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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Ludwig Richters Selbstbiographie.

Buch beim Lesen immer Mieder an die munderbare Lehrzeit erinnert, die Kellers
Grüner Heinrich bei seinem seltsamen Meister durchmachen muß.

Die Befreiung aus diesen drückenden Verhältnissen brachte Richter das
Anerbieten des Buchhändlers Arnold in Dresden, ihm die Mittel zu einem
lungern Aufenthalte in Italien zu gewähren. Die Reise nach Rom und der
Aufenthalt daselbst werden mit besondrer Liebe und aufs eingehendste von Richter
behandelt; denn die Zeit seines römischen Lebens war für die Gewinnung seiner
Kunstanschauungen überaus wichtig. Der nahe Umgang mit den Männern,
welchen Deutschland die Wiedergeburt seiner Kunst verdankt, brachte für Richter
eine tiefgehende innere Wandlung hervor, nicht nur in Bezug auf seinen Beruf,
sondern vor allen Dingen anch auf seine Stellung zur Religion. Aus letzterem
Grunde namentlich erschien dem Künstler in seinen alten Tagen die römische
Zeit in einem besonders idealen Lichte.

Da ist es nun von großem Interesse, zu sehen, daß die von dem Sohne
beigefügten Tagcbuchstellen und Briefe uns eine ganz andre Stimmung seiner
Seele zeigen, als diejenige war, in der Richter an seiner Selbstbiographie
arbeitete. Der Grundakkord, der uns allüberall aus den gleichzeitig in Italien
gemachten Aufzeichnungen entgegen klingt, ist die Sehnsucht nach seiner deutschen
Heimat, das Gefühl, daß nur in Deutschland die wahre Stätte seiner Kunst
sein könne, daß nur die deutsche Landschaft und deutsche Gestalten seinem Pinsel
geeignete Nahrung gewähren würden. Immer fallen ihm nur deutsche Naturen
ein, nie etwas Italienisches (S. 387). "Vivat Deutschland! ruft er aus, dort
soll meine Kunst blühen; dort findet sie ihr Vaterland, hier ist sie auf fremdem
Voden" (S. 376). "Ich kann zu Hause uicht nur kleine Bilder aus den Um¬
gebungen Dresdens auffassen, sondern habe auch herrlichen romantischen Stoff
um Meißen und die alten Schlösser, Städte und Bergwerke im Erzgebirge;
dann die vou allen gekannte sächsische Schweiz, die reiche Ausbeute nicht nur
aus vergangner, sondern auch gegenwärtiger Zeit enthält" (S. 404).

Allerdings barg damals die Heimat noch einen ganz besonders starken
Magnet; Richter war als Verlobter aus Dresden geschieden, und die Sehnsucht
nach seiner Auguste, seiner spätern Gattin, mag nicht wenig auf seine damalige
Stimmung eingewirkt haben. Als er dann wenige Jahre später mit ihr ver¬
einigt in Meißen als Zeichenlehrer an der Kunstschule der Porzellanfabrik in
engen, drückenden Verhältnissen lebte und namentlich des anregenden Umganges
ebenbürtiger und gleichstrebeuder Genossen entbehrte, da erwachte freilich auf
einmal die Sehnsucht nach dem gelobten Lande, aus dem er sich kurz zuvor
fort gewünscht hatte. Wie er diese Sehnsucht, die fast krankhaft geworden war,
überwunden und wie er auf einer Reise in das böhmische Mittelgebirge die
Schönheit deutschen Landes gleichsam neu entdeckt hat, war bereits aus Otto
Jahns Darstellung im Nichteralbum bekannt. Richter selbst hat es nicht ver¬
säumt, diesen für sein künftiges künstlerisches Leben so wichtigen Wendepunkt in


Ludwig Richters Selbstbiographie.

Buch beim Lesen immer Mieder an die munderbare Lehrzeit erinnert, die Kellers
Grüner Heinrich bei seinem seltsamen Meister durchmachen muß.

Die Befreiung aus diesen drückenden Verhältnissen brachte Richter das
Anerbieten des Buchhändlers Arnold in Dresden, ihm die Mittel zu einem
lungern Aufenthalte in Italien zu gewähren. Die Reise nach Rom und der
Aufenthalt daselbst werden mit besondrer Liebe und aufs eingehendste von Richter
behandelt; denn die Zeit seines römischen Lebens war für die Gewinnung seiner
Kunstanschauungen überaus wichtig. Der nahe Umgang mit den Männern,
welchen Deutschland die Wiedergeburt seiner Kunst verdankt, brachte für Richter
eine tiefgehende innere Wandlung hervor, nicht nur in Bezug auf seinen Beruf,
sondern vor allen Dingen anch auf seine Stellung zur Religion. Aus letzterem
Grunde namentlich erschien dem Künstler in seinen alten Tagen die römische
Zeit in einem besonders idealen Lichte.

Da ist es nun von großem Interesse, zu sehen, daß die von dem Sohne
beigefügten Tagcbuchstellen und Briefe uns eine ganz andre Stimmung seiner
Seele zeigen, als diejenige war, in der Richter an seiner Selbstbiographie
arbeitete. Der Grundakkord, der uns allüberall aus den gleichzeitig in Italien
gemachten Aufzeichnungen entgegen klingt, ist die Sehnsucht nach seiner deutschen
Heimat, das Gefühl, daß nur in Deutschland die wahre Stätte seiner Kunst
sein könne, daß nur die deutsche Landschaft und deutsche Gestalten seinem Pinsel
geeignete Nahrung gewähren würden. Immer fallen ihm nur deutsche Naturen
ein, nie etwas Italienisches (S. 387). „Vivat Deutschland! ruft er aus, dort
soll meine Kunst blühen; dort findet sie ihr Vaterland, hier ist sie auf fremdem
Voden" (S. 376). „Ich kann zu Hause uicht nur kleine Bilder aus den Um¬
gebungen Dresdens auffassen, sondern habe auch herrlichen romantischen Stoff
um Meißen und die alten Schlösser, Städte und Bergwerke im Erzgebirge;
dann die vou allen gekannte sächsische Schweiz, die reiche Ausbeute nicht nur
aus vergangner, sondern auch gegenwärtiger Zeit enthält" (S. 404).

Allerdings barg damals die Heimat noch einen ganz besonders starken
Magnet; Richter war als Verlobter aus Dresden geschieden, und die Sehnsucht
nach seiner Auguste, seiner spätern Gattin, mag nicht wenig auf seine damalige
Stimmung eingewirkt haben. Als er dann wenige Jahre später mit ihr ver¬
einigt in Meißen als Zeichenlehrer an der Kunstschule der Porzellanfabrik in
engen, drückenden Verhältnissen lebte und namentlich des anregenden Umganges
ebenbürtiger und gleichstrebeuder Genossen entbehrte, da erwachte freilich auf
einmal die Sehnsucht nach dem gelobten Lande, aus dem er sich kurz zuvor
fort gewünscht hatte. Wie er diese Sehnsucht, die fast krankhaft geworden war,
überwunden und wie er auf einer Reise in das böhmische Mittelgebirge die
Schönheit deutschen Landes gleichsam neu entdeckt hat, war bereits aus Otto
Jahns Darstellung im Nichteralbum bekannt. Richter selbst hat es nicht ver¬
säumt, diesen für sein künftiges künstlerisches Leben so wichtigen Wendepunkt in


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[0291] Ludwig Richters Selbstbiographie. Buch beim Lesen immer Mieder an die munderbare Lehrzeit erinnert, die Kellers Grüner Heinrich bei seinem seltsamen Meister durchmachen muß. Die Befreiung aus diesen drückenden Verhältnissen brachte Richter das Anerbieten des Buchhändlers Arnold in Dresden, ihm die Mittel zu einem lungern Aufenthalte in Italien zu gewähren. Die Reise nach Rom und der Aufenthalt daselbst werden mit besondrer Liebe und aufs eingehendste von Richter behandelt; denn die Zeit seines römischen Lebens war für die Gewinnung seiner Kunstanschauungen überaus wichtig. Der nahe Umgang mit den Männern, welchen Deutschland die Wiedergeburt seiner Kunst verdankt, brachte für Richter eine tiefgehende innere Wandlung hervor, nicht nur in Bezug auf seinen Beruf, sondern vor allen Dingen anch auf seine Stellung zur Religion. Aus letzterem Grunde namentlich erschien dem Künstler in seinen alten Tagen die römische Zeit in einem besonders idealen Lichte. Da ist es nun von großem Interesse, zu sehen, daß die von dem Sohne beigefügten Tagcbuchstellen und Briefe uns eine ganz andre Stimmung seiner Seele zeigen, als diejenige war, in der Richter an seiner Selbstbiographie arbeitete. Der Grundakkord, der uns allüberall aus den gleichzeitig in Italien gemachten Aufzeichnungen entgegen klingt, ist die Sehnsucht nach seiner deutschen Heimat, das Gefühl, daß nur in Deutschland die wahre Stätte seiner Kunst sein könne, daß nur die deutsche Landschaft und deutsche Gestalten seinem Pinsel geeignete Nahrung gewähren würden. Immer fallen ihm nur deutsche Naturen ein, nie etwas Italienisches (S. 387). „Vivat Deutschland! ruft er aus, dort soll meine Kunst blühen; dort findet sie ihr Vaterland, hier ist sie auf fremdem Voden" (S. 376). „Ich kann zu Hause uicht nur kleine Bilder aus den Um¬ gebungen Dresdens auffassen, sondern habe auch herrlichen romantischen Stoff um Meißen und die alten Schlösser, Städte und Bergwerke im Erzgebirge; dann die vou allen gekannte sächsische Schweiz, die reiche Ausbeute nicht nur aus vergangner, sondern auch gegenwärtiger Zeit enthält" (S. 404). Allerdings barg damals die Heimat noch einen ganz besonders starken Magnet; Richter war als Verlobter aus Dresden geschieden, und die Sehnsucht nach seiner Auguste, seiner spätern Gattin, mag nicht wenig auf seine damalige Stimmung eingewirkt haben. Als er dann wenige Jahre später mit ihr ver¬ einigt in Meißen als Zeichenlehrer an der Kunstschule der Porzellanfabrik in engen, drückenden Verhältnissen lebte und namentlich des anregenden Umganges ebenbürtiger und gleichstrebeuder Genossen entbehrte, da erwachte freilich auf einmal die Sehnsucht nach dem gelobten Lande, aus dem er sich kurz zuvor fort gewünscht hatte. Wie er diese Sehnsucht, die fast krankhaft geworden war, überwunden und wie er auf einer Reise in das böhmische Mittelgebirge die Schönheit deutschen Landes gleichsam neu entdeckt hat, war bereits aus Otto Jahns Darstellung im Nichteralbum bekannt. Richter selbst hat es nicht ver¬ säumt, diesen für sein künftiges künstlerisches Leben so wichtigen Wendepunkt in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/291>, abgerufen am 15.01.2025.