Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. "die sich im Laufe von Jahrhunderten als Glieder eines lebendigen Organismus Sicher ist, daß die unter Schutzes Verwaltung herangebildeten Abiturienten Die Ausbildung der Lehrer hatte feit der Durchführung der neuhuma¬ Ein neuer Abschnitt des preußischen Schulwesens beginnt mit der Thron¬ Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. „die sich im Laufe von Jahrhunderten als Glieder eines lebendigen Organismus Sicher ist, daß die unter Schutzes Verwaltung herangebildeten Abiturienten Die Ausbildung der Lehrer hatte feit der Durchführung der neuhuma¬ Ein neuer Abschnitt des preußischen Schulwesens beginnt mit der Thron¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197017"/> <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.</fw><lb/> <p xml:id="ID_888" prev="#ID_887"> „die sich im Laufe von Jahrhunderten als Glieder eines lebendigen Organismus<lb/> entfaltet haben," könne keiner entfernt werden. „Zur leitenden Norm" ist dem<lb/> Reskript ein Stundenplan beigegeben, welcher höchstens zweiunddreißig Stunden<lb/> gestattet.</p><lb/> <p xml:id="ID_889"> Sicher ist, daß die unter Schutzes Verwaltung herangebildeten Abiturienten<lb/> ein höheres Maß von Kenntnissen auszuweisen hatten, als die vor 1800 aus<lb/> den Schulen hervorgegangenen, ein Mehr, welches lediglich durch eine längere<lb/> Schulzeit erzielt wurde; nachweislich hat von 1320 bis 1360 eine Hinaus¬<lb/> schiebung des Abgangstermins im Lebensalter um ein bis zwei Jahre statt¬<lb/> gefunden. In Berlin selbst erkannten mehrere Gymnasialdirektoren die von<lb/> Lorinser erhobenen Beschwerden als gerechtfertigt an. Universitätslehrer, wie<lb/> Lachmann, Böckh und Ritschl, klagten über die ungenügende Vorbereitung,<lb/> welche die angehenden Philologen von den Gymnasien namentlich in den alten<lb/> Sprachen mitbrächten. Die Fertigkeit im Griechischen, welche das Prüsuugs-<lb/> reglement forderte, wurde keineswegs erreicht. Herbart meinte, der Jugend<lb/> fehle es wegen Überhäufung mit häuslichen Arbeiten besonders an Frohsinn.<lb/> Eine gewisse geistige und körperliche Schlaffheit ist damals unbefangenen Be¬<lb/> obachtern gerade an den preußischen Studenten im Gegensatze zu den süd¬<lb/> deutschen aufgefallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_890"> Die Ausbildung der Lehrer hatte feit der Durchführung der neuhuma¬<lb/> nistischen Reorganisation uicht unbeträchtliche Fortschritte gemacht, tüchtige<lb/> Philologen und Mathematiker wurden jetzt herangebildet, freilich taucht nun<lb/> die nie verstummende Klage auf, daß die Schüler wohl Grammatik und Alter¬<lb/> tumswissenschaft lernten, aber nicht zur Fertigkeit im Lesen und Schreiben<lb/> kämen. Dann wurde auch geklagt, daß seit der strengeren Durchführung der<lb/> Prüfnngsbestiimnuugen auf der Universität von einer freien, selbständigen wissen¬<lb/> schaftlichen Beschäftigung kaum noch die Rede sei, man beschränke sich auf ein<lb/> „hastiges und abgerissenes Lernen" der Fächer, welche für das Examen erfordert<lb/> würden. Paniscus Gesamturteil über die Thätigkeit Schutzes geht dahin, daß<lb/> die Organisation des gelehrten Schulwesens ganz außerordentlich vervollkommnet<lb/> und dadurch die Erzielung eines bedeutenden Durchschnittsmaßes von Kennt¬<lb/> nissen gesichert worden sei. Dadurch aber, daß diese Organisation dahin strebte,<lb/> den Erfolg von dem guten Willen und der Einsicht der Einzelnen unabhängig<lb/> zu machen, wird zunächst eine Teilnahme der Gemeinde am Schulbetriebe und<lb/> dann in ziemlichem Umfange doch die freie Einwirkung der Lehrer („seit der<lb/> Organisation giebt es keine berühmten Rektoren mehr") aufgehoben.</p><lb/> <p xml:id="ID_891" next="#ID_892"> Ein neuer Abschnitt des preußischen Schulwesens beginnt mit der Thron¬<lb/> besteigung Friedrich Wilhelms IV. Der Aufschwung, den die germanistischen,<lb/> romanischen und indischen Studien einerseits, die historischen Forschungen im<lb/> deutschen Mittelalter anderseits nahmen, hatte an Stelle der begrenzten Alter¬<lb/> tumswissenschaft ein Arbeitsfeld von unermeßlicher Ausdehnung geöffnet. Nicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0283]
Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.
„die sich im Laufe von Jahrhunderten als Glieder eines lebendigen Organismus
entfaltet haben," könne keiner entfernt werden. „Zur leitenden Norm" ist dem
Reskript ein Stundenplan beigegeben, welcher höchstens zweiunddreißig Stunden
gestattet.
Sicher ist, daß die unter Schutzes Verwaltung herangebildeten Abiturienten
ein höheres Maß von Kenntnissen auszuweisen hatten, als die vor 1800 aus
den Schulen hervorgegangenen, ein Mehr, welches lediglich durch eine längere
Schulzeit erzielt wurde; nachweislich hat von 1320 bis 1360 eine Hinaus¬
schiebung des Abgangstermins im Lebensalter um ein bis zwei Jahre statt¬
gefunden. In Berlin selbst erkannten mehrere Gymnasialdirektoren die von
Lorinser erhobenen Beschwerden als gerechtfertigt an. Universitätslehrer, wie
Lachmann, Böckh und Ritschl, klagten über die ungenügende Vorbereitung,
welche die angehenden Philologen von den Gymnasien namentlich in den alten
Sprachen mitbrächten. Die Fertigkeit im Griechischen, welche das Prüsuugs-
reglement forderte, wurde keineswegs erreicht. Herbart meinte, der Jugend
fehle es wegen Überhäufung mit häuslichen Arbeiten besonders an Frohsinn.
Eine gewisse geistige und körperliche Schlaffheit ist damals unbefangenen Be¬
obachtern gerade an den preußischen Studenten im Gegensatze zu den süd¬
deutschen aufgefallen.
Die Ausbildung der Lehrer hatte feit der Durchführung der neuhuma¬
nistischen Reorganisation uicht unbeträchtliche Fortschritte gemacht, tüchtige
Philologen und Mathematiker wurden jetzt herangebildet, freilich taucht nun
die nie verstummende Klage auf, daß die Schüler wohl Grammatik und Alter¬
tumswissenschaft lernten, aber nicht zur Fertigkeit im Lesen und Schreiben
kämen. Dann wurde auch geklagt, daß seit der strengeren Durchführung der
Prüfnngsbestiimnuugen auf der Universität von einer freien, selbständigen wissen¬
schaftlichen Beschäftigung kaum noch die Rede sei, man beschränke sich auf ein
„hastiges und abgerissenes Lernen" der Fächer, welche für das Examen erfordert
würden. Paniscus Gesamturteil über die Thätigkeit Schutzes geht dahin, daß
die Organisation des gelehrten Schulwesens ganz außerordentlich vervollkommnet
und dadurch die Erzielung eines bedeutenden Durchschnittsmaßes von Kennt¬
nissen gesichert worden sei. Dadurch aber, daß diese Organisation dahin strebte,
den Erfolg von dem guten Willen und der Einsicht der Einzelnen unabhängig
zu machen, wird zunächst eine Teilnahme der Gemeinde am Schulbetriebe und
dann in ziemlichem Umfange doch die freie Einwirkung der Lehrer („seit der
Organisation giebt es keine berühmten Rektoren mehr") aufgehoben.
Ein neuer Abschnitt des preußischen Schulwesens beginnt mit der Thron¬
besteigung Friedrich Wilhelms IV. Der Aufschwung, den die germanistischen,
romanischen und indischen Studien einerseits, die historischen Forschungen im
deutschen Mittelalter anderseits nahmen, hatte an Stelle der begrenzten Alter¬
tumswissenschaft ein Arbeitsfeld von unermeßlicher Ausdehnung geöffnet. Nicht
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