Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Das Feuilleton ans dem Theater, Mi'<?vus Von Victorien Sardon. Wunderlich genug, das; unsereins auf diese Doch um von diesen Ausführungen wieder zu unserm Thema zurückzukehren, Dreimal gewichtig wirkt alles, was vom Theater herab ins Volk dringt. Das Feuilleton ans dem Theater, Mi'<?vus Von Victorien Sardon. Wunderlich genug, das; unsereins auf diese Doch um von diesen Ausführungen wieder zu unserm Thema zurückzukehren, Dreimal gewichtig wirkt alles, was vom Theater herab ins Volk dringt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197034"/> <fw type="header" place="top"> Das Feuilleton ans dem Theater,</fw><lb/> <p xml:id="ID_941" prev="#ID_940"> Mi'<?vus Von Victorien Sardon. Wunderlich genug, das; unsereins auf diese<lb/> Entlehnung aufmerksam machen muß, die wir durchaus keinen Anspruch auf<lb/> besonders genaue Kenntnis der neuesten französischen Bühnenlitcratur erheben,<lb/> Auch dort wird ein Roue, der gleichfalls nicht an weibliche Tugend und<lb/> Reinheit glaubt, nachdem er einer solchen vergebens nachgestellt hat, durch ihre<lb/> übcrmältigcuden Zauber entwaffnet. Die Anlehnung erstreckt sich bis auf<lb/> Äußerlichkeiten. Auch er steht unter dem Banne der ,,großen, erstaunten Augen,"<lb/> (bei Blumenthal „Kinderaugen"), anch ihm wird in aller Unschuld gesagt, er<lb/> solle ja „ein ganz gefährlicher Mensch" sein. Auch er kramt in alten Papieren<lb/> und findet dabei entscheidende Dokumente. Daraus hat nun Blumenthal seine<lb/> „große Szene" gemacht, und Frau Niemann spielt sie so hinreißend, daß man<lb/> von da an alles mit in den Kauf nimmt, die Glorifizirung des schändlichen<lb/> Menschen, der nach eigner Andeutung im zweiten und vierten Akt den ganzen<lb/> teuflischen Apparat seiner niedrigen Zwecke wegen selbst in Bewegung gesetzt<lb/> hat, seinen Triumph vor der geliebten Frau, der er uun wirklich gefährlich wird,<lb/> seine ebenso bequeme als poetische Empfehlung ans baldiges Wiedersehen in dem<lb/> gewichtigen vierten Akt. Bei Sardon erwächst dem frevelnden Versucher ein<lb/> Rächer in seinem eignen Sohne, dem Sohne der Sünde, die jetzt an ihm gerächt<lb/> wird, den: Sohne, den er in dem Augenblicke erkennen muß, wo dieser ihn zum ent¬<lb/> setzlichsten Zweikampfe herausfordert, beschimpft, mit Füßen tritt. Das ist Sardous<lb/> N'Mas se-önö; wir wollen nicht weiter mit seinem Stücke rechnen, sondern setzen es<lb/> bloß vom obigen Gesichtspunkte in Parallele mit der schwächlichen Nachahmung.</p><lb/> <p xml:id="ID_942"> Doch um von diesen Ausführungen wieder zu unserm Thema zurückzukehren,<lb/> so möge eine bescheidne Mahnung an das deutsche Publikum und die deutscheu<lb/> Theater diese Studie beschließen. Das Feuilleton auf dem Theater ist nicht<lb/> so harmlos wie das nnter dem Strich, Wir reden hier nicht von der beiden<lb/> gemeinsamen Neigung zu Indiskretionen und Klatsch; gegen Ausschreitungen in<lb/> dieser Hinsicht haben wir Gott sei Dank eine Polizei, so verhängnisvoll sie<lb/> zwar auch dann noch werden können. Aber gegen etwas andres giebt es keine<lb/> Polizei, dessen Abwehr von nicht minder allgemeinem, von höherem Interesse<lb/> ist: gegen Verflachung und Verflüchtigung von Kunst, Geschmack und originaler<lb/> Lebensanschauung. Man geht nicht ins Theater, um dort abgeblaßte Äugen-<lb/> blicksbilder einer Schablonenwelt zu finden, das Theater soll der Zauberspiegel<lb/> sein, in dem das Leben sich zeichnet, wie wir es nicht vermuten, „wie es eigentlich<lb/> ist oder wie es sein soll." Und sei es der Spiegel der alten Berliner Posse,<lb/> wenn er nur hell, klar und scharf ist, er erfüllt heilten Zweck. Das Feuilleton<lb/> aber hat auf dem Theater keinen Zweck, hier erzeugt es Puppen, neben denen<lb/> Benedixsche und Mosersche Gestalten Kernmenschen sind, Situationen, welche<lb/> denen der Birch-Pfeiffer ein Interesse nachstehen, eine Redeweise, die zu hohlem<lb/> Geschwätz förmliche Anleitung giebt. Namentlich das letztere beachte man. Man<lb/> hat gesagt, die Personen dieser Stücke redeten einen Stil; das könnte man sich<lb/> gefallen 'lassen, wenn es der eines Corneille und Lessing wäre. Wir behaupten,<lb/> sie reden gar keinen Stil, sondern einfach Feuilleton.</p><lb/> <p xml:id="ID_943"> Dreimal gewichtig wirkt alles, was vom Theater herab ins Volk dringt.<lb/> In ihrem Interesse mögen sich daher die Theater hüten, unter ihre Sphäre zu<lb/> steigen. Ein Kritiker der Sardouschen Theodora spricht die Befürchtung aus,<lb/> es möchte von da wohl nicht mehr weit sein bis zum Zirkus und starken Manu,<lb/> Nun, auf das Feuilleton folgt zunächst nur das „Lokale." Wir gratuliren<lb/> der Zukunft. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
Das Feuilleton ans dem Theater,
Mi'<?vus Von Victorien Sardon. Wunderlich genug, das; unsereins auf diese
Entlehnung aufmerksam machen muß, die wir durchaus keinen Anspruch auf
besonders genaue Kenntnis der neuesten französischen Bühnenlitcratur erheben,
Auch dort wird ein Roue, der gleichfalls nicht an weibliche Tugend und
Reinheit glaubt, nachdem er einer solchen vergebens nachgestellt hat, durch ihre
übcrmältigcuden Zauber entwaffnet. Die Anlehnung erstreckt sich bis auf
Äußerlichkeiten. Auch er steht unter dem Banne der ,,großen, erstaunten Augen,"
(bei Blumenthal „Kinderaugen"), anch ihm wird in aller Unschuld gesagt, er
solle ja „ein ganz gefährlicher Mensch" sein. Auch er kramt in alten Papieren
und findet dabei entscheidende Dokumente. Daraus hat nun Blumenthal seine
„große Szene" gemacht, und Frau Niemann spielt sie so hinreißend, daß man
von da an alles mit in den Kauf nimmt, die Glorifizirung des schändlichen
Menschen, der nach eigner Andeutung im zweiten und vierten Akt den ganzen
teuflischen Apparat seiner niedrigen Zwecke wegen selbst in Bewegung gesetzt
hat, seinen Triumph vor der geliebten Frau, der er uun wirklich gefährlich wird,
seine ebenso bequeme als poetische Empfehlung ans baldiges Wiedersehen in dem
gewichtigen vierten Akt. Bei Sardon erwächst dem frevelnden Versucher ein
Rächer in seinem eignen Sohne, dem Sohne der Sünde, die jetzt an ihm gerächt
wird, den: Sohne, den er in dem Augenblicke erkennen muß, wo dieser ihn zum ent¬
setzlichsten Zweikampfe herausfordert, beschimpft, mit Füßen tritt. Das ist Sardous
N'Mas se-önö; wir wollen nicht weiter mit seinem Stücke rechnen, sondern setzen es
bloß vom obigen Gesichtspunkte in Parallele mit der schwächlichen Nachahmung.
Doch um von diesen Ausführungen wieder zu unserm Thema zurückzukehren,
so möge eine bescheidne Mahnung an das deutsche Publikum und die deutscheu
Theater diese Studie beschließen. Das Feuilleton auf dem Theater ist nicht
so harmlos wie das nnter dem Strich, Wir reden hier nicht von der beiden
gemeinsamen Neigung zu Indiskretionen und Klatsch; gegen Ausschreitungen in
dieser Hinsicht haben wir Gott sei Dank eine Polizei, so verhängnisvoll sie
zwar auch dann noch werden können. Aber gegen etwas andres giebt es keine
Polizei, dessen Abwehr von nicht minder allgemeinem, von höherem Interesse
ist: gegen Verflachung und Verflüchtigung von Kunst, Geschmack und originaler
Lebensanschauung. Man geht nicht ins Theater, um dort abgeblaßte Äugen-
blicksbilder einer Schablonenwelt zu finden, das Theater soll der Zauberspiegel
sein, in dem das Leben sich zeichnet, wie wir es nicht vermuten, „wie es eigentlich
ist oder wie es sein soll." Und sei es der Spiegel der alten Berliner Posse,
wenn er nur hell, klar und scharf ist, er erfüllt heilten Zweck. Das Feuilleton
aber hat auf dem Theater keinen Zweck, hier erzeugt es Puppen, neben denen
Benedixsche und Mosersche Gestalten Kernmenschen sind, Situationen, welche
denen der Birch-Pfeiffer ein Interesse nachstehen, eine Redeweise, die zu hohlem
Geschwätz förmliche Anleitung giebt. Namentlich das letztere beachte man. Man
hat gesagt, die Personen dieser Stücke redeten einen Stil; das könnte man sich
gefallen 'lassen, wenn es der eines Corneille und Lessing wäre. Wir behaupten,
sie reden gar keinen Stil, sondern einfach Feuilleton.
Dreimal gewichtig wirkt alles, was vom Theater herab ins Volk dringt.
In ihrem Interesse mögen sich daher die Theater hüten, unter ihre Sphäre zu
steigen. Ein Kritiker der Sardouschen Theodora spricht die Befürchtung aus,
es möchte von da wohl nicht mehr weit sein bis zum Zirkus und starken Manu,
Nun, auf das Feuilleton folgt zunächst nur das „Lokale." Wir gratuliren
der Zukunft.
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