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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.

Vorschläge der preußischen Direktorenkvnfcrcnzcn und der Philologenversamm-
lungen liefern den Beweis. Wenn um much die Gymnasien bis heute das
Latcinschrciben festgehalten haben, so haben dagegen die Universitäten ihre An¬
schauungen gewechselt, "och 1849 beschlossen sie, für alle offiziellen Akte am
Lateinischen festzuhalten, seit 1867 haben sämtliche Fakultäten außer der theo¬
logischen bei Promotionen wie bei Habilitationen den Gebrauch der deutschen
Sprache gestattet, es ist kaum einem Zweifel unterworfen, daß die Universitäten
auf der eingeschlagenen Bahn eher vorwärts als rückwärts gehen werden.

Paniscus Darstellung des preußischen Gynmasmlwesens schließt mit dem
Lehrplane und der Prüfungsordnung von 1882; beide knüpfen an die Tradi¬
tionen Friedrich Wilhelms III. wieder an. Das Ziel blieb zwar wesentlich
dasselbe l Gricchischlesen und Latcinischlesen und Schreiben, aber überall wird
nachdrücklich betont, daß die Lektüre der klassischen Schriftsteller das Wesentliche
sei, die Übungen im Schreiben sollen dementsprechend der Lektüre dienen und
nicht umgekehrt. Das Latein "zum Organ für den Ausdruck der Gedanken
des Schülers" zu machen, lehnt die Verordnung ausdrücklich ab, da dieses Ziel
nicht mehr erreichbar sei, seitdem hierfür "die unerläßliche Bedingung des Er¬
folges fehlt, das sichere und leichte Können des Lehrers."

Das griechische Skriptum ist ans den Prüfungsarbeiten entfernt, der latei¬
nische Aufsatz jedoch mit gewissen Begrenzungen beibehalten worden. Die gegen¬
wärtig noch geltende Lehrerprüfnngsvrdnung von 1866 bietet den Kandidaten
eine höchst mannichfaltige, zur Auswahl gestellte Kombination von Prüfungs¬
fächern, verlangt aber anderseits, um zu verhüten, daß die Kandidaten sich
ausschließlich Spczialforschungcn in einem beschränkten Gebiete zuwenden, den
Nachweis allgemeiner Bildung in Religion und Geschichte, in Philosophie und
Pädagogik. Eine Ausdehnung des Probejahres, um eine bessere Vorbildung
zu erzielen, ist bis jetzt abgelehnt worden.

Eine kurze Darlegung des Entwicklungsganges der preußischen Realschulen
bildet den Schluß der geschichtlichen Darstellung Paniscus. Die alten, nicht
unter die "Gymnasien" aufgenommenen Lateinschulen hatten sich möglichst dem
Unterrichtsbedürfnis der städtischen Gemeinden angepaßt, und zwar zunächst ohne
Einwirkung der Regierung. Sie bevorzuge" die neuere" Sprachen und Mathe¬
matik, ein Ausschluß des Latein war nicht gut möglich, da selbst für den Eintritt
in die verschiednen Zweige des niedern Staatsdienstes die Ke""t"is des Lateinischen
erfordert wurde. Erst 1832 wurde eine vorläufige Instruktion für die Entlassungs¬
prüfung der höhern Bürger- und Realschulen erlassen, welche den Abiturienten
die Berechtigung zum einjährigen Dienst, den Eintritt in das Post-, Forst- und
Baufach zusicherte, das Latein wurde für das Reifezeugnis nicht durchaus ver¬
langt, Nichtlatcinern blieb nur der Staatsdienst verschlossen. Erst unter dem
Ministerium! Eichhorn wurde die Erwerbung des Reifezeugnisses von dem
Nachweis hinlänglicher Kenntnis des Lateinischen abhängig gemacht. Die Landes-


Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.

Vorschläge der preußischen Direktorenkvnfcrcnzcn und der Philologenversamm-
lungen liefern den Beweis. Wenn um much die Gymnasien bis heute das
Latcinschrciben festgehalten haben, so haben dagegen die Universitäten ihre An¬
schauungen gewechselt, »och 1849 beschlossen sie, für alle offiziellen Akte am
Lateinischen festzuhalten, seit 1867 haben sämtliche Fakultäten außer der theo¬
logischen bei Promotionen wie bei Habilitationen den Gebrauch der deutschen
Sprache gestattet, es ist kaum einem Zweifel unterworfen, daß die Universitäten
auf der eingeschlagenen Bahn eher vorwärts als rückwärts gehen werden.

Paniscus Darstellung des preußischen Gynmasmlwesens schließt mit dem
Lehrplane und der Prüfungsordnung von 1882; beide knüpfen an die Tradi¬
tionen Friedrich Wilhelms III. wieder an. Das Ziel blieb zwar wesentlich
dasselbe l Gricchischlesen und Latcinischlesen und Schreiben, aber überall wird
nachdrücklich betont, daß die Lektüre der klassischen Schriftsteller das Wesentliche
sei, die Übungen im Schreiben sollen dementsprechend der Lektüre dienen und
nicht umgekehrt. Das Latein „zum Organ für den Ausdruck der Gedanken
des Schülers" zu machen, lehnt die Verordnung ausdrücklich ab, da dieses Ziel
nicht mehr erreichbar sei, seitdem hierfür „die unerläßliche Bedingung des Er¬
folges fehlt, das sichere und leichte Können des Lehrers."

Das griechische Skriptum ist ans den Prüfungsarbeiten entfernt, der latei¬
nische Aufsatz jedoch mit gewissen Begrenzungen beibehalten worden. Die gegen¬
wärtig noch geltende Lehrerprüfnngsvrdnung von 1866 bietet den Kandidaten
eine höchst mannichfaltige, zur Auswahl gestellte Kombination von Prüfungs¬
fächern, verlangt aber anderseits, um zu verhüten, daß die Kandidaten sich
ausschließlich Spczialforschungcn in einem beschränkten Gebiete zuwenden, den
Nachweis allgemeiner Bildung in Religion und Geschichte, in Philosophie und
Pädagogik. Eine Ausdehnung des Probejahres, um eine bessere Vorbildung
zu erzielen, ist bis jetzt abgelehnt worden.

Eine kurze Darlegung des Entwicklungsganges der preußischen Realschulen
bildet den Schluß der geschichtlichen Darstellung Paniscus. Die alten, nicht
unter die „Gymnasien" aufgenommenen Lateinschulen hatten sich möglichst dem
Unterrichtsbedürfnis der städtischen Gemeinden angepaßt, und zwar zunächst ohne
Einwirkung der Regierung. Sie bevorzuge» die neuere» Sprachen und Mathe¬
matik, ein Ausschluß des Latein war nicht gut möglich, da selbst für den Eintritt
in die verschiednen Zweige des niedern Staatsdienstes die Ke»»t»is des Lateinischen
erfordert wurde. Erst 1832 wurde eine vorläufige Instruktion für die Entlassungs¬
prüfung der höhern Bürger- und Realschulen erlassen, welche den Abiturienten
die Berechtigung zum einjährigen Dienst, den Eintritt in das Post-, Forst- und
Baufach zusicherte, das Latein wurde für das Reifezeugnis nicht durchaus ver¬
langt, Nichtlatcinern blieb nur der Staatsdienst verschlossen. Erst unter dem
Ministerium! Eichhorn wurde die Erwerbung des Reifezeugnisses von dem
Nachweis hinlänglicher Kenntnis des Lateinischen abhängig gemacht. Die Landes-


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[0286] Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. Vorschläge der preußischen Direktorenkvnfcrcnzcn und der Philologenversamm- lungen liefern den Beweis. Wenn um much die Gymnasien bis heute das Latcinschrciben festgehalten haben, so haben dagegen die Universitäten ihre An¬ schauungen gewechselt, »och 1849 beschlossen sie, für alle offiziellen Akte am Lateinischen festzuhalten, seit 1867 haben sämtliche Fakultäten außer der theo¬ logischen bei Promotionen wie bei Habilitationen den Gebrauch der deutschen Sprache gestattet, es ist kaum einem Zweifel unterworfen, daß die Universitäten auf der eingeschlagenen Bahn eher vorwärts als rückwärts gehen werden. Paniscus Darstellung des preußischen Gynmasmlwesens schließt mit dem Lehrplane und der Prüfungsordnung von 1882; beide knüpfen an die Tradi¬ tionen Friedrich Wilhelms III. wieder an. Das Ziel blieb zwar wesentlich dasselbe l Gricchischlesen und Latcinischlesen und Schreiben, aber überall wird nachdrücklich betont, daß die Lektüre der klassischen Schriftsteller das Wesentliche sei, die Übungen im Schreiben sollen dementsprechend der Lektüre dienen und nicht umgekehrt. Das Latein „zum Organ für den Ausdruck der Gedanken des Schülers" zu machen, lehnt die Verordnung ausdrücklich ab, da dieses Ziel nicht mehr erreichbar sei, seitdem hierfür „die unerläßliche Bedingung des Er¬ folges fehlt, das sichere und leichte Können des Lehrers." Das griechische Skriptum ist ans den Prüfungsarbeiten entfernt, der latei¬ nische Aufsatz jedoch mit gewissen Begrenzungen beibehalten worden. Die gegen¬ wärtig noch geltende Lehrerprüfnngsvrdnung von 1866 bietet den Kandidaten eine höchst mannichfaltige, zur Auswahl gestellte Kombination von Prüfungs¬ fächern, verlangt aber anderseits, um zu verhüten, daß die Kandidaten sich ausschließlich Spczialforschungcn in einem beschränkten Gebiete zuwenden, den Nachweis allgemeiner Bildung in Religion und Geschichte, in Philosophie und Pädagogik. Eine Ausdehnung des Probejahres, um eine bessere Vorbildung zu erzielen, ist bis jetzt abgelehnt worden. Eine kurze Darlegung des Entwicklungsganges der preußischen Realschulen bildet den Schluß der geschichtlichen Darstellung Paniscus. Die alten, nicht unter die „Gymnasien" aufgenommenen Lateinschulen hatten sich möglichst dem Unterrichtsbedürfnis der städtischen Gemeinden angepaßt, und zwar zunächst ohne Einwirkung der Regierung. Sie bevorzuge» die neuere» Sprachen und Mathe¬ matik, ein Ausschluß des Latein war nicht gut möglich, da selbst für den Eintritt in die verschiednen Zweige des niedern Staatsdienstes die Ke»»t»is des Lateinischen erfordert wurde. Erst 1832 wurde eine vorläufige Instruktion für die Entlassungs¬ prüfung der höhern Bürger- und Realschulen erlassen, welche den Abiturienten die Berechtigung zum einjährigen Dienst, den Eintritt in das Post-, Forst- und Baufach zusicherte, das Latein wurde für das Reifezeugnis nicht durchaus ver¬ langt, Nichtlatcinern blieb nur der Staatsdienst verschlossen. Erst unter dem Ministerium! Eichhorn wurde die Erwerbung des Reifezeugnisses von dem Nachweis hinlänglicher Kenntnis des Lateinischen abhängig gemacht. Die Landes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/286>, abgerufen am 15.01.2025.