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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Ludwig Richters Selbstbiographie.

Helles Licht zu setzen. Seit jener Zeit wurden Goethes herrliche Worte sein
Wahlspruch:


Ang', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr ivieder?
Weg, du Traum, so galt du bist;
Hier auch Lieb' und Leben istl

Mit ihnen scheuchte er die Erinnerungen mi die Herrlichkeiten Italiens zurück,
wenn sie ihm die Freude an der Schönheit der deutschen Natur verderben wollten.
Dennoch war es für Richter ein großes Glück, daß die Zeichenschule in Meißen
aufgehoben und ihm nach kurzer Wartezeit eine Professur an der Dresdner
Kunstakademie angeboten wurde. Die letzten Meißner Jahre hatten ihn körperlich
so herabgedrückt, daß er ein frühes Ende fürchtete.

Der letzte Abschnitt des Buches ist der Schilderung seines neuen Aufenthalts
in Dresden gewidmet, der durch den innigen Verkehr mit den Freunden Oehme
und Peschel an Reiz und Behaglichkeit gewann. Der erste schwere Schlag, der
Richter in dieser auch durch reiches künstlerisches Schaffen beglückten Zeit traf, war
der Verlust seiner Tochter Marie, die im Jahre 1847, erst achtzehn Jahre alt,
starb. Bis zu diesem Ereignis hat Richter seine Erzählung geführt; es ist, als
ob die Eruncrnng an diesen Verlust so mächtig auf ihn gewirkt hätte, daß er
es nicht über sich gewinnen konnte, weiterzuschreiben. Wir müssen dies bedauern;
denn gerade die folgende Periode in Richters Schaffen ist ja diejenige, während der
er sich ein unvergängliches Gedächtnis im Herzen seines Volkes gestiftet hat. Leider
bieten auch die von dem Sohne beigegebnen Auszüge aus den Tagebüchern keinen
genügenden Ersatz für diesen Ausfall; dazu sind sie zu kurz und abgebrochen.
Dennoch müssen wir auch für das Wenige, das uns hier noch geboten wird,
dankbar sein. Die Ergänzungen enthalten unter andern wertvollen Stücken eine
Reihe höchst bedeutender Aussprüche über die Kunst, namentlich über die des
Landschaftsmalers, die jedem, anch dem, der nicht Richters Standpunkt teilt,
jedenfalls viel zu denken geben werden. Unter den mitgeteilten Erlebnissen
steht die Reise nach Oberbaiern und die Begegnung mit Schwind obenan. Der
Künstler, den Richter "verehrte fast wie keinen andern" und der in der That
allein ihm ebenbürtig war, erscheint hier in seiner ganzen Originalität.

Daß in der ganzen Darstellung die Entwicklung von Richters religiösem
Herzensleben mit besondrer Ausführlichkeit vorgeführt wird, kann niemand
wundern, der den Künstler ans seinen Arbeiten kennt. Ein tiefer religiöser Zug
durchdringt das Ganze, aber es ist ein milder, beseligender Glaube, der frei ist
von jedem konfessionellen Beigeschmack und jedweder Rechthaberei. Richters
Glaube war ein im Leben erfahrener; in seiner Religion war nichts Angelerntes,
nichts Erborgtes. Darum wirkt auch diese Seite seines Buches wohlthuend und
erquickend, selbst für den, der hier dem Künstler nicht überallhin zu folgen
vermag. Auch auf diesem Gebiete war Richters Stellung ebenso "einzig und


Ludwig Richters Selbstbiographie.

Helles Licht zu setzen. Seit jener Zeit wurden Goethes herrliche Worte sein
Wahlspruch:


Ang', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr ivieder?
Weg, du Traum, so galt du bist;
Hier auch Lieb' und Leben istl

Mit ihnen scheuchte er die Erinnerungen mi die Herrlichkeiten Italiens zurück,
wenn sie ihm die Freude an der Schönheit der deutschen Natur verderben wollten.
Dennoch war es für Richter ein großes Glück, daß die Zeichenschule in Meißen
aufgehoben und ihm nach kurzer Wartezeit eine Professur an der Dresdner
Kunstakademie angeboten wurde. Die letzten Meißner Jahre hatten ihn körperlich
so herabgedrückt, daß er ein frühes Ende fürchtete.

Der letzte Abschnitt des Buches ist der Schilderung seines neuen Aufenthalts
in Dresden gewidmet, der durch den innigen Verkehr mit den Freunden Oehme
und Peschel an Reiz und Behaglichkeit gewann. Der erste schwere Schlag, der
Richter in dieser auch durch reiches künstlerisches Schaffen beglückten Zeit traf, war
der Verlust seiner Tochter Marie, die im Jahre 1847, erst achtzehn Jahre alt,
starb. Bis zu diesem Ereignis hat Richter seine Erzählung geführt; es ist, als
ob die Eruncrnng an diesen Verlust so mächtig auf ihn gewirkt hätte, daß er
es nicht über sich gewinnen konnte, weiterzuschreiben. Wir müssen dies bedauern;
denn gerade die folgende Periode in Richters Schaffen ist ja diejenige, während der
er sich ein unvergängliches Gedächtnis im Herzen seines Volkes gestiftet hat. Leider
bieten auch die von dem Sohne beigegebnen Auszüge aus den Tagebüchern keinen
genügenden Ersatz für diesen Ausfall; dazu sind sie zu kurz und abgebrochen.
Dennoch müssen wir auch für das Wenige, das uns hier noch geboten wird,
dankbar sein. Die Ergänzungen enthalten unter andern wertvollen Stücken eine
Reihe höchst bedeutender Aussprüche über die Kunst, namentlich über die des
Landschaftsmalers, die jedem, anch dem, der nicht Richters Standpunkt teilt,
jedenfalls viel zu denken geben werden. Unter den mitgeteilten Erlebnissen
steht die Reise nach Oberbaiern und die Begegnung mit Schwind obenan. Der
Künstler, den Richter „verehrte fast wie keinen andern" und der in der That
allein ihm ebenbürtig war, erscheint hier in seiner ganzen Originalität.

Daß in der ganzen Darstellung die Entwicklung von Richters religiösem
Herzensleben mit besondrer Ausführlichkeit vorgeführt wird, kann niemand
wundern, der den Künstler ans seinen Arbeiten kennt. Ein tiefer religiöser Zug
durchdringt das Ganze, aber es ist ein milder, beseligender Glaube, der frei ist
von jedem konfessionellen Beigeschmack und jedweder Rechthaberei. Richters
Glaube war ein im Leben erfahrener; in seiner Religion war nichts Angelerntes,
nichts Erborgtes. Darum wirkt auch diese Seite seines Buches wohlthuend und
erquickend, selbst für den, der hier dem Künstler nicht überallhin zu folgen
vermag. Auch auf diesem Gebiete war Richters Stellung ebenso „einzig und


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[0292] Ludwig Richters Selbstbiographie. Helles Licht zu setzen. Seit jener Zeit wurden Goethes herrliche Worte sein Wahlspruch: Ang', mein Aug', was sinkst du nieder? Goldne Träume, kommt ihr ivieder? Weg, du Traum, so galt du bist; Hier auch Lieb' und Leben istl Mit ihnen scheuchte er die Erinnerungen mi die Herrlichkeiten Italiens zurück, wenn sie ihm die Freude an der Schönheit der deutschen Natur verderben wollten. Dennoch war es für Richter ein großes Glück, daß die Zeichenschule in Meißen aufgehoben und ihm nach kurzer Wartezeit eine Professur an der Dresdner Kunstakademie angeboten wurde. Die letzten Meißner Jahre hatten ihn körperlich so herabgedrückt, daß er ein frühes Ende fürchtete. Der letzte Abschnitt des Buches ist der Schilderung seines neuen Aufenthalts in Dresden gewidmet, der durch den innigen Verkehr mit den Freunden Oehme und Peschel an Reiz und Behaglichkeit gewann. Der erste schwere Schlag, der Richter in dieser auch durch reiches künstlerisches Schaffen beglückten Zeit traf, war der Verlust seiner Tochter Marie, die im Jahre 1847, erst achtzehn Jahre alt, starb. Bis zu diesem Ereignis hat Richter seine Erzählung geführt; es ist, als ob die Eruncrnng an diesen Verlust so mächtig auf ihn gewirkt hätte, daß er es nicht über sich gewinnen konnte, weiterzuschreiben. Wir müssen dies bedauern; denn gerade die folgende Periode in Richters Schaffen ist ja diejenige, während der er sich ein unvergängliches Gedächtnis im Herzen seines Volkes gestiftet hat. Leider bieten auch die von dem Sohne beigegebnen Auszüge aus den Tagebüchern keinen genügenden Ersatz für diesen Ausfall; dazu sind sie zu kurz und abgebrochen. Dennoch müssen wir auch für das Wenige, das uns hier noch geboten wird, dankbar sein. Die Ergänzungen enthalten unter andern wertvollen Stücken eine Reihe höchst bedeutender Aussprüche über die Kunst, namentlich über die des Landschaftsmalers, die jedem, anch dem, der nicht Richters Standpunkt teilt, jedenfalls viel zu denken geben werden. Unter den mitgeteilten Erlebnissen steht die Reise nach Oberbaiern und die Begegnung mit Schwind obenan. Der Künstler, den Richter „verehrte fast wie keinen andern" und der in der That allein ihm ebenbürtig war, erscheint hier in seiner ganzen Originalität. Daß in der ganzen Darstellung die Entwicklung von Richters religiösem Herzensleben mit besondrer Ausführlichkeit vorgeführt wird, kann niemand wundern, der den Künstler ans seinen Arbeiten kennt. Ein tiefer religiöser Zug durchdringt das Ganze, aber es ist ein milder, beseligender Glaube, der frei ist von jedem konfessionellen Beigeschmack und jedweder Rechthaberei. Richters Glaube war ein im Leben erfahrener; in seiner Religion war nichts Angelerntes, nichts Erborgtes. Darum wirkt auch diese Seite seines Buches wohlthuend und erquickend, selbst für den, der hier dem Künstler nicht überallhin zu folgen vermag. Auch auf diesem Gebiete war Richters Stellung ebenso „einzig und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/292>, abgerufen am 15.01.2025.