Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Neue Dramen. denn er hat ihren Vater, den Langobardenkönig Desiderins, entthront, ihr Geschlecht Ach was! Ich sage: es ist besser, Auch Rotrndis, deren Gatte Grifo gleichfalls der Herrschsucht Karls zum Opfer Suchst dn den Herzog etwa, Freund? Der ist Wie kommt das? was erklärt Thassilos Handlungsweise, dessen Stammhaß als Neue Dramen. denn er hat ihren Vater, den Langobardenkönig Desiderins, entthront, ihr Geschlecht Ach was! Ich sage: es ist besser, Auch Rotrndis, deren Gatte Grifo gleichfalls der Herrschsucht Karls zum Opfer Suchst dn den Herzog etwa, Freund? Der ist Wie kommt das? was erklärt Thassilos Handlungsweise, dessen Stammhaß als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196992"/> <fw type="header" place="top"> Neue Dramen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_808" prev="#ID_807"> denn er hat ihren Vater, den Langobardenkönig Desiderins, entthront, ihr Geschlecht<lb/> damit heimatlos gemacht, auch verrät sie eine Persönliche Antipathie gegen den<lb/> „stiernackigen" Frankenkönig. Ihr Hetzen war aber ganz vergebens. Auch der Hof<lb/> Thassilos sieht mit Neid und Unruhe und auch gelangweilt durch den Müßiggang<lb/> des Friedens den Erfolgen Karls zu, der Wunder als Feldherr verrichtet; ja ein<lb/> Adlicher meint geradezu:</p><lb/> <quote> Ach was! Ich sage: es ist besser,<lb/> Im Heer des Franken eine Welt erobern,<lb/> Als hier in halber Freiheit zu versäuern.</quote><lb/> <p xml:id="ID_809"> Auch Rotrndis, deren Gatte Grifo gleichfalls der Herrschsucht Karls zum Opfer<lb/> gefallen ist und die an Thassilos Hofe mit ihrem Sohne Rothar das Gnadenbrod<lb/> genießt, hetzt ihn gegen den immer mächtiger um sich greifenden Franken. Aus<lb/> Byzanz kommt eine Botschaft von dein Bruder Lnitbergas, die Thassilo zum Kampfe<lb/> gegen Karl auffordern soll — vergebens. Die Avaren senden Gesandte an den<lb/> Herzog, in welchem sie einen natürlichen Bundesgenossen gegen Karl voraussetzen,<lb/> und laden zum Kriege ein — umsonst. Seine Gattin läßt Thassilo still, aber un¬<lb/> gerührt reden; Rotrndis bemitleidet und entschuldigt er und verweist sie sonst zur<lb/> Ruhe; den byzantinischen Botschafter lacht er aus, mit den Avaren ist er grob und<lb/> schlägt ihr Anerbieten rundweg ab. Inzwischen weiß die boshafte, aber mit den<lb/> Augen des Hasses scharfsichtige Rotrndis von ihm zu erzählen:</p><lb/> <quote> Suchst dn den Herzog etwa, Freund? Der ist<lb/> Im Walde draußen, — um zu jagen, meinst du?<lb/> Nein: um zu lauschen, wie die Vogel singen<lb/> Und Lüfte still durch dunkle Wipfel gehn!</quote><lb/> <p xml:id="ID_810" next="#ID_811"> Wie kommt das? was erklärt Thassilos Handlungsweise, dessen Stammhaß als<lb/> Agilolf gegen Heristal doch zu bekannt ist, als daß man ihm etwa wirkliche Liebe<lb/> zu Karl zutrauen dürfte. Ist es Furcht vor dessen Uebermacht? Es bieten sich<lb/> ja Bundesgenossen von allen Seiten an, und daß die Unzufricdnen im Reiche<lb/> nur ans einen warten, der losschlägt, ist ebenso gewiß. Ist es persönliche Feig¬<lb/> heit? Thassilo ein Feigling? Soeben hat er einen Bären erlegt, er ist um Körper¬<lb/> stärke ein Niese. Ist es schlaue politische Berechnung? Es giebt keinen, der<lb/> weniger politisch angelegt wäre als er; hätte er sonst die Avaren so grob von sich<lb/> gewiesen? Er ist ganz im Gegenteil der offenste Mensch von der Welt. Jener<lb/> Sohn der giftigen Rotrudis, der junge Rothar, schleicht seiner Frau nach und<lb/> verbirgt nur mühsam seinen Haß gegen ihn. Thassilo geht bei der ersten besten Ge¬<lb/> legenheit ganz einfach auf ihn zu und fragt ihn direkt: „Was willst du eigentlich?"<lb/> sodaß der feige Schleicher ganz verdutzt dasteht vor dieser offnen Kriegserklärung.<lb/> Und wie mit Rothar, so macht es Thassilo mit allen Gegnern. Was also ist der<lb/> Grund, daß er ruhig bleibt und trotz der Anfstachelung von allen Seiten sich nicht<lb/> zum Kriege gegen Karl hinreißen läßt? Der Grund liegt in seinem Selbstgefühl,<lb/> welches in Wahrheit das Hochgefühl einer großen, in sich fest gegründeten Seele<lb/> ist. Thassilo kennt sich selbst, seine gewaltige Körperstärke z. B, mit der er nie<lb/> prahlt und die er nur in der Notwehr offenbart. Er fühlt sich seines Besitzes sicher; er<lb/> weiß, daß sein Weib ihm treu bleibt, und dies denkt er auch von seinen Vasallen. Wie<lb/> ein Aar horstet er in seinen Bergen. Er ist schlechthin neidlos, eine gesunde, über¬<lb/> kräftige Natur. Aber anderseits kennt er nur die eine Pflicht, die er sich selbst<lb/> vorschreibt. Wie er jeden gehen läßt, wie und wo er mag, so will er auch für<lb/> seine Person so frei, so unabhängig sein, als nur möglich. Es in ein guter, wohl-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0258]
Neue Dramen.
denn er hat ihren Vater, den Langobardenkönig Desiderins, entthront, ihr Geschlecht
damit heimatlos gemacht, auch verrät sie eine Persönliche Antipathie gegen den
„stiernackigen" Frankenkönig. Ihr Hetzen war aber ganz vergebens. Auch der Hof
Thassilos sieht mit Neid und Unruhe und auch gelangweilt durch den Müßiggang
des Friedens den Erfolgen Karls zu, der Wunder als Feldherr verrichtet; ja ein
Adlicher meint geradezu:
Ach was! Ich sage: es ist besser,
Im Heer des Franken eine Welt erobern,
Als hier in halber Freiheit zu versäuern.
Auch Rotrndis, deren Gatte Grifo gleichfalls der Herrschsucht Karls zum Opfer
gefallen ist und die an Thassilos Hofe mit ihrem Sohne Rothar das Gnadenbrod
genießt, hetzt ihn gegen den immer mächtiger um sich greifenden Franken. Aus
Byzanz kommt eine Botschaft von dein Bruder Lnitbergas, die Thassilo zum Kampfe
gegen Karl auffordern soll — vergebens. Die Avaren senden Gesandte an den
Herzog, in welchem sie einen natürlichen Bundesgenossen gegen Karl voraussetzen,
und laden zum Kriege ein — umsonst. Seine Gattin läßt Thassilo still, aber un¬
gerührt reden; Rotrndis bemitleidet und entschuldigt er und verweist sie sonst zur
Ruhe; den byzantinischen Botschafter lacht er aus, mit den Avaren ist er grob und
schlägt ihr Anerbieten rundweg ab. Inzwischen weiß die boshafte, aber mit den
Augen des Hasses scharfsichtige Rotrndis von ihm zu erzählen:
Suchst dn den Herzog etwa, Freund? Der ist
Im Walde draußen, — um zu jagen, meinst du?
Nein: um zu lauschen, wie die Vogel singen
Und Lüfte still durch dunkle Wipfel gehn!
Wie kommt das? was erklärt Thassilos Handlungsweise, dessen Stammhaß als
Agilolf gegen Heristal doch zu bekannt ist, als daß man ihm etwa wirkliche Liebe
zu Karl zutrauen dürfte. Ist es Furcht vor dessen Uebermacht? Es bieten sich
ja Bundesgenossen von allen Seiten an, und daß die Unzufricdnen im Reiche
nur ans einen warten, der losschlägt, ist ebenso gewiß. Ist es persönliche Feig¬
heit? Thassilo ein Feigling? Soeben hat er einen Bären erlegt, er ist um Körper¬
stärke ein Niese. Ist es schlaue politische Berechnung? Es giebt keinen, der
weniger politisch angelegt wäre als er; hätte er sonst die Avaren so grob von sich
gewiesen? Er ist ganz im Gegenteil der offenste Mensch von der Welt. Jener
Sohn der giftigen Rotrudis, der junge Rothar, schleicht seiner Frau nach und
verbirgt nur mühsam seinen Haß gegen ihn. Thassilo geht bei der ersten besten Ge¬
legenheit ganz einfach auf ihn zu und fragt ihn direkt: „Was willst du eigentlich?"
sodaß der feige Schleicher ganz verdutzt dasteht vor dieser offnen Kriegserklärung.
Und wie mit Rothar, so macht es Thassilo mit allen Gegnern. Was also ist der
Grund, daß er ruhig bleibt und trotz der Anfstachelung von allen Seiten sich nicht
zum Kriege gegen Karl hinreißen läßt? Der Grund liegt in seinem Selbstgefühl,
welches in Wahrheit das Hochgefühl einer großen, in sich fest gegründeten Seele
ist. Thassilo kennt sich selbst, seine gewaltige Körperstärke z. B, mit der er nie
prahlt und die er nur in der Notwehr offenbart. Er fühlt sich seines Besitzes sicher; er
weiß, daß sein Weib ihm treu bleibt, und dies denkt er auch von seinen Vasallen. Wie
ein Aar horstet er in seinen Bergen. Er ist schlechthin neidlos, eine gesunde, über¬
kräftige Natur. Aber anderseits kennt er nur die eine Pflicht, die er sich selbst
vorschreibt. Wie er jeden gehen läßt, wie und wo er mag, so will er auch für
seine Person so frei, so unabhängig sein, als nur möglich. Es in ein guter, wohl-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |