Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. erfüllten Lehrern das Altertum wirklich von einzigem und ewigem Werte war. Auch diese Epoche des deutschen Geisteslebens ist dnrch Entstehen neuer So kam es, daß binnen wenigen Jahren jeder, welcher die Universität be¬ Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. erfüllten Lehrern das Altertum wirklich von einzigem und ewigem Werte war. Auch diese Epoche des deutschen Geisteslebens ist dnrch Entstehen neuer So kam es, daß binnen wenigen Jahren jeder, welcher die Universität be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196990"/> <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.</fw><lb/> <p xml:id="ID_802" prev="#ID_801"> erfüllten Lehrern das Altertum wirklich von einzigem und ewigem Werte war.<lb/> Da läßt sich ermessen, welche tiefe und nachhaltige Einwirkung solche Männer<lb/> auf manche und vielleicht die besten ihrer Schüler auswirkten.</p><lb/> <p xml:id="ID_803"> Auch diese Epoche des deutschen Geisteslebens ist dnrch Entstehen neuer<lb/> Universitäten bezeichnet. Berlin, Bonn. Breslau errichtete Preußen. Berlin<lb/> ist entstanden aus der Verbindung der neuhumanistischen Ideen mit den natio¬<lb/> nalen Bestrebungen. Die Gründung dieser Universität bezeichnet das Ende der<lb/> Aufklärung, die alte» Formen der Universitäten bleiben gewahrt, mir werden<lb/> Philosophie und Philologie in jeder Beziehung maßgebend. Eine 1818 von<lb/> Rektor und Senat entworfene Empfehlung des Lateinischen und Griechischen<lb/> wurde jedem Studirenden bei der Immatrikulation eingehändigt. Diese An¬<lb/> preisung der klassischen Studien war sehr lebhaft, aber auch nötig, denn der<lb/> Eifer der Studirenden entsprach weder in Berlin bei Böckh, noch bei Wolf in<lb/> Halle, noch bei Niebuhr in Bonn der Hochschätzung, welche ihnen die Univer¬<lb/> sitäten beilegten. Der Mangel an Zuhörern war so groß, daß Vöckh vom<lb/> Ministerium forderte, „entweder die wichtigsten philologisch-historischen Vor¬<lb/> lesungen verbindlich zu machen, oder jeder Staatsprüfung eine andre in diesen<lb/> Zweigen des allgemeinen Wissens vorausgehen zu lassen." Dem Neuhumanismus<lb/> schienen genau so wie vorher der Aufklärung Zwangskollegien erforderlich, „um<lb/> den Wert der klassischen Bildung einleuchtend zu machen." Für die Erhaltung<lb/> und Ausbreitung der Altertnmsstudien wurden an allen preußischen Universitäten<lb/> philologische Seminare begründet, welche wohl Gelehrte bildeten, aber nicht etwa<lb/> den künftigen Schulmann vorbereiteten; das letztere lehnte man ganz ausdrücklich<lb/> ab. Nur ganz allmählich tauchen Ansätze auf, auch die Lehrcrvorbildung in<lb/> den Scminarübungen zu berücksichtigen, dafür wird 1826 das Institut des<lb/> Probejahres förmlich und allgemein begründet.</p><lb/> <p xml:id="ID_804"> So kam es, daß binnen wenigen Jahren jeder, welcher die Universität be¬<lb/> ziehen wollte, sich über die Kenntnis des Griechischen genau ausweisen mußte,<lb/> eine Forderung, die im sechzehnten Jahrhundert für utopisch gegolten hätte.<lb/> Paulsen schreibt diese radikale Umwälzung der Wandlung zu, welche sich in der<lb/> Welt- und Lebensanschauung der europäischen Völker seit dem fünfzehnten Jahr¬<lb/> hundert vollzogen hatte. Indem man in Deutschland die alte Religion ans<lb/> philosophisch-literarischen Wege beseitigt hatte, hatte man die letzten Konse¬<lb/> quenzen dieser Veränderung gezogen. Da die Menschen aber sich immer Bilder<lb/> von dein Vollkommuen schaffen werden, so trat an die Stelle des Christentums<lb/> das Altertum. „Es war das Bedürfnis nach einer neuen Religion, welches<lb/> die Griechen in die Schulen und Universitäten zurückführte." „Der Humanismus<lb/> ist der neue Kultus, die Philologen seine Priester." Charakteristisch ist, daß<lb/> Voß, Wolf, Passow, Thiersch, Hegel und Hölderlin alle ursprünglich Theologen<lb/> hatten werden wollen und sich schließlich, von den theologischen Studie»<lb/> abgestoßen, in das Griechentum geflüchtet hatten. (Schluß folgt.)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0256]
Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.
erfüllten Lehrern das Altertum wirklich von einzigem und ewigem Werte war.
Da läßt sich ermessen, welche tiefe und nachhaltige Einwirkung solche Männer
auf manche und vielleicht die besten ihrer Schüler auswirkten.
Auch diese Epoche des deutschen Geisteslebens ist dnrch Entstehen neuer
Universitäten bezeichnet. Berlin, Bonn. Breslau errichtete Preußen. Berlin
ist entstanden aus der Verbindung der neuhumanistischen Ideen mit den natio¬
nalen Bestrebungen. Die Gründung dieser Universität bezeichnet das Ende der
Aufklärung, die alte» Formen der Universitäten bleiben gewahrt, mir werden
Philosophie und Philologie in jeder Beziehung maßgebend. Eine 1818 von
Rektor und Senat entworfene Empfehlung des Lateinischen und Griechischen
wurde jedem Studirenden bei der Immatrikulation eingehändigt. Diese An¬
preisung der klassischen Studien war sehr lebhaft, aber auch nötig, denn der
Eifer der Studirenden entsprach weder in Berlin bei Böckh, noch bei Wolf in
Halle, noch bei Niebuhr in Bonn der Hochschätzung, welche ihnen die Univer¬
sitäten beilegten. Der Mangel an Zuhörern war so groß, daß Vöckh vom
Ministerium forderte, „entweder die wichtigsten philologisch-historischen Vor¬
lesungen verbindlich zu machen, oder jeder Staatsprüfung eine andre in diesen
Zweigen des allgemeinen Wissens vorausgehen zu lassen." Dem Neuhumanismus
schienen genau so wie vorher der Aufklärung Zwangskollegien erforderlich, „um
den Wert der klassischen Bildung einleuchtend zu machen." Für die Erhaltung
und Ausbreitung der Altertnmsstudien wurden an allen preußischen Universitäten
philologische Seminare begründet, welche wohl Gelehrte bildeten, aber nicht etwa
den künftigen Schulmann vorbereiteten; das letztere lehnte man ganz ausdrücklich
ab. Nur ganz allmählich tauchen Ansätze auf, auch die Lehrcrvorbildung in
den Scminarübungen zu berücksichtigen, dafür wird 1826 das Institut des
Probejahres förmlich und allgemein begründet.
So kam es, daß binnen wenigen Jahren jeder, welcher die Universität be¬
ziehen wollte, sich über die Kenntnis des Griechischen genau ausweisen mußte,
eine Forderung, die im sechzehnten Jahrhundert für utopisch gegolten hätte.
Paulsen schreibt diese radikale Umwälzung der Wandlung zu, welche sich in der
Welt- und Lebensanschauung der europäischen Völker seit dem fünfzehnten Jahr¬
hundert vollzogen hatte. Indem man in Deutschland die alte Religion ans
philosophisch-literarischen Wege beseitigt hatte, hatte man die letzten Konse¬
quenzen dieser Veränderung gezogen. Da die Menschen aber sich immer Bilder
von dein Vollkommuen schaffen werden, so trat an die Stelle des Christentums
das Altertum. „Es war das Bedürfnis nach einer neuen Religion, welches
die Griechen in die Schulen und Universitäten zurückführte." „Der Humanismus
ist der neue Kultus, die Philologen seine Priester." Charakteristisch ist, daß
Voß, Wolf, Passow, Thiersch, Hegel und Hölderlin alle ursprünglich Theologen
hatten werden wollen und sich schließlich, von den theologischen Studie»
abgestoßen, in das Griechentum geflüchtet hatten. (Schluß folgt.)
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