Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zum Sozialistengesetz. Erfolge zeitige, so imponirt das den Wortführern nicht, denn sie finden auch Die andre Weise, alle Energie der gegenwärtigen Bekämpfung der Sozial¬ Zum Sozialistengesetz. Erfolge zeitige, so imponirt das den Wortführern nicht, denn sie finden auch Die andre Weise, alle Energie der gegenwärtigen Bekämpfung der Sozial¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197059"/> <fw type="header" place="top"> Zum Sozialistengesetz.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1047" prev="#ID_1046"> Erfolge zeitige, so imponirt das den Wortführern nicht, denn sie finden auch<lb/> in jenen Ländern noch Stellen, wo die katholische Kirche nicht frei genug ist<lb/> und ihren Zauber noch nicht genügend produziren kann, um dem Zauber der<lb/> Begehrlichkeit zu begegnen. In diesen edeln Wetteifer der guten und bösen Geister<lb/> mischen mir uns jetzt nicht. Mochten alle ihre Pflicht thun, die dem Bösen<lb/> Widerstand leisten können, aber möglichst solange es noch Zeit ist, nicht später,<lb/> wenn die katholischen Kirchen mit Petroleum verbrannt werden, und die Bischöfe<lb/> auf den Gefängnishöfen den Märtyrertod erleiden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1048" next="#ID_1049"> Die andre Weise, alle Energie der gegenwärtigen Bekämpfung der Sozial¬<lb/> demokratie zu töten, sehen wir in einem Mißbrauch des Buches von A. Schnsfle,<lb/> in welchem er die Aussichtslosigkeit der Sozialdemokratie in seiner Weise gründlich<lb/> erörtert. Wer sich durch das Buch hindurcharbeitet, wird belohnt dnrch manche<lb/> theoretische Aufhellung schwieriger Punkte. Und diese Seite der Schrift ist auch<lb/> die zuletzt entscheidende. Es ist gleichwohl richtig, wenn auch kein Vorwurf,<lb/> wenn in den Preußischen Jahrbüchern (Oktober) gesagt wird, auch Schäffle wisse<lb/> in gewissen Fragen des Handwerks u. s. w. keine praktische Auskunft. Zu<lb/> praktischen Dingen in diesem schwierigsten aller Kämpfe kommen wir trotz aller<lb/> Anstrengung noch nicht sofort. Was wir aber als Mißbrauch des Schäffleschen<lb/> Buches bezeichnen, ist dies. Wenn wir einen geläufigen Gedankengang bei<lb/> Schäffle wiedergeben sollen, so sagt er, diese oder jene sozialistische Idee ließe<lb/> sich wohl verwirklichen, wenn man die Kollektivregierung der Zukunft autoritär,<lb/> durchgreifend, despotisch u. s. w. gestalten dürfe; da man aber demokratisch und<lb/> das Individuum möglichst schonend regieren wolle, so gehe es nicht, und die<lb/> Sache sei in sich widersprechend. Man sieht, wie der verehrte Verfasser es meint<lb/> er bleibt in seiner theoretischen Sphäre und will durchaus uicht raten oder ab¬<lb/> raten in praktischer Beziehung. Und das wäre auch umso thörichter, als jene<lb/> Argumentation nur eine prophetische ist. Sie wird daher nur demjenigen ein¬<lb/> leuchten, der sich in Bezug auf die gegebene Menschennatur und ihre Unvoll-<lb/> kommenheiten von vornherein mit Schäffle einig weiß. Sie wird aber für<lb/> jeden andern untriftig sein. Der sozialistische Enthusiast glaubt zu wissen, daß,<lb/> wenn man nur ernstlich den Versuch macht, die Sache geht und die neue<lb/> Kollektivwirtschaft trotz Schäffle es fertig bringt, jeden einzelnen zur angemessenen<lb/> Arbeit zu zwingen und doch seine freie Entwicklung zu schonen. Das ist aller¬<lb/> dings ein richtiges Wunder, aber schon seit Fourier hat der Sozialismus gern<lb/> mit Wundern gerechnet, wie die Verwandlung des Seewassers in Limonade und<lb/> die Benutzung von Seetieren bei der Überwindung von lästigen Windstillen<lb/> beweist. Und schließlich, wenn es sich nun bei einem sozialdemokratischen Ver¬<lb/> suche zeigte, daß in der That Schäffle Recht hätte, daß die Kollektivwirtschaft,<lb/> um die Leute zu erhalten, wohl einen Arbeitszwang ausüben müßte, aber an<lb/> eine würdige Behandlung der menschlichen Freiheit und an eine Schonung der<lb/> Individualität nicht denken könnte, würde dann die Sache erledigt sein? ließe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0325]
Zum Sozialistengesetz.
Erfolge zeitige, so imponirt das den Wortführern nicht, denn sie finden auch
in jenen Ländern noch Stellen, wo die katholische Kirche nicht frei genug ist
und ihren Zauber noch nicht genügend produziren kann, um dem Zauber der
Begehrlichkeit zu begegnen. In diesen edeln Wetteifer der guten und bösen Geister
mischen mir uns jetzt nicht. Mochten alle ihre Pflicht thun, die dem Bösen
Widerstand leisten können, aber möglichst solange es noch Zeit ist, nicht später,
wenn die katholischen Kirchen mit Petroleum verbrannt werden, und die Bischöfe
auf den Gefängnishöfen den Märtyrertod erleiden.
Die andre Weise, alle Energie der gegenwärtigen Bekämpfung der Sozial¬
demokratie zu töten, sehen wir in einem Mißbrauch des Buches von A. Schnsfle,
in welchem er die Aussichtslosigkeit der Sozialdemokratie in seiner Weise gründlich
erörtert. Wer sich durch das Buch hindurcharbeitet, wird belohnt dnrch manche
theoretische Aufhellung schwieriger Punkte. Und diese Seite der Schrift ist auch
die zuletzt entscheidende. Es ist gleichwohl richtig, wenn auch kein Vorwurf,
wenn in den Preußischen Jahrbüchern (Oktober) gesagt wird, auch Schäffle wisse
in gewissen Fragen des Handwerks u. s. w. keine praktische Auskunft. Zu
praktischen Dingen in diesem schwierigsten aller Kämpfe kommen wir trotz aller
Anstrengung noch nicht sofort. Was wir aber als Mißbrauch des Schäffleschen
Buches bezeichnen, ist dies. Wenn wir einen geläufigen Gedankengang bei
Schäffle wiedergeben sollen, so sagt er, diese oder jene sozialistische Idee ließe
sich wohl verwirklichen, wenn man die Kollektivregierung der Zukunft autoritär,
durchgreifend, despotisch u. s. w. gestalten dürfe; da man aber demokratisch und
das Individuum möglichst schonend regieren wolle, so gehe es nicht, und die
Sache sei in sich widersprechend. Man sieht, wie der verehrte Verfasser es meint
er bleibt in seiner theoretischen Sphäre und will durchaus uicht raten oder ab¬
raten in praktischer Beziehung. Und das wäre auch umso thörichter, als jene
Argumentation nur eine prophetische ist. Sie wird daher nur demjenigen ein¬
leuchten, der sich in Bezug auf die gegebene Menschennatur und ihre Unvoll-
kommenheiten von vornherein mit Schäffle einig weiß. Sie wird aber für
jeden andern untriftig sein. Der sozialistische Enthusiast glaubt zu wissen, daß,
wenn man nur ernstlich den Versuch macht, die Sache geht und die neue
Kollektivwirtschaft trotz Schäffle es fertig bringt, jeden einzelnen zur angemessenen
Arbeit zu zwingen und doch seine freie Entwicklung zu schonen. Das ist aller¬
dings ein richtiges Wunder, aber schon seit Fourier hat der Sozialismus gern
mit Wundern gerechnet, wie die Verwandlung des Seewassers in Limonade und
die Benutzung von Seetieren bei der Überwindung von lästigen Windstillen
beweist. Und schließlich, wenn es sich nun bei einem sozialdemokratischen Ver¬
suche zeigte, daß in der That Schäffle Recht hätte, daß die Kollektivwirtschaft,
um die Leute zu erhalten, wohl einen Arbeitszwang ausüben müßte, aber an
eine würdige Behandlung der menschlichen Freiheit und an eine Schonung der
Individualität nicht denken könnte, würde dann die Sache erledigt sein? ließe
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