Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. schulkouferenz von 1849 hatte den Realschulen sogar die Universitäten öffnen Ein letztes Kapitel hat Paulsen der Zukunft des gelehrten Unterrichts ge¬ Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. schulkouferenz von 1849 hatte den Realschulen sogar die Universitäten öffnen Ein letztes Kapitel hat Paulsen der Zukunft des gelehrten Unterrichts ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197021"/> <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.</fw><lb/> <p xml:id="ID_901" prev="#ID_900"> schulkouferenz von 1849 hatte den Realschulen sogar die Universitäten öffnen<lb/> wollen. Zum erstenmale wird 18S9 der Lehrplan der Realschule unmittelbar<lb/> durch Verordnung festgestellt und wie der des Gymnasiums auf einen neun¬<lb/> jährigen Kursus berechnet. Dem Lateinischen ist darin eine sehr bedeutende<lb/> Stellung eingeräumt, es wurde ihm eine weit größere Stundenzahl zugewiesen<lb/> als irgend einer andern Sprache, ja der Lehrplan von 1882 gab dem Latein<lb/> sogar die größte Stundenzahl von allen Unterrichtsfächern. Eine Verfügung<lb/> von 1870 machte den Nealschulabituricnten das Studium der Mathematik und<lb/> Naturwissenschaft und der neuern Sprachen in gleicher Weise mit den gleichen<lb/> Aussichten auf den Eintritt in den Staatsdienst als den Gymnasialabiturienten<lb/> zugänglich.</p><lb/> <p xml:id="ID_902" next="#ID_903"> Ein letztes Kapitel hat Paulsen der Zukunft des gelehrten Unterrichts ge¬<lb/> widmet; wer eine vollkommene Kenntnis seines Ideals haben will, muß diesen<lb/> Abschnitt lesen. Er kommt zu dem Resultate, daß die Überbürdungsklage be¬<lb/> gründet sei; sie werde nicht eher verstummen, bis die Vorbereitung zum Uni-<lb/> versitätsstudium eine andre Gestalt erhalten haben werde. Die sicher zu er¬<lb/> wartende Änderung besteht, wie Paulsen meint, in einer Beschränkung des<lb/> Unterrichts in den alten Sprachen. Die Vereinigung des Unterrichts in den<lb/> alten Sprachen mit dein Unterrichte in den neuen Wissenschaften und in den<lb/> modernen Sprachen sei nicht zu halten, die Rückbildung in der Richtung der<lb/> alten Lateinschule sei gescheitert, so bleibe nur eine Umbildung ans Kosten der<lb/> alten Sprachen übrig. Lateinisch zu verstehen werde unentbehrlich bleiben, aber<lb/> die Fähigkeit, lateinische Aufsätze zu schreiben und etwas Griechisch zu verstehen,<lb/> werde für die Mehrzahl der Fakultätsstudien und gelehrten Berufe nicht mehr<lb/> Bedingung zur Zulassung sein. Die Folgen einer derartigen Umgestaltung<lb/> stellt er sich so dar: Mathematik und Naturwissenschaft würden auf der Schule<lb/> immer nur an zweiter Stelle stehen, Deutsch und Philosophie würden bei einem<lb/> Zurücktreten des altsprachliche» Unterrichts in erster Linie gewinnen, unser<lb/> deutscher Unterricht müsse in jeder Hinsicht der legitime Erbe des lateinischen<lb/> werden. Daran knüpft Paulsen die wohlbercchtigte Erwartung, daß dann das<lb/> Gymnasium auch eine historische Kenntnis der deutschen Sprache vermitteln<lb/> werde. Wie Geschichte und Leben eines Volkes nicht ohne Sprache verstanden<lb/> werden könnten, so gelte das doch in erster Linie von der Geschichte des eignen<lb/> Volkes. Der Gebrauch von Übersetzungen griechischer und lateinischer Schrift¬<lb/> steller werde schroff zurückgewiesen; umso schmachvoller sei es, wenn dem deut¬<lb/> schen Unterrichte zu gunsten der klassischen Sprachen solcher Gebrauch zugemutet<lb/> werde. Sodann müsse anch die Philosophie die ihr gebührende Stelle wieder<lb/> erhalten, welche früher den Übergang zur Universität vorbereitete und erst in<lb/> unserm Jahrhunderte von dem Gymnasium ausgeschlossen worden ist. Was<lb/> durch Einschränkung des altsprachlichen Unterrichts verloren gehe, werde über¬<lb/> schätzt, Idealismus und wissenschaftlicher Sinn, formale und humane Bildung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.
schulkouferenz von 1849 hatte den Realschulen sogar die Universitäten öffnen
wollen. Zum erstenmale wird 18S9 der Lehrplan der Realschule unmittelbar
durch Verordnung festgestellt und wie der des Gymnasiums auf einen neun¬
jährigen Kursus berechnet. Dem Lateinischen ist darin eine sehr bedeutende
Stellung eingeräumt, es wurde ihm eine weit größere Stundenzahl zugewiesen
als irgend einer andern Sprache, ja der Lehrplan von 1882 gab dem Latein
sogar die größte Stundenzahl von allen Unterrichtsfächern. Eine Verfügung
von 1870 machte den Nealschulabituricnten das Studium der Mathematik und
Naturwissenschaft und der neuern Sprachen in gleicher Weise mit den gleichen
Aussichten auf den Eintritt in den Staatsdienst als den Gymnasialabiturienten
zugänglich.
Ein letztes Kapitel hat Paulsen der Zukunft des gelehrten Unterrichts ge¬
widmet; wer eine vollkommene Kenntnis seines Ideals haben will, muß diesen
Abschnitt lesen. Er kommt zu dem Resultate, daß die Überbürdungsklage be¬
gründet sei; sie werde nicht eher verstummen, bis die Vorbereitung zum Uni-
versitätsstudium eine andre Gestalt erhalten haben werde. Die sicher zu er¬
wartende Änderung besteht, wie Paulsen meint, in einer Beschränkung des
Unterrichts in den alten Sprachen. Die Vereinigung des Unterrichts in den
alten Sprachen mit dein Unterrichte in den neuen Wissenschaften und in den
modernen Sprachen sei nicht zu halten, die Rückbildung in der Richtung der
alten Lateinschule sei gescheitert, so bleibe nur eine Umbildung ans Kosten der
alten Sprachen übrig. Lateinisch zu verstehen werde unentbehrlich bleiben, aber
die Fähigkeit, lateinische Aufsätze zu schreiben und etwas Griechisch zu verstehen,
werde für die Mehrzahl der Fakultätsstudien und gelehrten Berufe nicht mehr
Bedingung zur Zulassung sein. Die Folgen einer derartigen Umgestaltung
stellt er sich so dar: Mathematik und Naturwissenschaft würden auf der Schule
immer nur an zweiter Stelle stehen, Deutsch und Philosophie würden bei einem
Zurücktreten des altsprachliche» Unterrichts in erster Linie gewinnen, unser
deutscher Unterricht müsse in jeder Hinsicht der legitime Erbe des lateinischen
werden. Daran knüpft Paulsen die wohlbercchtigte Erwartung, daß dann das
Gymnasium auch eine historische Kenntnis der deutschen Sprache vermitteln
werde. Wie Geschichte und Leben eines Volkes nicht ohne Sprache verstanden
werden könnten, so gelte das doch in erster Linie von der Geschichte des eignen
Volkes. Der Gebrauch von Übersetzungen griechischer und lateinischer Schrift¬
steller werde schroff zurückgewiesen; umso schmachvoller sei es, wenn dem deut¬
schen Unterrichte zu gunsten der klassischen Sprachen solcher Gebrauch zugemutet
werde. Sodann müsse anch die Philosophie die ihr gebührende Stelle wieder
erhalten, welche früher den Übergang zur Universität vorbereitete und erst in
unserm Jahrhunderte von dem Gymnasium ausgeschlossen worden ist. Was
durch Einschränkung des altsprachlichen Unterrichts verloren gehe, werde über¬
schätzt, Idealismus und wissenschaftlicher Sinn, formale und humane Bildung
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