Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. Mit einer kurzen Schilderung der mittelalterlichen Bildungsanstalten, der Grenzboten IV. 188S. 31
Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts. Mit einer kurzen Schilderung der mittelalterlichen Bildungsanstalten, der Grenzboten IV. 188S. 31
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Zur Geschichte des gelehrten Unterrichts.
Mit einer kurzen Schilderung der mittelalterlichen Bildungsanstalten, der
Kloster- und Domschulen, der Stadt- oder Ratsschulcn und endlich der Uni¬
versitäten wird begonnen und der in diesen Anstalten gebotene Unterricht einer
unbefangenen Kritik unterzogen. Kam es dem Mittelalter lediglich auf den
begrifflichen Inhalt seiner Werke an, so ist der Humanismus der vollständige
Gegensatz dazu mit seiner absoluten Hochschätzung der Form, verbunden mit
der garnicht selten vorkommenden Inhaltslosigkeit. Weisheit, Tugend und Be¬
redsamkeit, diese drei mußten nach der humanistischen Ansicht jedem Manne am
begehrenswertesten erscheinen, Mangel an Eloquenz, hieß es weiter, sei Schuld
an allen Übeln in der Bildung und Gesittung des Klerus. Unter dieser einen
Rubrik — der Beredsamkeit — lassen sich die literarischen Erzeugnisse der
Humanisten leicht unterbringen, entweder sind es selbst Werke der Redekunst,
oder sie geben die Anleitung zur Hervorbringung solcher Werke. Unter die
letzte Gruppe fallen auch die zahllosen Traktate, Reden, Briefe des fünfzehnten
Jahrhunderts of korrasMo swäio, in denen beinahe jeder Humanist sein
Bildungsideal eines Gelehrten beschreiben und den Weg zu seiner Verwirk¬
lichung nachweisen wollte, namentlich in des Erasmus Schrift 1)v ratione
8wan ist eigentlich die gesamte Gymnasialpädagogik des deutscheu Humanismus
inbegnffen: Ausbildung zur Redekunst durch Lesen und Nachahmen der
Alten, Seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts werden an den deutschen
Universitäten Vorlesungen über die römischen Dichter und Redner gehalten,
allmählich findet das neue Latein Eingang in die kaiserlichen und fürstlichen
Kanzleien; um die elegantere Ausdrucksweise überall pflegen zu können, stellt
man an den Universitäten Professoren der Poesie und Eloquenz an, deren
Schüler die neue Sprache in den Schulen lehren. Bis dahin war das Ver¬
hältnis zwischen den „Poeten" und den Vertretern der alten Richtung ziemlich
friedlich, erst als die ersteren verlangten, daß ihr Unterricht den der alten
Schulphilosvphen und Schultheologen gänzlich ersetzen sollte und als sie sich
gegen die alten akademischen Würden, Disputationen u. a. die schimpflichsten
Angriffe erlaubten, kam es zu offenem Kampfe, in welchem der Humanismus
mit Hilfe der Fürsten siegte. Nun werden die Universitäten um 1520 überall
modernisirt. Die Geschichte von Erfurt, Leipzig und Wittenberg beweist
schlagend, daß sich die Universitäten keineswegs nur ablehnend gegenüber den
„Poeten" verhalten haben; war es zuweilen der Fall, so lag es nicht zum
wenigsten an den ersten Vertretern der Poeten selbst. Die Universitätsreform
führt elegantere Übersetzungen des Aristoteles ein und nimmt den Unterricht
in der Rhetorik und Poetik und auch im Griechischen sörmlich in den Kursus
auf. Viel ruhiger vollzog sich die Einführung des Humanismus in die niedern
Schulen; namentlich über das Nürnberger Schulwesen haben wir genaue Kunde.
Die Einführung der humanistischen Studien ist hier wie anderwärts das Werk
der Patrizier, welche es im Rate durchsetzen, daß ein „Poet" angenommen
Grenzboten IV. 188S. 31
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