Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.aufgestellt: Bildung zur Humanität. Für die Schulen verlangt er, daß aufgestellt: Bildung zur Humanität. Für die Schulen verlangt er, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196987"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_796" prev="#ID_795" next="#ID_797"> aufgestellt: Bildung zur Humanität. Für die Schulen verlangt er, daß<lb/> statt des Latein das Deutsche die erste Stelle einnehmen solle; das Jmitiren<lb/> der fremden Sprache verwirft er durchaus. Nur die Griechen sind ihm eine<lb/> Ausnahme, ihre Bedeutung ist völlig einzig, aber auch ihre Werke sollen uns<lb/> nur die Augen öffnen für die Auffassung der Natur des Menschen, der Idee<lb/> der Humanität. Hiernach hat das historisch-philologische Studium der Griechen<lb/> die Erkenntnis dieses Volkes in allen seinen Lebensäußerungen zu vermitteln.<lb/> Den Höhepunkt erreichte der Kultus des Griechentums in den neunziger Jahren,<lb/> Herder, Goethe, Schiller, der jüngere Schlegel, Hölderlin, Wilh. v. Humboldt<lb/> haben diese Anschauungen in der Literatur verbreitet, Humboldt war es be-<lb/> schieden, den Humanitätsknltus auf die preußischen Universitäten und Schulen<lb/> zu verpflanzen. Nicht geringere Wandlungen haben in diesem Zeitalter die<lb/> philosophischen Anschauungen erlitten. Fichte, Schelling, Hegel besitzen im<lb/> Gegensatz zu Kant eine wesentlich historische Bildung. Und der Zug zum<lb/> Historischen tritt ebenso in der Theologie, in der Jurisprudenz und namentlich<lb/> in den in der philosophischen Fakultät verewigten Wissenschaften zu Tage. Diese<lb/> Richtung mußte aber vornehmlich den Wert der Kenntnis der alten Sprachen<lb/> steigern, war doch in ihnen ein großer Teil des historischen Materials über¬<lb/> liefert. Aus diesen beiden Anschauungen, der einen, welche in dem Griechentume<lb/> das Ideal des Menschen erblickt, und der andern, welche aus Nützlichkeits¬<lb/> gründen die Notwendigkeit des Studiums der alten Sprachen wieder aufs<lb/> stärkste betont — aus diesen beiden entsprang der Neuhumauismus, der in<lb/> übermächtigen Strome binnen kurzer Frist Nationalismus und Aufklärung<lb/> hinwegschwemmte. Friedrich Aug. Wolf hat die deutscheu Universitäten und<lb/> Schulen mit den Ideen des Neuhumanismns durchdrungen, er hat die Philo¬<lb/> logie zu einer selbstständigen, zeitweilig geradezu beherrschenden Wissenschaft<lb/> gemacht. Als das letzte Ziel der Studien bezeichnet er die Kenntnis der Mensch¬<lb/> heit des Altertums und damit die Kenntnis des Menschen selbst. Weder um<lb/> den alten Klassikern ähnliche Werke in einer ihrer Sprachen zu verfassen, uoch<lb/> um aus ihnen die Wissenschaften zu lernen, beschäftige man sich jetzt mit der<lb/> Altertumswissenschaft. Die klassischen Studien durch den von ihnen gewährten<lb/> Nutzen zu rechtfertigen, darauf verzichtet Wolf vollständig. Seine Forderungen<lb/> an die Gelehrtenschulen stellt er mit einer geradezu überraschenden Mäßigung.<lb/> Die oberen Klassen der Gymnasien sollen ausschließlich künftige Studirende be¬<lb/> suchen, das Griechische soll nur für die künftigen Theologen und Lehrer obliga¬<lb/> torisch sein. Immer soll ein Ganzes gelesen werden, und würde das im Ori¬<lb/> ginal zu viel werden, so soll der Schüler eine Übersetzung erhalten. Großen<lb/> Wert legt er auf die Selbstthätigkeit. Wichtig siud seine Ansichten über die<lb/> Lehrerbildung, in erster Linie verlangt er. daß der Beruf des Lehrers ein selbst¬<lb/> ständiger Lebensberuf werde, in seinem Seminar zu Halle werden nur Philo¬<lb/> logen aufgenommen, ausschließlicher Zweck des Seminars war, tüchtige Schul-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
aufgestellt: Bildung zur Humanität. Für die Schulen verlangt er, daß
statt des Latein das Deutsche die erste Stelle einnehmen solle; das Jmitiren
der fremden Sprache verwirft er durchaus. Nur die Griechen sind ihm eine
Ausnahme, ihre Bedeutung ist völlig einzig, aber auch ihre Werke sollen uns
nur die Augen öffnen für die Auffassung der Natur des Menschen, der Idee
der Humanität. Hiernach hat das historisch-philologische Studium der Griechen
die Erkenntnis dieses Volkes in allen seinen Lebensäußerungen zu vermitteln.
Den Höhepunkt erreichte der Kultus des Griechentums in den neunziger Jahren,
Herder, Goethe, Schiller, der jüngere Schlegel, Hölderlin, Wilh. v. Humboldt
haben diese Anschauungen in der Literatur verbreitet, Humboldt war es be-
schieden, den Humanitätsknltus auf die preußischen Universitäten und Schulen
zu verpflanzen. Nicht geringere Wandlungen haben in diesem Zeitalter die
philosophischen Anschauungen erlitten. Fichte, Schelling, Hegel besitzen im
Gegensatz zu Kant eine wesentlich historische Bildung. Und der Zug zum
Historischen tritt ebenso in der Theologie, in der Jurisprudenz und namentlich
in den in der philosophischen Fakultät verewigten Wissenschaften zu Tage. Diese
Richtung mußte aber vornehmlich den Wert der Kenntnis der alten Sprachen
steigern, war doch in ihnen ein großer Teil des historischen Materials über¬
liefert. Aus diesen beiden Anschauungen, der einen, welche in dem Griechentume
das Ideal des Menschen erblickt, und der andern, welche aus Nützlichkeits¬
gründen die Notwendigkeit des Studiums der alten Sprachen wieder aufs
stärkste betont — aus diesen beiden entsprang der Neuhumauismus, der in
übermächtigen Strome binnen kurzer Frist Nationalismus und Aufklärung
hinwegschwemmte. Friedrich Aug. Wolf hat die deutscheu Universitäten und
Schulen mit den Ideen des Neuhumanismns durchdrungen, er hat die Philo¬
logie zu einer selbstständigen, zeitweilig geradezu beherrschenden Wissenschaft
gemacht. Als das letzte Ziel der Studien bezeichnet er die Kenntnis der Mensch¬
heit des Altertums und damit die Kenntnis des Menschen selbst. Weder um
den alten Klassikern ähnliche Werke in einer ihrer Sprachen zu verfassen, uoch
um aus ihnen die Wissenschaften zu lernen, beschäftige man sich jetzt mit der
Altertumswissenschaft. Die klassischen Studien durch den von ihnen gewährten
Nutzen zu rechtfertigen, darauf verzichtet Wolf vollständig. Seine Forderungen
an die Gelehrtenschulen stellt er mit einer geradezu überraschenden Mäßigung.
Die oberen Klassen der Gymnasien sollen ausschließlich künftige Studirende be¬
suchen, das Griechische soll nur für die künftigen Theologen und Lehrer obliga¬
torisch sein. Immer soll ein Ganzes gelesen werden, und würde das im Ori¬
ginal zu viel werden, so soll der Schüler eine Übersetzung erhalten. Großen
Wert legt er auf die Selbstthätigkeit. Wichtig siud seine Ansichten über die
Lehrerbildung, in erster Linie verlangt er. daß der Beruf des Lehrers ein selbst¬
ständiger Lebensberuf werde, in seinem Seminar zu Halle werden nur Philo¬
logen aufgenommen, ausschließlicher Zweck des Seminars war, tüchtige Schul-
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