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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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werde", wird sich die Nichtigkeit meiner Auffassung auch dem hartnäckigsten
Gegner offenbaren.

Dann müssen Sie, schaltete Harald ein, für Apostel sorgen, die Ihr Werk
und Ihre Worte bei den Heiden verbreiten.

Ich habe zunächst nur in meiner Tochter einen solchen Apostel.

Wie, meinte Harald, soll Fräulein Vroni sich einem Werte widmen, das
der weiblichen Natur und Bestimmung so fern liegt?

Alles, was nicht dem hergebrachten Einerlei entspricht, erregt euern Wider¬
spruch. Ihr könnt euch die Frau anders als in Küche und Kinderstube garnicht
denken, meine Vroni aber ist für diese gemeinen Dinge des Lebens nicht erzogen.

Inzwischen war Vroni herangetreten und but Harald, sich doch auch unter
das junge Volk zu mischen. Er kam dieser Aufforderung gern nach und begegnete
in der Gruppe junger Mädchen seiner ehemaligen Schülerin Allee Beher, die er
freundlich begrüßte und nach ihrer Busenfreundin Anna Wolff befragte.

Mit der verkehre ich nicht mehr, erwiederte Alice hart, ihr Vater hat wegen
mißglückter Börsenspekulationen sein Geschäft aufgeben müssen, und deshalb hat
mir mein Vater den Verkehr in diesem Hause verboten.

Das thut mir aufrichtig leid, sagte Harald, denn Anna war stets ein
gutherziges Mädchen und Ihnen mit geradezu schwärmerischer Liebe zugethan.
Ich glaubte garnicht, daß die Kinder so hart ihrer Väter Sünden büßen müßten.

Sie sind noch zu unbekannt hier in Berlin, Herr Stolberg, sonst müßten
Sie wissen, daß die Tochter von G. Beyer und Komp. nicht in einem bankerotten
Hause verkehren kann. Darauf wandte sie sich einem Offizier zu, der schon
mit Ungeduld auf den Abbruch dieses Gespräches gewartet hatte.

Auf Betreiben Vronis hatte sich die junge Gesellschaft in einen Kreis nieder¬
gelassen und eine Reihe von Gesellschaftsspielen begonnen, an denen sich auch
Harald beteiligen mußte. Vroni leitete alles mit großer Geschicklichkeit, blieb
stets der Mittelpunkt des Ganzen und wußte ebenso geschickt Huldigungen zu
erteilen wie entgegenzunehmen.

Gegen elf Uhr ging man zu Tische, dessen reichbedeckte Tafeln ein Zu¬
geständnis des Hausherrn an die verderbte Sitte der Zeit und seiner Gäste
waren. Die Engagements waren schon während des Abends getroffen worden,
und Harald, der diese Übung nicht kannte, war dabei leer ausgegangen; er hatte
Vroni um ihre Begleitung gebeten, aber mit übler Laune erfahren, daß sie sich
bereits mit einem Offizier verabredet habe. Vroni merkte Haralds Verstimmung,
und so wußte sie es einzurichten, daß er zwischen ihr und Alice einen Sitz fand.

Harald war auch bei Tische wenig gesprächig, er hatte in dem ganzen Kreise
niemand gefunden, zu dem er sich näher hingezogen fühlte, und er spürte nach
dem ermüdend langen Stehen und Gehen eine gewisse Abspannung. Vroni war
eifrig mit ihrem Tischnachbar beschäftigt, und Harald erfuhr, daß nach Aufhebung
der Tafel von diesen beiden das Schneidersche Stück "Der Kurmärker und die


werde», wird sich die Nichtigkeit meiner Auffassung auch dem hartnäckigsten
Gegner offenbaren.

Dann müssen Sie, schaltete Harald ein, für Apostel sorgen, die Ihr Werk
und Ihre Worte bei den Heiden verbreiten.

Ich habe zunächst nur in meiner Tochter einen solchen Apostel.

Wie, meinte Harald, soll Fräulein Vroni sich einem Werte widmen, das
der weiblichen Natur und Bestimmung so fern liegt?

Alles, was nicht dem hergebrachten Einerlei entspricht, erregt euern Wider¬
spruch. Ihr könnt euch die Frau anders als in Küche und Kinderstube garnicht
denken, meine Vroni aber ist für diese gemeinen Dinge des Lebens nicht erzogen.

Inzwischen war Vroni herangetreten und but Harald, sich doch auch unter
das junge Volk zu mischen. Er kam dieser Aufforderung gern nach und begegnete
in der Gruppe junger Mädchen seiner ehemaligen Schülerin Allee Beher, die er
freundlich begrüßte und nach ihrer Busenfreundin Anna Wolff befragte.

Mit der verkehre ich nicht mehr, erwiederte Alice hart, ihr Vater hat wegen
mißglückter Börsenspekulationen sein Geschäft aufgeben müssen, und deshalb hat
mir mein Vater den Verkehr in diesem Hause verboten.

Das thut mir aufrichtig leid, sagte Harald, denn Anna war stets ein
gutherziges Mädchen und Ihnen mit geradezu schwärmerischer Liebe zugethan.
Ich glaubte garnicht, daß die Kinder so hart ihrer Väter Sünden büßen müßten.

Sie sind noch zu unbekannt hier in Berlin, Herr Stolberg, sonst müßten
Sie wissen, daß die Tochter von G. Beyer und Komp. nicht in einem bankerotten
Hause verkehren kann. Darauf wandte sie sich einem Offizier zu, der schon
mit Ungeduld auf den Abbruch dieses Gespräches gewartet hatte.

Auf Betreiben Vronis hatte sich die junge Gesellschaft in einen Kreis nieder¬
gelassen und eine Reihe von Gesellschaftsspielen begonnen, an denen sich auch
Harald beteiligen mußte. Vroni leitete alles mit großer Geschicklichkeit, blieb
stets der Mittelpunkt des Ganzen und wußte ebenso geschickt Huldigungen zu
erteilen wie entgegenzunehmen.

Gegen elf Uhr ging man zu Tische, dessen reichbedeckte Tafeln ein Zu¬
geständnis des Hausherrn an die verderbte Sitte der Zeit und seiner Gäste
waren. Die Engagements waren schon während des Abends getroffen worden,
und Harald, der diese Übung nicht kannte, war dabei leer ausgegangen; er hatte
Vroni um ihre Begleitung gebeten, aber mit übler Laune erfahren, daß sie sich
bereits mit einem Offizier verabredet habe. Vroni merkte Haralds Verstimmung,
und so wußte sie es einzurichten, daß er zwischen ihr und Alice einen Sitz fand.

Harald war auch bei Tische wenig gesprächig, er hatte in dem ganzen Kreise
niemand gefunden, zu dem er sich näher hingezogen fühlte, und er spürte nach
dem ermüdend langen Stehen und Gehen eine gewisse Abspannung. Vroni war
eifrig mit ihrem Tischnachbar beschäftigt, und Harald erfuhr, daß nach Aufhebung
der Tafel von diesen beiden das Schneidersche Stück „Der Kurmärker und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/270>, abgerufen am 15.01.2025.