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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Lin Krieg Englands in Birma.

würde, wenn dieser seine Augen nicht mehr auf innere "Reformen" als ans
die Bedürfnisse des Reiches in auswärtigen Angelegenheiten gerichtet hätte.
Der König war ein blutgieriger und rücksichtsloser Despot, zu grausam selbst
für einen Potentaten "mit goldnen Füßen," wie sie in Birma das Volk und
ihre eignen Familien zertreten, und in dieser Eigenschaft eine stete Beunruhigung
seiner britischen Nachbarn am untern Laufe des Jrawaddy. Mehrmals hat er
mit Willkürmaßregeln in den Handel auf den obern Gewässern dieses Stromes
eingegriffen. Neuerdings aber wurde den Engländern neuer Anlaß zum Mi߬
vergnügen und zum Argwohn gegeben, und zwar durch das Verfahren des
französischen Konsuls, der seinen Einfluß beim Könige gegen sie benutzte. Hatten
sie schon längst zu sehen geglaubt, daß Frankreich darnach trachtete, in dem
ganzen Gebiete zwischen der See und der Grenze Birmas mehr und mehr Fuß
zu fassen und unter andern: auch Siam in einem von ihn abhängigen Staat
zu verwandeln, so bekamen sie jetzt greifbarere Beweise für dessen Absicht in
die Hand, ihre Interessen zu benachteilige!,. Thibau suchte bei den Franzosen
die Erlaubnis nach, über Tonking Waffen und Munition zu beziehen; er bekam
zwar nur unbestimmte Versprechungen, aber bald darauf riefen Intriguen des
französischen Konsuls ernstere Befürchtungen hervor, welche die schleichende
Krankheit akut werden ließen und eine Krisis herbeiführten. Der Konsul ver¬
schaffte sich vom Könige die Konzession zum Bau voll Eisenbahnen, indem er
hohe Interessen versprach und vorschlug, die Zölle als Sicherheit dafür zu
nehmen. Er betrieb ferner die Gründung eiuer Bank, die den Theehandel und
die Bearbeitung der Nubinengruben in die Hand nehmen sollte. Er bot endlich
dem Könige eine beträchtliche Summe, falls dieser die der Bombay- und Birma-
Handelskorporation erteilten Privilegien zurückzöge und sie einer französischen
Gesellschaft übertrüge. Der König scheint darauf eingegangen zu sein, wenigstens
erklärt sich wohl daraus die Thatsache, daß er der Korporation durch ein Dekret
eine Geldstrafe von 230 000 Pfund Sterling auferlegte. Die Korporation ist
ein bedeutendes Institut, sie betreibt hauptsächlich Holzhandel und beschäftigt
mit dem Fällen und Verschiffen der Stämme Massen von Arbeitern und
Elefanten. Sie weigerte sich, die Strafe zu bezahlen und wendete sich um
Beistand an die indische Regierung. Lord Dufferin, der Vizekönig, schlug Bei¬
legung des Streites durch ein Schiedsgericht vor, obwohl er ihn nach Bestimmungen
des Traktats, der zwischen Großbritannien und Birma besteht, vor einen ge¬
mischten Gerichtshof hätte bringen können. Der König, der sich ohne Zweifel
auf französische Unterstützung verließ, wies den Vorschlag zurück, erklärte, die
Angelegenheit sei für ihn keine Frage, und schickte sich an, sein Dekret mit Gewalt
zur Ausführung zu bringen.

Mittlerweile hatte das ganze Auftreten der Franzosen in Birma zu diplo¬
matischer Erörterung der Sache zwischen dem neuen Toryregiment in London
und dem Minister des Auswärtigen in Paris Anlaß gegeben. Lord Salisbury


Lin Krieg Englands in Birma.

würde, wenn dieser seine Augen nicht mehr auf innere „Reformen" als ans
die Bedürfnisse des Reiches in auswärtigen Angelegenheiten gerichtet hätte.
Der König war ein blutgieriger und rücksichtsloser Despot, zu grausam selbst
für einen Potentaten „mit goldnen Füßen," wie sie in Birma das Volk und
ihre eignen Familien zertreten, und in dieser Eigenschaft eine stete Beunruhigung
seiner britischen Nachbarn am untern Laufe des Jrawaddy. Mehrmals hat er
mit Willkürmaßregeln in den Handel auf den obern Gewässern dieses Stromes
eingegriffen. Neuerdings aber wurde den Engländern neuer Anlaß zum Mi߬
vergnügen und zum Argwohn gegeben, und zwar durch das Verfahren des
französischen Konsuls, der seinen Einfluß beim Könige gegen sie benutzte. Hatten
sie schon längst zu sehen geglaubt, daß Frankreich darnach trachtete, in dem
ganzen Gebiete zwischen der See und der Grenze Birmas mehr und mehr Fuß
zu fassen und unter andern: auch Siam in einem von ihn abhängigen Staat
zu verwandeln, so bekamen sie jetzt greifbarere Beweise für dessen Absicht in
die Hand, ihre Interessen zu benachteilige!,. Thibau suchte bei den Franzosen
die Erlaubnis nach, über Tonking Waffen und Munition zu beziehen; er bekam
zwar nur unbestimmte Versprechungen, aber bald darauf riefen Intriguen des
französischen Konsuls ernstere Befürchtungen hervor, welche die schleichende
Krankheit akut werden ließen und eine Krisis herbeiführten. Der Konsul ver¬
schaffte sich vom Könige die Konzession zum Bau voll Eisenbahnen, indem er
hohe Interessen versprach und vorschlug, die Zölle als Sicherheit dafür zu
nehmen. Er betrieb ferner die Gründung eiuer Bank, die den Theehandel und
die Bearbeitung der Nubinengruben in die Hand nehmen sollte. Er bot endlich
dem Könige eine beträchtliche Summe, falls dieser die der Bombay- und Birma-
Handelskorporation erteilten Privilegien zurückzöge und sie einer französischen
Gesellschaft übertrüge. Der König scheint darauf eingegangen zu sein, wenigstens
erklärt sich wohl daraus die Thatsache, daß er der Korporation durch ein Dekret
eine Geldstrafe von 230 000 Pfund Sterling auferlegte. Die Korporation ist
ein bedeutendes Institut, sie betreibt hauptsächlich Holzhandel und beschäftigt
mit dem Fällen und Verschiffen der Stämme Massen von Arbeitern und
Elefanten. Sie weigerte sich, die Strafe zu bezahlen und wendete sich um
Beistand an die indische Regierung. Lord Dufferin, der Vizekönig, schlug Bei¬
legung des Streites durch ein Schiedsgericht vor, obwohl er ihn nach Bestimmungen
des Traktats, der zwischen Großbritannien und Birma besteht, vor einen ge¬
mischten Gerichtshof hätte bringen können. Der König, der sich ohne Zweifel
auf französische Unterstützung verließ, wies den Vorschlag zurück, erklärte, die
Angelegenheit sei für ihn keine Frage, und schickte sich an, sein Dekret mit Gewalt
zur Ausführung zu bringen.

Mittlerweile hatte das ganze Auftreten der Franzosen in Birma zu diplo¬
matischer Erörterung der Sache zwischen dem neuen Toryregiment in London
und dem Minister des Auswärtigen in Paris Anlaß gegeben. Lord Salisbury


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[0274] Lin Krieg Englands in Birma. würde, wenn dieser seine Augen nicht mehr auf innere „Reformen" als ans die Bedürfnisse des Reiches in auswärtigen Angelegenheiten gerichtet hätte. Der König war ein blutgieriger und rücksichtsloser Despot, zu grausam selbst für einen Potentaten „mit goldnen Füßen," wie sie in Birma das Volk und ihre eignen Familien zertreten, und in dieser Eigenschaft eine stete Beunruhigung seiner britischen Nachbarn am untern Laufe des Jrawaddy. Mehrmals hat er mit Willkürmaßregeln in den Handel auf den obern Gewässern dieses Stromes eingegriffen. Neuerdings aber wurde den Engländern neuer Anlaß zum Mi߬ vergnügen und zum Argwohn gegeben, und zwar durch das Verfahren des französischen Konsuls, der seinen Einfluß beim Könige gegen sie benutzte. Hatten sie schon längst zu sehen geglaubt, daß Frankreich darnach trachtete, in dem ganzen Gebiete zwischen der See und der Grenze Birmas mehr und mehr Fuß zu fassen und unter andern: auch Siam in einem von ihn abhängigen Staat zu verwandeln, so bekamen sie jetzt greifbarere Beweise für dessen Absicht in die Hand, ihre Interessen zu benachteilige!,. Thibau suchte bei den Franzosen die Erlaubnis nach, über Tonking Waffen und Munition zu beziehen; er bekam zwar nur unbestimmte Versprechungen, aber bald darauf riefen Intriguen des französischen Konsuls ernstere Befürchtungen hervor, welche die schleichende Krankheit akut werden ließen und eine Krisis herbeiführten. Der Konsul ver¬ schaffte sich vom Könige die Konzession zum Bau voll Eisenbahnen, indem er hohe Interessen versprach und vorschlug, die Zölle als Sicherheit dafür zu nehmen. Er betrieb ferner die Gründung eiuer Bank, die den Theehandel und die Bearbeitung der Nubinengruben in die Hand nehmen sollte. Er bot endlich dem Könige eine beträchtliche Summe, falls dieser die der Bombay- und Birma- Handelskorporation erteilten Privilegien zurückzöge und sie einer französischen Gesellschaft übertrüge. Der König scheint darauf eingegangen zu sein, wenigstens erklärt sich wohl daraus die Thatsache, daß er der Korporation durch ein Dekret eine Geldstrafe von 230 000 Pfund Sterling auferlegte. Die Korporation ist ein bedeutendes Institut, sie betreibt hauptsächlich Holzhandel und beschäftigt mit dem Fällen und Verschiffen der Stämme Massen von Arbeitern und Elefanten. Sie weigerte sich, die Strafe zu bezahlen und wendete sich um Beistand an die indische Regierung. Lord Dufferin, der Vizekönig, schlug Bei¬ legung des Streites durch ein Schiedsgericht vor, obwohl er ihn nach Bestimmungen des Traktats, der zwischen Großbritannien und Birma besteht, vor einen ge¬ mischten Gerichtshof hätte bringen können. Der König, der sich ohne Zweifel auf französische Unterstützung verließ, wies den Vorschlag zurück, erklärte, die Angelegenheit sei für ihn keine Frage, und schickte sich an, sein Dekret mit Gewalt zur Ausführung zu bringen. Mittlerweile hatte das ganze Auftreten der Franzosen in Birma zu diplo¬ matischer Erörterung der Sache zwischen dem neuen Toryregiment in London und dem Minister des Auswärtigen in Paris Anlaß gegeben. Lord Salisbury

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/274>, abgerufen am 15.01.2025.