Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Frage der Arbeiterwohnungen.

obwohl der Zinsfuß im allgemeinen dort etwa 1 Prozent tiefer ist als in Deutsch¬
land, und zwar handelt man so aus dem einfache" Grunde, weil nur hierdurch
große Mengen Kapitals zusammenzubringen sind. Gewiß ist der in dem Aufruf
des "Arbeiterheim" enthaltene Appell an das Pflichtgefühl der besitzenden Klaffen
wahr und berechtigt, und manche Aktie wird gewiß auch bei 3^ Prozent
Dividende gezeichnet werden. Ebenso gewiß ist aber auch, daß die Lokalvereine
in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr erreichen werden als die sogenannten
gemeinnützigen Ballgesellschaften, welche in den meisten Städten ein halbes Dutzend
Häuser errichtet haben und vermieten, dann aber nach und nach in dem Bewußtsein,
ein wohlthätiges Werk gethan zu haben, selig entschlafen. Der Grund ist ein¬
leuchtend: Die Mittel, welche die wenigen von Gemeinsinn erfüllten Reichen
den Vereinen zur Verfügung stellen, sind bald erschöpft, und neue fließen nicht
mehr zu. Dagegen ist die Summe der Kapitalien derer, welche aus angemessene
Verzinsung sehen müssen und hundert Mark und mehr in Aktien sicher und zu
einem Zinsfuß von 4 bis 5 Prozent anlegen wollen, sehr groß und erneuert
sich fortwährend. Mit 3^ Prozent Dividende lockt man keine Kapitalien zu
neuen Unternehmungen, deren Aktien überdies vorläufig schwer verkäuflich sind,
während das Publikum in Sparkassen u. s. w. sein Kapital zur steten Disposition
hat, Staatspapiere mit gleichem Zinsfuß sofort verkaufen kann.

Diese nüchternen Erwägungen werden vielleicht manchem anstößig sein, sie
entspringen aber auch der Erscchrung, auf welche der neue Verein mit Recht
soviel Gewicht legt. Man mache die Teilnahme an der Zeichnung des Aktien¬
kapitals ruhig zu einem Geschäft, wenn dadurch mehr erreicht wird. Für die
Liebesthätigkeit bleibt bei alledem noch Raum genug in den Lokalvereinen. Möge
sie sich auf die Erziehung der vermutlich oft sehr rohen Bewohner der Vereins¬
häuser zur Ordnung, Wirtschaftlichkeit und Sitte, auf Beschaffung gesitteter
Erholung und ähnliche Bestrebungen richten, welche nach dem Aufrufe auch zum
Programm des "Arbeiterheim" gehören sollen. In der Jnnehaltung streng
geschäftlicher Grundsätze auf der einen, reich entwickelter Liebesthätigkeit auf der
andern Seite ist Octavia Hill, deren Schrift Harnes ok tus I^onäon ?vor
(London, Macmillan u. Co.) nicht genug zum Studium empfohlen werden kann,
ein leuchtendes Vorbild.

Ist fernerhin der zur Beschaffung der Wohnungen eingeschlagene Weg der
richtige? Der Verein hat sich in der Wahl der Wege derartig beschränkt, daß
er nnr für die bessergestellte Klasse von Arbeitern etwas leisten kann, und für
diese nicht einmal allerorten. Der Arbeiter, welcher in den Häusern des Vereins
wohnt, soll Eigentum an seinem Haus und Garten erwerben. Wahrlich ein
schönes, erstrebenswertes Ziel, dessen Erreichung leider nur wenigen vergönnt
ist. Wahr sind die schönen Worte des Ausrufs, welche von der Liebe zur eignen
Scholle, vom Werte derselben für das Familienleben u. s. w. sprechen. Aber
für die große Menge bleiben sie -- ein Roman. Für sie ist das "Arbciterheim"


Zur Frage der Arbeiterwohnungen.

obwohl der Zinsfuß im allgemeinen dort etwa 1 Prozent tiefer ist als in Deutsch¬
land, und zwar handelt man so aus dem einfache» Grunde, weil nur hierdurch
große Mengen Kapitals zusammenzubringen sind. Gewiß ist der in dem Aufruf
des „Arbeiterheim" enthaltene Appell an das Pflichtgefühl der besitzenden Klaffen
wahr und berechtigt, und manche Aktie wird gewiß auch bei 3^ Prozent
Dividende gezeichnet werden. Ebenso gewiß ist aber auch, daß die Lokalvereine
in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr erreichen werden als die sogenannten
gemeinnützigen Ballgesellschaften, welche in den meisten Städten ein halbes Dutzend
Häuser errichtet haben und vermieten, dann aber nach und nach in dem Bewußtsein,
ein wohlthätiges Werk gethan zu haben, selig entschlafen. Der Grund ist ein¬
leuchtend: Die Mittel, welche die wenigen von Gemeinsinn erfüllten Reichen
den Vereinen zur Verfügung stellen, sind bald erschöpft, und neue fließen nicht
mehr zu. Dagegen ist die Summe der Kapitalien derer, welche aus angemessene
Verzinsung sehen müssen und hundert Mark und mehr in Aktien sicher und zu
einem Zinsfuß von 4 bis 5 Prozent anlegen wollen, sehr groß und erneuert
sich fortwährend. Mit 3^ Prozent Dividende lockt man keine Kapitalien zu
neuen Unternehmungen, deren Aktien überdies vorläufig schwer verkäuflich sind,
während das Publikum in Sparkassen u. s. w. sein Kapital zur steten Disposition
hat, Staatspapiere mit gleichem Zinsfuß sofort verkaufen kann.

Diese nüchternen Erwägungen werden vielleicht manchem anstößig sein, sie
entspringen aber auch der Erscchrung, auf welche der neue Verein mit Recht
soviel Gewicht legt. Man mache die Teilnahme an der Zeichnung des Aktien¬
kapitals ruhig zu einem Geschäft, wenn dadurch mehr erreicht wird. Für die
Liebesthätigkeit bleibt bei alledem noch Raum genug in den Lokalvereinen. Möge
sie sich auf die Erziehung der vermutlich oft sehr rohen Bewohner der Vereins¬
häuser zur Ordnung, Wirtschaftlichkeit und Sitte, auf Beschaffung gesitteter
Erholung und ähnliche Bestrebungen richten, welche nach dem Aufrufe auch zum
Programm des „Arbeiterheim" gehören sollen. In der Jnnehaltung streng
geschäftlicher Grundsätze auf der einen, reich entwickelter Liebesthätigkeit auf der
andern Seite ist Octavia Hill, deren Schrift Harnes ok tus I^onäon ?vor
(London, Macmillan u. Co.) nicht genug zum Studium empfohlen werden kann,
ein leuchtendes Vorbild.

Ist fernerhin der zur Beschaffung der Wohnungen eingeschlagene Weg der
richtige? Der Verein hat sich in der Wahl der Wege derartig beschränkt, daß
er nnr für die bessergestellte Klasse von Arbeitern etwas leisten kann, und für
diese nicht einmal allerorten. Der Arbeiter, welcher in den Häusern des Vereins
wohnt, soll Eigentum an seinem Haus und Garten erwerben. Wahrlich ein
schönes, erstrebenswertes Ziel, dessen Erreichung leider nur wenigen vergönnt
ist. Wahr sind die schönen Worte des Ausrufs, welche von der Liebe zur eignen
Scholle, vom Werte derselben für das Familienleben u. s. w. sprechen. Aber
für die große Menge bleiben sie — ein Roman. Für sie ist das „Arbciterheim"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196977"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Frage der Arbeiterwohnungen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_760" prev="#ID_759"> obwohl der Zinsfuß im allgemeinen dort etwa 1 Prozent tiefer ist als in Deutsch¬<lb/>
land, und zwar handelt man so aus dem einfache» Grunde, weil nur hierdurch<lb/>
große Mengen Kapitals zusammenzubringen sind. Gewiß ist der in dem Aufruf<lb/>
des &#x201E;Arbeiterheim" enthaltene Appell an das Pflichtgefühl der besitzenden Klaffen<lb/>
wahr und berechtigt, und manche Aktie wird gewiß auch bei 3^ Prozent<lb/>
Dividende gezeichnet werden. Ebenso gewiß ist aber auch, daß die Lokalvereine<lb/>
in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr erreichen werden als die sogenannten<lb/>
gemeinnützigen Ballgesellschaften, welche in den meisten Städten ein halbes Dutzend<lb/>
Häuser errichtet haben und vermieten, dann aber nach und nach in dem Bewußtsein,<lb/>
ein wohlthätiges Werk gethan zu haben, selig entschlafen. Der Grund ist ein¬<lb/>
leuchtend: Die Mittel, welche die wenigen von Gemeinsinn erfüllten Reichen<lb/>
den Vereinen zur Verfügung stellen, sind bald erschöpft, und neue fließen nicht<lb/>
mehr zu. Dagegen ist die Summe der Kapitalien derer, welche aus angemessene<lb/>
Verzinsung sehen müssen und hundert Mark und mehr in Aktien sicher und zu<lb/>
einem Zinsfuß von 4 bis 5 Prozent anlegen wollen, sehr groß und erneuert<lb/>
sich fortwährend. Mit 3^ Prozent Dividende lockt man keine Kapitalien zu<lb/>
neuen Unternehmungen, deren Aktien überdies vorläufig schwer verkäuflich sind,<lb/>
während das Publikum in Sparkassen u. s. w. sein Kapital zur steten Disposition<lb/>
hat, Staatspapiere mit gleichem Zinsfuß sofort verkaufen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761"> Diese nüchternen Erwägungen werden vielleicht manchem anstößig sein, sie<lb/>
entspringen aber auch der Erscchrung, auf welche der neue Verein mit Recht<lb/>
soviel Gewicht legt. Man mache die Teilnahme an der Zeichnung des Aktien¬<lb/>
kapitals ruhig zu einem Geschäft, wenn dadurch mehr erreicht wird. Für die<lb/>
Liebesthätigkeit bleibt bei alledem noch Raum genug in den Lokalvereinen. Möge<lb/>
sie sich auf die Erziehung der vermutlich oft sehr rohen Bewohner der Vereins¬<lb/>
häuser zur Ordnung, Wirtschaftlichkeit und Sitte, auf Beschaffung gesitteter<lb/>
Erholung und ähnliche Bestrebungen richten, welche nach dem Aufrufe auch zum<lb/>
Programm des &#x201E;Arbeiterheim" gehören sollen. In der Jnnehaltung streng<lb/>
geschäftlicher Grundsätze auf der einen, reich entwickelter Liebesthätigkeit auf der<lb/>
andern Seite ist Octavia Hill, deren Schrift Harnes ok tus I^onäon ?vor<lb/>
(London, Macmillan u. Co.) nicht genug zum Studium empfohlen werden kann,<lb/>
ein leuchtendes Vorbild.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_762" next="#ID_763"> Ist fernerhin der zur Beschaffung der Wohnungen eingeschlagene Weg der<lb/>
richtige? Der Verein hat sich in der Wahl der Wege derartig beschränkt, daß<lb/>
er nnr für die bessergestellte Klasse von Arbeitern etwas leisten kann, und für<lb/>
diese nicht einmal allerorten. Der Arbeiter, welcher in den Häusern des Vereins<lb/>
wohnt, soll Eigentum an seinem Haus und Garten erwerben. Wahrlich ein<lb/>
schönes, erstrebenswertes Ziel, dessen Erreichung leider nur wenigen vergönnt<lb/>
ist. Wahr sind die schönen Worte des Ausrufs, welche von der Liebe zur eignen<lb/>
Scholle, vom Werte derselben für das Familienleben u. s. w. sprechen. Aber<lb/>
für die große Menge bleiben sie &#x2014; ein Roman. Für sie ist das &#x201E;Arbciterheim"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0243] Zur Frage der Arbeiterwohnungen. obwohl der Zinsfuß im allgemeinen dort etwa 1 Prozent tiefer ist als in Deutsch¬ land, und zwar handelt man so aus dem einfache» Grunde, weil nur hierdurch große Mengen Kapitals zusammenzubringen sind. Gewiß ist der in dem Aufruf des „Arbeiterheim" enthaltene Appell an das Pflichtgefühl der besitzenden Klaffen wahr und berechtigt, und manche Aktie wird gewiß auch bei 3^ Prozent Dividende gezeichnet werden. Ebenso gewiß ist aber auch, daß die Lokalvereine in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr erreichen werden als die sogenannten gemeinnützigen Ballgesellschaften, welche in den meisten Städten ein halbes Dutzend Häuser errichtet haben und vermieten, dann aber nach und nach in dem Bewußtsein, ein wohlthätiges Werk gethan zu haben, selig entschlafen. Der Grund ist ein¬ leuchtend: Die Mittel, welche die wenigen von Gemeinsinn erfüllten Reichen den Vereinen zur Verfügung stellen, sind bald erschöpft, und neue fließen nicht mehr zu. Dagegen ist die Summe der Kapitalien derer, welche aus angemessene Verzinsung sehen müssen und hundert Mark und mehr in Aktien sicher und zu einem Zinsfuß von 4 bis 5 Prozent anlegen wollen, sehr groß und erneuert sich fortwährend. Mit 3^ Prozent Dividende lockt man keine Kapitalien zu neuen Unternehmungen, deren Aktien überdies vorläufig schwer verkäuflich sind, während das Publikum in Sparkassen u. s. w. sein Kapital zur steten Disposition hat, Staatspapiere mit gleichem Zinsfuß sofort verkaufen kann. Diese nüchternen Erwägungen werden vielleicht manchem anstößig sein, sie entspringen aber auch der Erscchrung, auf welche der neue Verein mit Recht soviel Gewicht legt. Man mache die Teilnahme an der Zeichnung des Aktien¬ kapitals ruhig zu einem Geschäft, wenn dadurch mehr erreicht wird. Für die Liebesthätigkeit bleibt bei alledem noch Raum genug in den Lokalvereinen. Möge sie sich auf die Erziehung der vermutlich oft sehr rohen Bewohner der Vereins¬ häuser zur Ordnung, Wirtschaftlichkeit und Sitte, auf Beschaffung gesitteter Erholung und ähnliche Bestrebungen richten, welche nach dem Aufrufe auch zum Programm des „Arbeiterheim" gehören sollen. In der Jnnehaltung streng geschäftlicher Grundsätze auf der einen, reich entwickelter Liebesthätigkeit auf der andern Seite ist Octavia Hill, deren Schrift Harnes ok tus I^onäon ?vor (London, Macmillan u. Co.) nicht genug zum Studium empfohlen werden kann, ein leuchtendes Vorbild. Ist fernerhin der zur Beschaffung der Wohnungen eingeschlagene Weg der richtige? Der Verein hat sich in der Wahl der Wege derartig beschränkt, daß er nnr für die bessergestellte Klasse von Arbeitern etwas leisten kann, und für diese nicht einmal allerorten. Der Arbeiter, welcher in den Häusern des Vereins wohnt, soll Eigentum an seinem Haus und Garten erwerben. Wahrlich ein schönes, erstrebenswertes Ziel, dessen Erreichung leider nur wenigen vergönnt ist. Wahr sind die schönen Worte des Ausrufs, welche von der Liebe zur eignen Scholle, vom Werte derselben für das Familienleben u. s. w. sprechen. Aber für die große Menge bleiben sie — ein Roman. Für sie ist das „Arbciterheim"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/243
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/243>, abgerufen am 15.01.2025.