Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfser Joch. anfing, in jenes Alter überm treten, wo der scharf werdende Zug an den Mund, Die erste Zeit der Ehe war auch ganz pcissabel, es schien, vis ob Hilda Grenzboten IV. 1885. M
Auf dem Stilfser Joch. anfing, in jenes Alter überm treten, wo der scharf werdende Zug an den Mund, Die erste Zeit der Ehe war auch ganz pcissabel, es schien, vis ob Hilda Grenzboten IV. 1885. M
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Auf dem Stilfser Joch.
anfing, in jenes Alter überm treten, wo der scharf werdende Zug an den Mund,
wie der Skatspieler sagt, das Zeichen bildet, daß die Dame „ans dem Schneider"
ist. Mit dem Alter aber wurde Hilda noch kokett; mit allen Schauspielern
und Sängern von Pollini und Maurice trat sie in Verkehr und ließ sich mit
mehr Offenheit als Schicklichkeit von ihnen den Hof machen, und mau kann es
Wohl jetzt „M thatsächlich festgestellt" erachten — so lautet die juristische
Wahrheit —, daß das Fräulein den Künstlern gegenüber mit der Bezeugung
ihrer Gunst sehr freigebig war. Es schien, als ob sie sich an der Gesellschaft
rächen wollte, so schlug sie ihr durch ihr Benehmen ins Gesicht, und sie durste
dies ungestraft thun, da niemand es wagte, mit dem mächtigen Brien es zu
verderben. Eines Tages wurde es aber auch dein Alten zu arg; Hilda scheute
sich nicht, ihre Günstlinge bei sich zu Hause zu empfangen, und dabei soll sie
von ihrem Vater, wie der Kunstausdruck sagt, in ü^grairti betroffen worden
sein. Hilda wurde zu einer entfernten Verwandten nach England geschickt, und
der berühmte Sänger Nikolewski verließ die Bühne. Während dieser Epoche
war Keller von Hamburg abwesend; die Firma war genötigt gewesen, große
Faktoreien irgendwo im Kaffernland zu erwerben, und es mußte ein zuverlässiger
und geschäftskundiger Mann dorthin geschickt werden, um die Sache ins Reine
zu bringen. Das dauerte länger, als man vorausgesehen hatte; fast drei Jahre
hat der brave Mann in der tropischen Zone unter Wilden zugebracht. Bei
seiner Rückkehr erhielt er den Auftrag, Hilda aus Wippinghcim abzuholen und
uach Hause zu geleiten. Jetzt denkst du natürlich, daß die Katastrophe kommt,
allein wir sind noch beim ersten Teile; aber ich will kurz sein. Wenn du es
Katastrophe nennst, daß sich der brave Keller in Hilda verliebte, diese ihn er¬
hörte und uach kurzer Zeit seine Frau wurde, so war die Katastrophe eingetreten.
Die erste Zeit der Ehe war auch ganz pcissabel, es schien, vis ob Hilda
in ihrem Exil verständiger geworden wäre. Ein Töchterchen — Vroni —
wurde geboren, und schon hatte es den Anschein, als ob anch diese Ehe der
ruhige Hafen nach stürmischer Meerfahrt sein würde. Drei Jahre mochte das
Kind sein, als die Eltern eine größere Reise antraten. Da fügte es der Zufall,
daß sie in der Oper in Paris Nikolewski spielen sahen, das alte Blut von
Frau Hilda kam in Aufregung, und eines schönen Tages fand Herr Keller das
Nest leer; ein freundliches Briefchen seiner teuern Gattin benachrichtigte ihn,
daß sie mit ihrem frühern Geliebten das Weite gesucht habe. Keller war zu
tief getroffen, als daß er den Flüchtlingen nachgeeilt wäre, ein gebrochener
Mann, kam er nach Hamburg zurück, wo er sofort die Liquidation des Geschäfts
begann. Jahr und Tag saß er nur in seinem Bureau, bloß ab und zu uach
seinem Kinde sehend, das er wie seinen Augapfel hütete. Die Eltern Brien
überlebten nicht lange die Schande, und nachdem die völlige Auflösung des
Handlungshauses vollzogen war, siedelte Keller mit seiner Vroni nach Berlin
über, um hier in der großen Stadt ganz für sich und sein Kind zu leben.
Grenzboten IV. 1885. M
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