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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Das Feuilleton auf dem Theaier.

Bildung zu verdanken" bekennt, wollten wir hier nicht diejenigen Eigenschaften
ihres Dramas namhaft machen, die weniger hervorstechend, aber edler und be¬
deutender als die oben angeführten uns gerade zu stets beherzigenswertem Bei¬
spiel, zu fruchtbringenden Studium für alle Zeit dienen könnten. Dies Stu¬
dium hat selbst der nicht verschmäht, der uns einst mit Riesenarmen für leider
nur kurze Zeit von der Autoritätslast der französischen Bühne befreite, Lessing.
Die Frucht desselben ist seine Emilia. Er lernte bei den Franzosen die präg¬
nante Fassung der Fabel, des ^L-oc,', der bei ihnen zwar einförmig, aber stets
interessant gewendet nud so durchgeführt ist, daß er in der Handlung bis aufs
Haar aufgeht, er lernte hier die weise Ökonomie in der Anwendung der Mittel,
die sichere Logik in der Durchführung der Motive und vor allen", was dies
sämtlich voraussetzt, den Fleiß, den großen, unnachsichtiger Fleiß, der hinter
dein in lebendiger Selbstverständlichkeit dahin rollenden Ganzen verborgen liegt
und oft gerade vom geringfügigsten Detail so bitter herausgefordert ivurde.
Freilich auch er war nicht Dichter genug, um deu Hauptbedingungen des leben¬
digen Dramas zu genügen, mannichfaltiger, individueller Charakteristik, wahrer,
selbstgewordener Empfindung. Es fehlt ihm also wie den Franzosen bis auf
den heutigen Tag in Figuren und Sprache das, was die antike Dramaturgie
mit und >>.^L bezeichnet, sie ersetzen es aber reichlich durch die für die
szeuifche Wirkung eigentlich entscheidende Kunst der Verwicklung und Lösung
des Knotens (wahrscheinlich die 6tavot<x des Aristoteles). Schon diese zwingt
sie, sobald die Handlung einmal im Gange ist, ans dem Dialog alles wegzu¬
lassen, was nicht absolut zur Sache gehört, wovor sie übrigens schon ihr feiner
ästhetischer Takt bewahren würde. In der Emilia ist diese Ökonomie geradezu
bewunderungswürdig.

Aber unsre Feuilletondramatiker und Lessing, seine Emilia und ihre Plauder¬
stückchen! Wie es sich da behaglich breit macht, das öde, geschwätzige Nichts
"unterm Strich," wie sie cmmaßlich pirouettireu, die guten Witze, welche die
undankbare Alltäglichkeit schonend begraben würde, stolz auf das Relief, das
ihnen das bezaubernde Lachen, die siegreiche Komik der Darstellerinnen und
Darsteller verleiht; wie sie uns schadenfroh angrinst, die philiströse Trivialität
des Tages, die uns so oft das Herz beengt, vor der wir uns flüchten wollten
zur befreienden Ironie, zur erhebenden Tragik der Szene. O wie sind sie so
erstaunlich geschickt, so "offcnmäßig behend," so immer auf dem Platze, unsre
Feuilletonisten der Bühne, wie wissen sie den neuesten Klatsch vom kleinsten
Anekdötcheu bis zum größten Skandülchen so scmmelfrisch auf den Theatermarkt
zu bringen, so frisch, daß -- Triumph der Kunst! -- das Publikum der ersten
Aufführung (der "Premiere"!) bereits Anspielungen auf den Skandalprvzeß der
letzten Woche im neuesten dramatischen Kunstwerk seines Lcibfeuillctvuisten be¬
grüßen kann. Und was für interessante Dinge werden da von der Bühne herab
verkündigt! Geht uus, ihr Pariser, mit euern Tenoren, Fastenpredigten und


Grenzboten IV. 1385. 37
Das Feuilleton auf dem Theaier.

Bildung zu verdanken" bekennt, wollten wir hier nicht diejenigen Eigenschaften
ihres Dramas namhaft machen, die weniger hervorstechend, aber edler und be¬
deutender als die oben angeführten uns gerade zu stets beherzigenswertem Bei¬
spiel, zu fruchtbringenden Studium für alle Zeit dienen könnten. Dies Stu¬
dium hat selbst der nicht verschmäht, der uns einst mit Riesenarmen für leider
nur kurze Zeit von der Autoritätslast der französischen Bühne befreite, Lessing.
Die Frucht desselben ist seine Emilia. Er lernte bei den Franzosen die präg¬
nante Fassung der Fabel, des ^L-oc,', der bei ihnen zwar einförmig, aber stets
interessant gewendet nud so durchgeführt ist, daß er in der Handlung bis aufs
Haar aufgeht, er lernte hier die weise Ökonomie in der Anwendung der Mittel,
die sichere Logik in der Durchführung der Motive und vor allen», was dies
sämtlich voraussetzt, den Fleiß, den großen, unnachsichtiger Fleiß, der hinter
dein in lebendiger Selbstverständlichkeit dahin rollenden Ganzen verborgen liegt
und oft gerade vom geringfügigsten Detail so bitter herausgefordert ivurde.
Freilich auch er war nicht Dichter genug, um deu Hauptbedingungen des leben¬
digen Dramas zu genügen, mannichfaltiger, individueller Charakteristik, wahrer,
selbstgewordener Empfindung. Es fehlt ihm also wie den Franzosen bis auf
den heutigen Tag in Figuren und Sprache das, was die antike Dramaturgie
mit und >>.^L bezeichnet, sie ersetzen es aber reichlich durch die für die
szeuifche Wirkung eigentlich entscheidende Kunst der Verwicklung und Lösung
des Knotens (wahrscheinlich die 6tavot<x des Aristoteles). Schon diese zwingt
sie, sobald die Handlung einmal im Gange ist, ans dem Dialog alles wegzu¬
lassen, was nicht absolut zur Sache gehört, wovor sie übrigens schon ihr feiner
ästhetischer Takt bewahren würde. In der Emilia ist diese Ökonomie geradezu
bewunderungswürdig.

Aber unsre Feuilletondramatiker und Lessing, seine Emilia und ihre Plauder¬
stückchen! Wie es sich da behaglich breit macht, das öde, geschwätzige Nichts
„unterm Strich," wie sie cmmaßlich pirouettireu, die guten Witze, welche die
undankbare Alltäglichkeit schonend begraben würde, stolz auf das Relief, das
ihnen das bezaubernde Lachen, die siegreiche Komik der Darstellerinnen und
Darsteller verleiht; wie sie uns schadenfroh angrinst, die philiströse Trivialität
des Tages, die uns so oft das Herz beengt, vor der wir uns flüchten wollten
zur befreienden Ironie, zur erhebenden Tragik der Szene. O wie sind sie so
erstaunlich geschickt, so „offcnmäßig behend," so immer auf dem Platze, unsre
Feuilletonisten der Bühne, wie wissen sie den neuesten Klatsch vom kleinsten
Anekdötcheu bis zum größten Skandülchen so scmmelfrisch auf den Theatermarkt
zu bringen, so frisch, daß — Triumph der Kunst! — das Publikum der ersten
Aufführung (der „Premiere"!) bereits Anspielungen auf den Skandalprvzeß der
letzten Woche im neuesten dramatischen Kunstwerk seines Lcibfeuillctvuisten be¬
grüßen kann. Und was für interessante Dinge werden da von der Bühne herab
verkündigt! Geht uus, ihr Pariser, mit euern Tenoren, Fastenpredigten und


Grenzboten IV. 1385. 37
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[0297] Das Feuilleton auf dem Theaier. Bildung zu verdanken" bekennt, wollten wir hier nicht diejenigen Eigenschaften ihres Dramas namhaft machen, die weniger hervorstechend, aber edler und be¬ deutender als die oben angeführten uns gerade zu stets beherzigenswertem Bei¬ spiel, zu fruchtbringenden Studium für alle Zeit dienen könnten. Dies Stu¬ dium hat selbst der nicht verschmäht, der uns einst mit Riesenarmen für leider nur kurze Zeit von der Autoritätslast der französischen Bühne befreite, Lessing. Die Frucht desselben ist seine Emilia. Er lernte bei den Franzosen die präg¬ nante Fassung der Fabel, des ^L-oc,', der bei ihnen zwar einförmig, aber stets interessant gewendet nud so durchgeführt ist, daß er in der Handlung bis aufs Haar aufgeht, er lernte hier die weise Ökonomie in der Anwendung der Mittel, die sichere Logik in der Durchführung der Motive und vor allen», was dies sämtlich voraussetzt, den Fleiß, den großen, unnachsichtiger Fleiß, der hinter dein in lebendiger Selbstverständlichkeit dahin rollenden Ganzen verborgen liegt und oft gerade vom geringfügigsten Detail so bitter herausgefordert ivurde. Freilich auch er war nicht Dichter genug, um deu Hauptbedingungen des leben¬ digen Dramas zu genügen, mannichfaltiger, individueller Charakteristik, wahrer, selbstgewordener Empfindung. Es fehlt ihm also wie den Franzosen bis auf den heutigen Tag in Figuren und Sprache das, was die antike Dramaturgie mit und >>.^L bezeichnet, sie ersetzen es aber reichlich durch die für die szeuifche Wirkung eigentlich entscheidende Kunst der Verwicklung und Lösung des Knotens (wahrscheinlich die 6tavot<x des Aristoteles). Schon diese zwingt sie, sobald die Handlung einmal im Gange ist, ans dem Dialog alles wegzu¬ lassen, was nicht absolut zur Sache gehört, wovor sie übrigens schon ihr feiner ästhetischer Takt bewahren würde. In der Emilia ist diese Ökonomie geradezu bewunderungswürdig. Aber unsre Feuilletondramatiker und Lessing, seine Emilia und ihre Plauder¬ stückchen! Wie es sich da behaglich breit macht, das öde, geschwätzige Nichts „unterm Strich," wie sie cmmaßlich pirouettireu, die guten Witze, welche die undankbare Alltäglichkeit schonend begraben würde, stolz auf das Relief, das ihnen das bezaubernde Lachen, die siegreiche Komik der Darstellerinnen und Darsteller verleiht; wie sie uns schadenfroh angrinst, die philiströse Trivialität des Tages, die uns so oft das Herz beengt, vor der wir uns flüchten wollten zur befreienden Ironie, zur erhebenden Tragik der Szene. O wie sind sie so erstaunlich geschickt, so „offcnmäßig behend," so immer auf dem Platze, unsre Feuilletonisten der Bühne, wie wissen sie den neuesten Klatsch vom kleinsten Anekdötcheu bis zum größten Skandülchen so scmmelfrisch auf den Theatermarkt zu bringen, so frisch, daß — Triumph der Kunst! — das Publikum der ersten Aufführung (der „Premiere"!) bereits Anspielungen auf den Skandalprvzeß der letzten Woche im neuesten dramatischen Kunstwerk seines Lcibfeuillctvuisten be¬ grüßen kann. Und was für interessante Dinge werden da von der Bühne herab verkündigt! Geht uus, ihr Pariser, mit euern Tenoren, Fastenpredigten und Grenzboten IV. 1385. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/297>, abgerufen am 15.01.2025.