein im Jesuitenlager und auf deu Kirchenbauten der strengen Recht¬
gläubigkeit, sondern auch ein guter Teil unsrer in Zeitschriften und Zeitungen
rechtsprechenden jüngern Literaten und Schöngeister ist gegen den Altmeister ver¬
stimmt, weil man über ihm die Schöpfungen der Gegenwart ungerecht vernach¬
lässige, und bedauert es am wenigsten, wenn derselbe derbe Stöße erleidet, deren
Ungerechtigkeit man aus unzulänglicher Kenntnis von Goethe selbst und den
Quellen seines Lebens auch weniger empfindet. Baumgartner hatte sich schon
vorher gegen Lessing versucht und Longfellows Dichtungen als ein literarisches
Zeitbild der geistigen Bestrebungen Nordamerikas dargestellt, auch später mehrere
Arbeiten geliefert, die von Geschick und Gewandtheit zeugen. Hier haben wir
es mit dem "Goetheforscher" zu thun, wie er in Parteiorganen genannt wird.
Bei dem Totschweigen von vielen Seiten, die zum Zeugnis der Wahrheit berufen
wären, ergreife ich gegen diese gewissenlose Mißhandlung der Wahrheit und unsers
nnivcrscllsten Dichters noch einmal das Wort.

Wenn man Baumgartner eine gute Kenntnis von Goethes Werken und
der betreffenden Literatur zugestand, so konnte dies nur von solchen geschehen,
die, da ihnen selbst eine solche abging, sich durch den Schein blenden ließen.
Seine Vertrautheit mit dem Dichter ist sehr oberflächlich und lückenhaft, keines¬
wegs so allseitig und eindringend, wie sie derjenige besitzen muß, der die
Summe vou Goethes schriftstellerischen Leistungen zu ziehen wagt; selbst die
bekanntesten Schriften, wenige ausgenommen, hat Baumgartner nur flüchtig gelesen,
nicht in sich aufgenommen. Die gangbaren Arbeiten über den Dichter hat er
zur Hand gehabt und daraus benutzt, was ihm gelegen schien. Die vielfachen,
freilich sehr ungleich gegebenen Zitate werden keinen Kenner täuschen. Viele


Gin Jesuit über Goethe.

ebensowenig genannt war als der so edel sich rächende Einsender. Ich bewahre
die Sendung als eine Reliquie. Einige Jahre später gab Baumgartner „Goethes
Lehr- und Wanderjahre in Weimar und Italien" heraus, die ich ruhig ihren
Weg wandern ließ, da ich den bösen Geist kannte, der sie erzeugt hat. Soeben
ist nun mit der Bezeichnung „zweite, vermehrte und verbesserte Auflage" der erste
Band eines Werkes „Goethe. Sein Leben und seine Werke" (Freiburg i. B.,
Herder) erschienen, in welchem der Verfasser „mit Zuziehung der neuesten
Goethe-Literatur verschiedne Lücken ausgefüllt, sachliche Fehler zu verbessern
und der äußern Form mehr Abrundung zu geben versucht haben" will. Die
meisten der von mir beispielsweise gerügten groben Fehler haben sich auch in
die neue Ausgabe gerettet, was freilich wenig sagen will, da Unzuverlässigkeit
und Flüchtigkeit der Charakter der ganzen von Mißwollen eingegebenen Arbeit ist.
Selbstverständlich hat die katholische Kritik diesen schroffen Angriff auf den
berühmten deutschen Heiden willkommen geheißen, aber auch in einem viel ge¬
lesenen Blatte freierer Richtung wurde dem Verfasser zugestanden, er wisse gut
Bescheid in den Schriften von und über Goethe und befleißige sich manchmal
eines löblichen Strebens nach Objektivität. Bekanntlich sitzen die Gegner Goethes
nicht allein im Jesuitenlager und auf deu Kirchenbauten der strengen Recht¬
gläubigkeit, sondern auch ein guter Teil unsrer in Zeitschriften und Zeitungen
rechtsprechenden jüngern Literaten und Schöngeister ist gegen den Altmeister ver¬
stimmt, weil man über ihm die Schöpfungen der Gegenwart ungerecht vernach¬
lässige, und bedauert es am wenigsten, wenn derselbe derbe Stöße erleidet, deren
Ungerechtigkeit man aus unzulänglicher Kenntnis von Goethe selbst und den
Quellen seines Lebens auch weniger empfindet. Baumgartner hatte sich schon
vorher gegen Lessing versucht und Longfellows Dichtungen als ein literarisches
Zeitbild der geistigen Bestrebungen Nordamerikas dargestellt, auch später mehrere
Arbeiten geliefert, die von Geschick und Gewandtheit zeugen. Hier haben wir
es mit dem „Goetheforscher" zu thun, wie er in Parteiorganen genannt wird.
Bei dem Totschweigen von vielen Seiten, die zum Zeugnis der Wahrheit berufen
wären, ergreife ich gegen diese gewissenlose Mißhandlung der Wahrheit und unsers
nnivcrscllsten Dichters noch einmal das Wort.

Wenn man Baumgartner eine gute Kenntnis von Goethes Werken und
der betreffenden Literatur zugestand, so konnte dies nur von solchen geschehen,
die, da ihnen selbst eine solche abging, sich durch den Schein blenden ließen.
Seine Vertrautheit mit dem Dichter ist sehr oberflächlich und lückenhaft, keines¬
wegs so allseitig und eindringend, wie sie derjenige besitzen muß, der die
Summe vou Goethes schriftstellerischen Leistungen zu ziehen wagt; selbst die
bekanntesten Schriften, wenige ausgenommen, hat Baumgartner nur flüchtig gelesen,
nicht in sich aufgenommen. Die gangbaren Arbeiten über den Dichter hat er
zur Hand gehabt und daraus benutzt, was ihm gelegen schien. Die vielfachen,
freilich sehr ungleich gegebenen Zitate werden keinen Kenner täuschen. Viele


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[0328] Gin Jesuit über Goethe. ebensowenig genannt war als der so edel sich rächende Einsender. Ich bewahre die Sendung als eine Reliquie. Einige Jahre später gab Baumgartner „Goethes Lehr- und Wanderjahre in Weimar und Italien" heraus, die ich ruhig ihren Weg wandern ließ, da ich den bösen Geist kannte, der sie erzeugt hat. Soeben ist nun mit der Bezeichnung „zweite, vermehrte und verbesserte Auflage" der erste Band eines Werkes „Goethe. Sein Leben und seine Werke" (Freiburg i. B., Herder) erschienen, in welchem der Verfasser „mit Zuziehung der neuesten Goethe-Literatur verschiedne Lücken ausgefüllt, sachliche Fehler zu verbessern und der äußern Form mehr Abrundung zu geben versucht haben" will. Die meisten der von mir beispielsweise gerügten groben Fehler haben sich auch in die neue Ausgabe gerettet, was freilich wenig sagen will, da Unzuverlässigkeit und Flüchtigkeit der Charakter der ganzen von Mißwollen eingegebenen Arbeit ist. Selbstverständlich hat die katholische Kritik diesen schroffen Angriff auf den berühmten deutschen Heiden willkommen geheißen, aber auch in einem viel ge¬ lesenen Blatte freierer Richtung wurde dem Verfasser zugestanden, er wisse gut Bescheid in den Schriften von und über Goethe und befleißige sich manchmal eines löblichen Strebens nach Objektivität. Bekanntlich sitzen die Gegner Goethes nicht allein im Jesuitenlager und auf deu Kirchenbauten der strengen Recht¬ gläubigkeit, sondern auch ein guter Teil unsrer in Zeitschriften und Zeitungen rechtsprechenden jüngern Literaten und Schöngeister ist gegen den Altmeister ver¬ stimmt, weil man über ihm die Schöpfungen der Gegenwart ungerecht vernach¬ lässige, und bedauert es am wenigsten, wenn derselbe derbe Stöße erleidet, deren Ungerechtigkeit man aus unzulänglicher Kenntnis von Goethe selbst und den Quellen seines Lebens auch weniger empfindet. Baumgartner hatte sich schon vorher gegen Lessing versucht und Longfellows Dichtungen als ein literarisches Zeitbild der geistigen Bestrebungen Nordamerikas dargestellt, auch später mehrere Arbeiten geliefert, die von Geschick und Gewandtheit zeugen. Hier haben wir es mit dem „Goetheforscher" zu thun, wie er in Parteiorganen genannt wird. Bei dem Totschweigen von vielen Seiten, die zum Zeugnis der Wahrheit berufen wären, ergreife ich gegen diese gewissenlose Mißhandlung der Wahrheit und unsers nnivcrscllsten Dichters noch einmal das Wort. Wenn man Baumgartner eine gute Kenntnis von Goethes Werken und der betreffenden Literatur zugestand, so konnte dies nur von solchen geschehen, die, da ihnen selbst eine solche abging, sich durch den Schein blenden ließen. Seine Vertrautheit mit dem Dichter ist sehr oberflächlich und lückenhaft, keines¬ wegs so allseitig und eindringend, wie sie derjenige besitzen muß, der die Summe vou Goethes schriftstellerischen Leistungen zu ziehen wagt; selbst die bekanntesten Schriften, wenige ausgenommen, hat Baumgartner nur flüchtig gelesen, nicht in sich aufgenommen. Die gangbaren Arbeiten über den Dichter hat er zur Hand gehabt und daraus benutzt, was ihm gelegen schien. Die vielfachen, freilich sehr ungleich gegebenen Zitate werden keinen Kenner täuschen. Viele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/328>, abgerufen am 15.01.2025.