Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Literatur. Körbe, Salzslaschen, Stricke, Scheuerschwämme, Düten, Schachtel und Dosen liefert. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Leipzig. Literatur. Körbe, Salzslaschen, Stricke, Scheuerschwämme, Düten, Schachtel und Dosen liefert. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0224" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196958"/> <fw type="header" place="top"> Literatur.</fw><lb/> <p xml:id="ID_717" prev="#ID_716"> Körbe, Salzslaschen, Stricke, Scheuerschwämme, Düten, Schachtel und Dosen liefert.<lb/> Wir studiren ein seiner Hand die schwindende Brandwirtschaft mit ihren zum Teil<lb/> noch recht primitiven Geräten; die im Verhältnis zu dem großen Grasreichtnm des<lb/> Landes unbedeutende Viehzucht; die noch vereinzelt vorhandnen antiquirten Gerät¬<lb/> schaften zur Jagd und zum Fischfang; die Porte, die ans grob behauenen Kiefer-<lb/> stämmen gezimmerte, mit den Rauchwolken des Ofens gefüllte Wohnstätte des Finnen<lb/> vor dem modernen Hanse mit Schornstein und Fenstern; das sino yua, non auch<lb/> der ärmlichsten Siedelung, das Badehaus mit seinem großen Ofen von Feldsteinen<lb/> und seiner Schwitzbank mit seiner paradiesischen Unschuld und Gleichheit; die zum<lb/> Trocknen des Getreides, bei den häufigen Regengüssen des Sommers und bei<lb/> großem Reichtum um Holz, wohl angewandte Darre; die Vorratshäuser, die Ställe,<lb/> das schlechte und sehr ursprüngliche Fuhrwerk, die zum Teil noch jetzt vorhandnen<lb/> Volkstrachten und die beinahe verschwundne Patriarchalische Gesellschaftsordnung. Ja<lb/> selbst, was wir über die Nahrung der Finnen erfahren, erinnert zum Teil an vor¬<lb/> historische Zustände. Sie besteht vor allem in Roggen, aus dem der Finne seine<lb/> geliebte Grütze und seine steinharten runden Brotlaibe bereitet. Demnächst sind<lb/> Gerstenbrot und Kartoffeln und vor allem Milch wichtige Bestandteile der bäuerischen<lb/> Nahrung. Aber nicht frische oder süße Milch. Sie soll eigentlich so essigsauer<lb/> sein, daß sie im Halse brennt. In Finnland wie im nördlichen Schweden sammelt<lb/> man die Milch in großen Holzgefäßen auf, läßt sie richtig durchsäuern oder besser<lb/> gesagt faulen, und gießt immer neue hinzu, ohne jemals den vorhergehenden Satz<lb/> auszuleeren. Aus der auf diese Weise nie versiegenden Quelle schöpft der Finne<lb/> das ganze Jahr hindurch ein Getränk, das dem Gaumen des Uneingeweihten mehr<lb/> als ungenießbar erscheint. Dazu bis zur Ungenießbarkeit gesalzene Butter, selten<lb/> hartes Fleisch und ordinärer Fisch. Für die ärmste Bevölkerung jedoch, die in den<lb/> sogenannten „Einöden" in Nord-Tavast-Land in gewissen Teilen von Karelen lebt,<lb/> ist dieser Speisezettel noch ein unerreichbarer Luxus. Die Worte: „Er ißt das<lb/> ganze Jahr hindurch reines Brot," und „er ist steinreich" sind da gleichbedeutend.<lb/> Denn nicht bloß in den Hungerjnhren, sondern auch in den guten Jahren ißt der<lb/> Finne sein Nvtbrvt, vor allem das aus zwei Teilen Kiefernrindenmehl und einem<lb/> Teile Roggenmehl bestehende Birkenbrot. In diese urwüchsige Bedürfnislosigkeit<lb/> ragen weniger das schon in der Kalevalazeit genannte Bier, wohl aber die modernen<lb/> Genußmittel, der Kaffee oder vielmehr die Cichorie, der Branntwein und der bei<lb/> jedem. Hause selbstgezogene Tabak beinahe als unorganische Elemente hinein. Kein<lb/> Wunder, daß in den alten finnischen Volksliedern, wie sie ursprünglich zur Kantela,<lb/> der füufsaitigen Harfe, gesungen wurden, eine düstere Wehmut und eine tiefe Trauer<lb/> lebt, die sich uns unwiderstehlich mitteilt. Wir fühlen es Retzius vollkommen nach,<lb/> wie schwer es ihm wird, dieses Kapitel zu schließen, um zuletzt uoch über die Feste,<lb/> die Brautwerbung, Hochzeit, Taufe und Totenbestattung mit ihren zahllosen Er¬<lb/> innerungen an die Vorzeit zu berichten. Wenn schon die ganze Schrift die beste<lb/> Anleitung für die rechte Würdigung unsrer eignen Prähistorischen und historischen<lb/> Altertümer genannt werdeu muß, so dürften gerade diese Abschnitte dem deutschen<lb/> Leser zahlreiche Anregungen für das Aufspüren des Heidnischen mitten im Christentum<lb/> oder des Uralten in den Erscheinungen des modernen Lebens zu bieten imstande sein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0224]
Literatur.
Körbe, Salzslaschen, Stricke, Scheuerschwämme, Düten, Schachtel und Dosen liefert.
Wir studiren ein seiner Hand die schwindende Brandwirtschaft mit ihren zum Teil
noch recht primitiven Geräten; die im Verhältnis zu dem großen Grasreichtnm des
Landes unbedeutende Viehzucht; die noch vereinzelt vorhandnen antiquirten Gerät¬
schaften zur Jagd und zum Fischfang; die Porte, die ans grob behauenen Kiefer-
stämmen gezimmerte, mit den Rauchwolken des Ofens gefüllte Wohnstätte des Finnen
vor dem modernen Hanse mit Schornstein und Fenstern; das sino yua, non auch
der ärmlichsten Siedelung, das Badehaus mit seinem großen Ofen von Feldsteinen
und seiner Schwitzbank mit seiner paradiesischen Unschuld und Gleichheit; die zum
Trocknen des Getreides, bei den häufigen Regengüssen des Sommers und bei
großem Reichtum um Holz, wohl angewandte Darre; die Vorratshäuser, die Ställe,
das schlechte und sehr ursprüngliche Fuhrwerk, die zum Teil noch jetzt vorhandnen
Volkstrachten und die beinahe verschwundne Patriarchalische Gesellschaftsordnung. Ja
selbst, was wir über die Nahrung der Finnen erfahren, erinnert zum Teil an vor¬
historische Zustände. Sie besteht vor allem in Roggen, aus dem der Finne seine
geliebte Grütze und seine steinharten runden Brotlaibe bereitet. Demnächst sind
Gerstenbrot und Kartoffeln und vor allem Milch wichtige Bestandteile der bäuerischen
Nahrung. Aber nicht frische oder süße Milch. Sie soll eigentlich so essigsauer
sein, daß sie im Halse brennt. In Finnland wie im nördlichen Schweden sammelt
man die Milch in großen Holzgefäßen auf, läßt sie richtig durchsäuern oder besser
gesagt faulen, und gießt immer neue hinzu, ohne jemals den vorhergehenden Satz
auszuleeren. Aus der auf diese Weise nie versiegenden Quelle schöpft der Finne
das ganze Jahr hindurch ein Getränk, das dem Gaumen des Uneingeweihten mehr
als ungenießbar erscheint. Dazu bis zur Ungenießbarkeit gesalzene Butter, selten
hartes Fleisch und ordinärer Fisch. Für die ärmste Bevölkerung jedoch, die in den
sogenannten „Einöden" in Nord-Tavast-Land in gewissen Teilen von Karelen lebt,
ist dieser Speisezettel noch ein unerreichbarer Luxus. Die Worte: „Er ißt das
ganze Jahr hindurch reines Brot," und „er ist steinreich" sind da gleichbedeutend.
Denn nicht bloß in den Hungerjnhren, sondern auch in den guten Jahren ißt der
Finne sein Nvtbrvt, vor allem das aus zwei Teilen Kiefernrindenmehl und einem
Teile Roggenmehl bestehende Birkenbrot. In diese urwüchsige Bedürfnislosigkeit
ragen weniger das schon in der Kalevalazeit genannte Bier, wohl aber die modernen
Genußmittel, der Kaffee oder vielmehr die Cichorie, der Branntwein und der bei
jedem. Hause selbstgezogene Tabak beinahe als unorganische Elemente hinein. Kein
Wunder, daß in den alten finnischen Volksliedern, wie sie ursprünglich zur Kantela,
der füufsaitigen Harfe, gesungen wurden, eine düstere Wehmut und eine tiefe Trauer
lebt, die sich uns unwiderstehlich mitteilt. Wir fühlen es Retzius vollkommen nach,
wie schwer es ihm wird, dieses Kapitel zu schließen, um zuletzt uoch über die Feste,
die Brautwerbung, Hochzeit, Taufe und Totenbestattung mit ihren zahllosen Er¬
innerungen an die Vorzeit zu berichten. Wenn schon die ganze Schrift die beste
Anleitung für die rechte Würdigung unsrer eignen Prähistorischen und historischen
Altertümer genannt werdeu muß, so dürften gerade diese Abschnitte dem deutschen
Leser zahlreiche Anregungen für das Aufspüren des Heidnischen mitten im Christentum
oder des Uralten in den Erscheinungen des modernen Lebens zu bieten imstande sein.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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