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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das Feuilleton ans dem Theater.

und der Name des Fürsten, der so hochsiunig sein Land verrät, für den übrigens
die findige Presse, ohne mit dem Strafgesetz in Konflikt zu kommen, bereits ein
Modell aufzustellen gewagt hat. Der unmögliche politische Hintergrund, sagt
man. Der unsinnige, sollte man lieber sagen. Und wie fein, wie elegant das
alles angefaßt ist, beinahe so fein und elegant wie die Manieren der vornehmen
Gesellschaft des Stückes, deren "Gepflogenheiten" an Berlin 0., deren Denkweise
um die Börse, deren rührendes Familienleben an "Mein Leopold" gemahnt.
Diese plumpe Behandlung des Themas ist man allerdings bei Blumenthal ge¬
wöhnt aus dem "Prvbepfeil," wo eine detaillirte Vorlesung über diesen so planen,
so wenig neuen und im Verlaufe so breit getretenen Vorwurf gehalten wird,
aus der "Großen Glocke," wo der Stieftochter ihre Stellung als umgekehrtes
Aschenbrödel für solche, die es etwa nicht gemerkt haben, noch im dritten Akte
ganz besonders klar gemacht wird. Es wäre interessant zu beobachte", wie ein
an die geistreiche Verarbeitung der Tagesinteressen auf der Bühne gewöhnter
Franzose sich solchen Zannpfahlwinken gegenüber verhalten würde. Lachen ivürde
er nicht, ebensowenig wie die Personen in diesen Stücken, die sich doch eigent¬
lich gegenseitig furchtbar komisch vorkommen müssen, aber nur weil er mehr Er¬
ziehung hat als sie. Dem deutschen Zuhörer, der ihm gegenüber gern stolz
Ware auf deutschen Geist und deutschen Geschmack, dürfte es auch nicht gerade
lächerlich zu Mute sein. In ihm ertötet das bittere Gefühl anfgezwungener
Resignation jede Lachlust. Also dazu ladet mau jetzt eine ganze große Stadt
of Theater, dazu die vielen Lichter, die prächtigen Dekorationen, die hohen
Eintrittspreise! Das ist die Errungenschaft der neuen Kunst des Dialogs,
von der die deutsche Dramaturgie von Lessing bis ans Gustav Freytag nichts
wußte! Das Feuilleton auf dem Theater! Und schlingt sich wirklich einmal
durch das Labyrinth dieser Kohlgarten der grob gesponnene Faden einer noch
so verdrehten Handlung, so gerät die Clique außer sich vor Entzücken und das
Publikum -- es ist jn in der Beziehung so wenig verwöhnt und so dankbar!

Freilich wenn es einigermaßen kritisch wäre, so müßte es die Fenillcton-
stiicke ohne Handlung einem solchen "mit" doch noch vorziehen. Der Konflikt
(denn ein solcher, ethisch oder kausal, ist der Kern jeder Handlung) ist hier der
bekannte: Liebe (Pflicht, Unschuld, Ehre) gegen Kabale. Die Lösungen sind
sehr mannichfach, nie aber schließt die Unschuld mit der Kabale einen Kompromiß.
Weil dies hier geschehen soll, so nuet er ganz nonchalant aufgegeben und dafür
tänzelt ein andrer herein, der Kampf des guten und bösen Prinzips in der
Menschenbrust, tragisch wunderbar im Maebeth, mit glücklichem Ausgang in
Stücken wie dem Wintermürchen, am erhabensten im zweiten Teile des Faust
gewendet. Wie gesagt, er tänzelt nur herein, denn zur wirkliche" Ausführung
gehört gerade bei glücklichen" Ausgange eine tüchtige Bearbeitung des Schuldigen
durch die Keulenschläge des Schicksals und des Gewissens. Das geschieht sogar
w dem Stücke, aus dem diese Seite der Handlung "entlehnt" ist, in den Vioux


Das Feuilleton ans dem Theater.

und der Name des Fürsten, der so hochsiunig sein Land verrät, für den übrigens
die findige Presse, ohne mit dem Strafgesetz in Konflikt zu kommen, bereits ein
Modell aufzustellen gewagt hat. Der unmögliche politische Hintergrund, sagt
man. Der unsinnige, sollte man lieber sagen. Und wie fein, wie elegant das
alles angefaßt ist, beinahe so fein und elegant wie die Manieren der vornehmen
Gesellschaft des Stückes, deren „Gepflogenheiten" an Berlin 0., deren Denkweise
um die Börse, deren rührendes Familienleben an „Mein Leopold" gemahnt.
Diese plumpe Behandlung des Themas ist man allerdings bei Blumenthal ge¬
wöhnt aus dem „Prvbepfeil," wo eine detaillirte Vorlesung über diesen so planen,
so wenig neuen und im Verlaufe so breit getretenen Vorwurf gehalten wird,
aus der „Großen Glocke," wo der Stieftochter ihre Stellung als umgekehrtes
Aschenbrödel für solche, die es etwa nicht gemerkt haben, noch im dritten Akte
ganz besonders klar gemacht wird. Es wäre interessant zu beobachte», wie ein
an die geistreiche Verarbeitung der Tagesinteressen auf der Bühne gewöhnter
Franzose sich solchen Zannpfahlwinken gegenüber verhalten würde. Lachen ivürde
er nicht, ebensowenig wie die Personen in diesen Stücken, die sich doch eigent¬
lich gegenseitig furchtbar komisch vorkommen müssen, aber nur weil er mehr Er¬
ziehung hat als sie. Dem deutschen Zuhörer, der ihm gegenüber gern stolz
Ware auf deutschen Geist und deutschen Geschmack, dürfte es auch nicht gerade
lächerlich zu Mute sein. In ihm ertötet das bittere Gefühl anfgezwungener
Resignation jede Lachlust. Also dazu ladet mau jetzt eine ganze große Stadt
of Theater, dazu die vielen Lichter, die prächtigen Dekorationen, die hohen
Eintrittspreise! Das ist die Errungenschaft der neuen Kunst des Dialogs,
von der die deutsche Dramaturgie von Lessing bis ans Gustav Freytag nichts
wußte! Das Feuilleton auf dem Theater! Und schlingt sich wirklich einmal
durch das Labyrinth dieser Kohlgarten der grob gesponnene Faden einer noch
so verdrehten Handlung, so gerät die Clique außer sich vor Entzücken und das
Publikum — es ist jn in der Beziehung so wenig verwöhnt und so dankbar!

Freilich wenn es einigermaßen kritisch wäre, so müßte es die Fenillcton-
stiicke ohne Handlung einem solchen „mit" doch noch vorziehen. Der Konflikt
(denn ein solcher, ethisch oder kausal, ist der Kern jeder Handlung) ist hier der
bekannte: Liebe (Pflicht, Unschuld, Ehre) gegen Kabale. Die Lösungen sind
sehr mannichfach, nie aber schließt die Unschuld mit der Kabale einen Kompromiß.
Weil dies hier geschehen soll, so nuet er ganz nonchalant aufgegeben und dafür
tänzelt ein andrer herein, der Kampf des guten und bösen Prinzips in der
Menschenbrust, tragisch wunderbar im Maebeth, mit glücklichem Ausgang in
Stücken wie dem Wintermürchen, am erhabensten im zweiten Teile des Faust
gewendet. Wie gesagt, er tänzelt nur herein, denn zur wirkliche» Ausführung
gehört gerade bei glücklichen» Ausgange eine tüchtige Bearbeitung des Schuldigen
durch die Keulenschläge des Schicksals und des Gewissens. Das geschieht sogar
w dem Stücke, aus dem diese Seite der Handlung „entlehnt" ist, in den Vioux


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[0299] Das Feuilleton ans dem Theater. und der Name des Fürsten, der so hochsiunig sein Land verrät, für den übrigens die findige Presse, ohne mit dem Strafgesetz in Konflikt zu kommen, bereits ein Modell aufzustellen gewagt hat. Der unmögliche politische Hintergrund, sagt man. Der unsinnige, sollte man lieber sagen. Und wie fein, wie elegant das alles angefaßt ist, beinahe so fein und elegant wie die Manieren der vornehmen Gesellschaft des Stückes, deren „Gepflogenheiten" an Berlin 0., deren Denkweise um die Börse, deren rührendes Familienleben an „Mein Leopold" gemahnt. Diese plumpe Behandlung des Themas ist man allerdings bei Blumenthal ge¬ wöhnt aus dem „Prvbepfeil," wo eine detaillirte Vorlesung über diesen so planen, so wenig neuen und im Verlaufe so breit getretenen Vorwurf gehalten wird, aus der „Großen Glocke," wo der Stieftochter ihre Stellung als umgekehrtes Aschenbrödel für solche, die es etwa nicht gemerkt haben, noch im dritten Akte ganz besonders klar gemacht wird. Es wäre interessant zu beobachte», wie ein an die geistreiche Verarbeitung der Tagesinteressen auf der Bühne gewöhnter Franzose sich solchen Zannpfahlwinken gegenüber verhalten würde. Lachen ivürde er nicht, ebensowenig wie die Personen in diesen Stücken, die sich doch eigent¬ lich gegenseitig furchtbar komisch vorkommen müssen, aber nur weil er mehr Er¬ ziehung hat als sie. Dem deutschen Zuhörer, der ihm gegenüber gern stolz Ware auf deutschen Geist und deutschen Geschmack, dürfte es auch nicht gerade lächerlich zu Mute sein. In ihm ertötet das bittere Gefühl anfgezwungener Resignation jede Lachlust. Also dazu ladet mau jetzt eine ganze große Stadt of Theater, dazu die vielen Lichter, die prächtigen Dekorationen, die hohen Eintrittspreise! Das ist die Errungenschaft der neuen Kunst des Dialogs, von der die deutsche Dramaturgie von Lessing bis ans Gustav Freytag nichts wußte! Das Feuilleton auf dem Theater! Und schlingt sich wirklich einmal durch das Labyrinth dieser Kohlgarten der grob gesponnene Faden einer noch so verdrehten Handlung, so gerät die Clique außer sich vor Entzücken und das Publikum — es ist jn in der Beziehung so wenig verwöhnt und so dankbar! Freilich wenn es einigermaßen kritisch wäre, so müßte es die Fenillcton- stiicke ohne Handlung einem solchen „mit" doch noch vorziehen. Der Konflikt (denn ein solcher, ethisch oder kausal, ist der Kern jeder Handlung) ist hier der bekannte: Liebe (Pflicht, Unschuld, Ehre) gegen Kabale. Die Lösungen sind sehr mannichfach, nie aber schließt die Unschuld mit der Kabale einen Kompromiß. Weil dies hier geschehen soll, so nuet er ganz nonchalant aufgegeben und dafür tänzelt ein andrer herein, der Kampf des guten und bösen Prinzips in der Menschenbrust, tragisch wunderbar im Maebeth, mit glücklichem Ausgang in Stücken wie dem Wintermürchen, am erhabensten im zweiten Teile des Faust gewendet. Wie gesagt, er tänzelt nur herein, denn zur wirkliche» Ausführung gehört gerade bei glücklichen» Ausgange eine tüchtige Bearbeitung des Schuldigen durch die Keulenschläge des Schicksals und des Gewissens. Das geschieht sogar w dem Stücke, aus dem diese Seite der Handlung „entlehnt" ist, in den Vioux

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/299>, abgerufen am 15.01.2025.