Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Neue Dramen. welches im Theater noch lebendiger ist als bei der Lektüre eines Buches, nicht "Ein Weib, das sich gleichmäßig beiden hingiebt, dem Gatten und dem Ge¬ Uns beiden muß gereichen eine Idee, welche sich zur Tragik des Gottfriedschen Epos etwa wie eine fein aus¬ Neue Dramen. welches im Theater noch lebendiger ist als bei der Lektüre eines Buches, nicht „Ein Weib, das sich gleichmäßig beiden hingiebt, dem Gatten und dem Ge¬ Uns beiden muß gereichen eine Idee, welche sich zur Tragik des Gottfriedschen Epos etwa wie eine fein aus¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196996"/> <fw type="header" place="top"> Neue Dramen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_824" prev="#ID_823"> welches im Theater noch lebendiger ist als bei der Lektüre eines Buches, nicht<lb/> verletze. Es fragt sich nnr, ob wirklich durch die Umdichtuug unser Gefühl we¬<lb/> niger verletzt wird, und ob die Handlung, welche von Haus aus eine Tragödie<lb/> der Leidenschaften bildet, noch immer eine solche ist? Denn uns scheint es doch<lb/> gewissermaßen als Pflicht des Dichters, bei der Darstellung von Gestalten der Volks-<lb/> phantnsie oder der Sage auch in der Idee des Stoffes an der Tradition festzu¬<lb/> halten, sonst sind es uur die alten Name», aber nicht die alte, so gern gehörte<lb/> Geschichte, die er dem Volke in neuer Form erzählt. Mau hat dies auch mit<lb/> Recht dem „Don Juan" Paul Heyscs vorgeworfen, der eben kein Don Juan<lb/> mehr ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_825"> „Ein Weib, das sich gleichmäßig beiden hingiebt, dem Gatten und dem Ge¬<lb/> liebten, kann niemals die Heldin einer Tragödie werden; jede tragische Wirkung<lb/> würde aufgehoben durch die Beleidigung des sittlichen Gefühls und die Verletzung<lb/> der weiblichen Würde" — damit nimmt Roher Stellung zu dem Stoffe, wie. ihn<lb/> der Epiker noch überliefert und — stößt sich eigentlich am Kern der Sache. Er<lb/> läßt es daher nie dazu kommen, daß Isolde alö laoto die Gattin Markes wird,<lb/> sondern Braugäne, jene Kammerfrau, welche sie im Epos nur die erste Nacht<lb/> ersetzt, muß permanent ihre Stellvertreterin in dieser ehelichen Pflicht bleiben.<lb/> Damit ist die ganze frühere Idee über den Haufen geworfen und die Verwicklung<lb/> eine ganz andre geworden. Als Tristan für seinen Onkel Marke um die Hand Isoldens<lb/> am Hofe von Irland zu werben kommt, da schnaubt sie wilde Rache gegen ihn,<lb/> der ihr den Bräutigam Morold getötet hat. Aber das feine Wesen Tristans<lb/> nimmt sie wundersam gefangen, und in dem Augenblicke schon, da sie dem Drängen<lb/> ihrer Mutter nachgiebt (welche aus Politischen Rücksichten ihre Ehe mit Marke<lb/> wünscht) und sich noch selbst vorspiegelt, daß sie Tristan als Königin umso leichter<lb/> werde verderben können, da schon ist die Liebe zu ihm über sie gekommen, und<lb/> der hierauf gemeinsam getrunkene Zaubertrank hat sie vollends jeder weitern Selbst¬<lb/> beherrschung beraubt. Gleich im Beginn der Handlung knüpft also Roher den<lb/> Knoten der tragischen Schuld, und Isolde spricht (V. 1) die Idee derselbe» vor<lb/> Tristan aus:</p><lb/> <quote> Uns beiden muß gereichen<lb/> Zum Heil das Unheil, denn die Buße ist'S,<lb/> Daß ich in jener unheilvollen Stunde<lb/> Das eigne Herz wollt' zwingen, daß ich nicht,<lb/> So wie ich sollte, sprach: Den König nicht,<lb/> Dich nehm ich zum Gemnhl? daß du nicht sprachst:<lb/> Dich nehm ich für mich selbst, nicht für den König!<lb/> So mag sie uns eutsünd'gen, dich und mich —</quote><lb/> <p xml:id="ID_826" next="#ID_827"> eine Idee, welche sich zur Tragik des Gottfriedschen Epos etwa wie eine fein aus¬<lb/> getüpfelte Heysesche Novelle verhält. Der erste Akt, der Exposition und Verwicklung<lb/> schon enthält, ist übrigens in jeder Beziehung ein Meisterstück und bereitet den<lb/> Leser auf das Größte vor. Doch nun tritt Braugäue notwendig in deu Vorder¬<lb/> grund des Interesses. Ans der Bühne kommt zwischen ihr und Isolden — man<lb/> denke ! — die heikle Angelegenheit der Stellvertretung zum Auftrag! Als Geibel<lb/> in seiner „Brunhilde " die Szene zwischen Günther und Siegfried darzustellen<lb/> hatte, wo der letztere gleichfalls eine so interessante Pflicht zu übernehmen hatte,<lb/> da verlegte er wohlweislich das ganze Gespräch hinter die Kulissen. Hier sprechen<lb/> zwei Frauen offen davon, und es nützt garnichts, daß die gutmütige Braugäne<lb/> in aller Ehrlichkeit wild aufbraust und sich uur durch die flehentlichsten Bitten<lb/> Isoldens zu jenem Liebesdienste bewegen läßt. Auch hier fehlt es nicht an Mo-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0262]
Neue Dramen.
welches im Theater noch lebendiger ist als bei der Lektüre eines Buches, nicht
verletze. Es fragt sich nnr, ob wirklich durch die Umdichtuug unser Gefühl we¬
niger verletzt wird, und ob die Handlung, welche von Haus aus eine Tragödie
der Leidenschaften bildet, noch immer eine solche ist? Denn uns scheint es doch
gewissermaßen als Pflicht des Dichters, bei der Darstellung von Gestalten der Volks-
phantnsie oder der Sage auch in der Idee des Stoffes an der Tradition festzu¬
halten, sonst sind es uur die alten Name», aber nicht die alte, so gern gehörte
Geschichte, die er dem Volke in neuer Form erzählt. Mau hat dies auch mit
Recht dem „Don Juan" Paul Heyscs vorgeworfen, der eben kein Don Juan
mehr ist.
„Ein Weib, das sich gleichmäßig beiden hingiebt, dem Gatten und dem Ge¬
liebten, kann niemals die Heldin einer Tragödie werden; jede tragische Wirkung
würde aufgehoben durch die Beleidigung des sittlichen Gefühls und die Verletzung
der weiblichen Würde" — damit nimmt Roher Stellung zu dem Stoffe, wie. ihn
der Epiker noch überliefert und — stößt sich eigentlich am Kern der Sache. Er
läßt es daher nie dazu kommen, daß Isolde alö laoto die Gattin Markes wird,
sondern Braugäne, jene Kammerfrau, welche sie im Epos nur die erste Nacht
ersetzt, muß permanent ihre Stellvertreterin in dieser ehelichen Pflicht bleiben.
Damit ist die ganze frühere Idee über den Haufen geworfen und die Verwicklung
eine ganz andre geworden. Als Tristan für seinen Onkel Marke um die Hand Isoldens
am Hofe von Irland zu werben kommt, da schnaubt sie wilde Rache gegen ihn,
der ihr den Bräutigam Morold getötet hat. Aber das feine Wesen Tristans
nimmt sie wundersam gefangen, und in dem Augenblicke schon, da sie dem Drängen
ihrer Mutter nachgiebt (welche aus Politischen Rücksichten ihre Ehe mit Marke
wünscht) und sich noch selbst vorspiegelt, daß sie Tristan als Königin umso leichter
werde verderben können, da schon ist die Liebe zu ihm über sie gekommen, und
der hierauf gemeinsam getrunkene Zaubertrank hat sie vollends jeder weitern Selbst¬
beherrschung beraubt. Gleich im Beginn der Handlung knüpft also Roher den
Knoten der tragischen Schuld, und Isolde spricht (V. 1) die Idee derselbe» vor
Tristan aus:
Uns beiden muß gereichen
Zum Heil das Unheil, denn die Buße ist'S,
Daß ich in jener unheilvollen Stunde
Das eigne Herz wollt' zwingen, daß ich nicht,
So wie ich sollte, sprach: Den König nicht,
Dich nehm ich zum Gemnhl? daß du nicht sprachst:
Dich nehm ich für mich selbst, nicht für den König!
So mag sie uns eutsünd'gen, dich und mich —
eine Idee, welche sich zur Tragik des Gottfriedschen Epos etwa wie eine fein aus¬
getüpfelte Heysesche Novelle verhält. Der erste Akt, der Exposition und Verwicklung
schon enthält, ist übrigens in jeder Beziehung ein Meisterstück und bereitet den
Leser auf das Größte vor. Doch nun tritt Braugäue notwendig in deu Vorder¬
grund des Interesses. Ans der Bühne kommt zwischen ihr und Isolden — man
denke ! — die heikle Angelegenheit der Stellvertretung zum Auftrag! Als Geibel
in seiner „Brunhilde " die Szene zwischen Günther und Siegfried darzustellen
hatte, wo der letztere gleichfalls eine so interessante Pflicht zu übernehmen hatte,
da verlegte er wohlweislich das ganze Gespräch hinter die Kulissen. Hier sprechen
zwei Frauen offen davon, und es nützt garnichts, daß die gutmütige Braugäne
in aller Ehrlichkeit wild aufbraust und sich uur durch die flehentlichsten Bitten
Isoldens zu jenem Liebesdienste bewegen läßt. Auch hier fehlt es nicht an Mo-
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