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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.
(Schluß.)

it der Umwandlung des innersten geistigen Lebens traf eine voll¬
kommene Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung zusammen.
Der Bürgerstand und aus ihm namentlich die Gelehrtenwelt errang
sich neben dem Adel und den Höfen zunächst literarische Geltung
und gesellige Gleichstellung, im neunzehnten Jahrhundert erreichte
er auch die politische Gleichstellung. Die französische Bildung, vorher ein kost¬
bares Besitztum des Adels, ist nun ein überwundner Standpunkt, denn "Ur-
kunde des Griechischen" schließt von der höheren Bildung aus, war ja die Parole
der neuen Gesellschaftsschicht. In diese Lage der Dinge fiel der Zusammenbruch
des deutschen Reiches und des preußischen Staates. Die Vertreter der neuen
Bildung -- das damalige junge Deutschland -- bezeichneten sofort als Grund:
die Aufklärung, die Nützlichkeitsphilosophie, das Adelsregiment und das Fran-
zosentum; nur von einer gänzlich veränderten Erziehung der Jugend könne eine
Wiederherstellung des deutschen Volkes erwartet werden. Der Sieg des Huma¬
nismus bezeichnet den Sieg der Gesellschaftsklasse, welche Trägerin jener Bildung
war. In dem neuen Gymnasium empfängt das wohlhabende Bürgertum und
der Adel seine Vorbildung für die Universitäten, die unbemittelteren Klassen,
welche bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts die untersten Abteilungen
der alten Lateinschule füllten, sind abgestoßen, eigne Unterrichtsanstalten für den
Adel, die Ritterakademieen und die Privatinformcitivnen sind verschwunden,
selbstverständlich hat sich mit der sozialen Stellung der Schüler auch die der
Lehrer verändert, welche jetzt mit zur regierenden Gesellschaftsklasse gehören.

Die nächstfolgende Epoche von 1818 bis 1840 suchte unter dem Mini¬
sterium Altenstein das neu geschaffene preußische Gymnasialwesen genauer in
den Rahmen der Gesetzgebung einzufügen. Altensteins rechte Hand war Jo¬
hannes Schulze, seit 1818 Dezernent der Gymnasien und Universitäten, der
echte preußische Beamte. Sein Ziel war, die erprobte altpreußische Zucht auch
dem ihm untergebenen Verwaltungskrcis einzuführen. Schulzens Wirksamkeit
wurde in hohem Grade beeinflußt von den politischen Veränderungen, welche
bald nach seinem Amtsantritte stattgefunden hatten. Wie ein Erlaß des Mi¬
nisteriums des Innern von 1824 den Lehrern einschärfte, in ihren Schülern
^ unter strengster behördlicher Kontrole -- "Gesinnungen der Anhänglichkeit,
Treue und des Gehorsames an Landesherr" und Staat zu erwecken und be¬
festigen," so stellte eine Verfügung des Unterrichtsministeriums den Lehrern die
Aufgabe, "Christen zu erziehen."


Grenzboten IV. 188S.
Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.
(Schluß.)

it der Umwandlung des innersten geistigen Lebens traf eine voll¬
kommene Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung zusammen.
Der Bürgerstand und aus ihm namentlich die Gelehrtenwelt errang
sich neben dem Adel und den Höfen zunächst literarische Geltung
und gesellige Gleichstellung, im neunzehnten Jahrhundert erreichte
er auch die politische Gleichstellung. Die französische Bildung, vorher ein kost¬
bares Besitztum des Adels, ist nun ein überwundner Standpunkt, denn „Ur-
kunde des Griechischen" schließt von der höheren Bildung aus, war ja die Parole
der neuen Gesellschaftsschicht. In diese Lage der Dinge fiel der Zusammenbruch
des deutschen Reiches und des preußischen Staates. Die Vertreter der neuen
Bildung — das damalige junge Deutschland — bezeichneten sofort als Grund:
die Aufklärung, die Nützlichkeitsphilosophie, das Adelsregiment und das Fran-
zosentum; nur von einer gänzlich veränderten Erziehung der Jugend könne eine
Wiederherstellung des deutschen Volkes erwartet werden. Der Sieg des Huma¬
nismus bezeichnet den Sieg der Gesellschaftsklasse, welche Trägerin jener Bildung
war. In dem neuen Gymnasium empfängt das wohlhabende Bürgertum und
der Adel seine Vorbildung für die Universitäten, die unbemittelteren Klassen,
welche bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts die untersten Abteilungen
der alten Lateinschule füllten, sind abgestoßen, eigne Unterrichtsanstalten für den
Adel, die Ritterakademieen und die Privatinformcitivnen sind verschwunden,
selbstverständlich hat sich mit der sozialen Stellung der Schüler auch die der
Lehrer verändert, welche jetzt mit zur regierenden Gesellschaftsklasse gehören.

Die nächstfolgende Epoche von 1818 bis 1840 suchte unter dem Mini¬
sterium Altenstein das neu geschaffene preußische Gymnasialwesen genauer in
den Rahmen der Gesetzgebung einzufügen. Altensteins rechte Hand war Jo¬
hannes Schulze, seit 1818 Dezernent der Gymnasien und Universitäten, der
echte preußische Beamte. Sein Ziel war, die erprobte altpreußische Zucht auch
dem ihm untergebenen Verwaltungskrcis einzuführen. Schulzens Wirksamkeit
wurde in hohem Grade beeinflußt von den politischen Veränderungen, welche
bald nach seinem Amtsantritte stattgefunden hatten. Wie ein Erlaß des Mi¬
nisteriums des Innern von 1824 den Lehrern einschärfte, in ihren Schülern
^ unter strengster behördlicher Kontrole — „Gesinnungen der Anhänglichkeit,
Treue und des Gehorsames an Landesherr» und Staat zu erwecken und be¬
festigen," so stellte eine Verfügung des Unterrichtsministeriums den Lehrern die
Aufgabe, „Christen zu erziehen."


Grenzboten IV. 188S.
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[0281] Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. (Schluß.) it der Umwandlung des innersten geistigen Lebens traf eine voll¬ kommene Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung zusammen. Der Bürgerstand und aus ihm namentlich die Gelehrtenwelt errang sich neben dem Adel und den Höfen zunächst literarische Geltung und gesellige Gleichstellung, im neunzehnten Jahrhundert erreichte er auch die politische Gleichstellung. Die französische Bildung, vorher ein kost¬ bares Besitztum des Adels, ist nun ein überwundner Standpunkt, denn „Ur- kunde des Griechischen" schließt von der höheren Bildung aus, war ja die Parole der neuen Gesellschaftsschicht. In diese Lage der Dinge fiel der Zusammenbruch des deutschen Reiches und des preußischen Staates. Die Vertreter der neuen Bildung — das damalige junge Deutschland — bezeichneten sofort als Grund: die Aufklärung, die Nützlichkeitsphilosophie, das Adelsregiment und das Fran- zosentum; nur von einer gänzlich veränderten Erziehung der Jugend könne eine Wiederherstellung des deutschen Volkes erwartet werden. Der Sieg des Huma¬ nismus bezeichnet den Sieg der Gesellschaftsklasse, welche Trägerin jener Bildung war. In dem neuen Gymnasium empfängt das wohlhabende Bürgertum und der Adel seine Vorbildung für die Universitäten, die unbemittelteren Klassen, welche bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts die untersten Abteilungen der alten Lateinschule füllten, sind abgestoßen, eigne Unterrichtsanstalten für den Adel, die Ritterakademieen und die Privatinformcitivnen sind verschwunden, selbstverständlich hat sich mit der sozialen Stellung der Schüler auch die der Lehrer verändert, welche jetzt mit zur regierenden Gesellschaftsklasse gehören. Die nächstfolgende Epoche von 1818 bis 1840 suchte unter dem Mini¬ sterium Altenstein das neu geschaffene preußische Gymnasialwesen genauer in den Rahmen der Gesetzgebung einzufügen. Altensteins rechte Hand war Jo¬ hannes Schulze, seit 1818 Dezernent der Gymnasien und Universitäten, der echte preußische Beamte. Sein Ziel war, die erprobte altpreußische Zucht auch dem ihm untergebenen Verwaltungskrcis einzuführen. Schulzens Wirksamkeit wurde in hohem Grade beeinflußt von den politischen Veränderungen, welche bald nach seinem Amtsantritte stattgefunden hatten. Wie ein Erlaß des Mi¬ nisteriums des Innern von 1824 den Lehrern einschärfte, in ihren Schülern ^ unter strengster behördlicher Kontrole — „Gesinnungen der Anhänglichkeit, Treue und des Gehorsames an Landesherr» und Staat zu erwecken und be¬ festigen," so stellte eine Verfügung des Unterrichtsministeriums den Lehrern die Aufgabe, „Christen zu erziehen." Grenzboten IV. 188S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/281>, abgerufen am 15.01.2025.