Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfsvr Joch. Viertes Aapitel. Harald war einigermaßen darüber verwundert, daß Herr Keller ohne weiteres Vroni hatte wohl gemerkt, daß Harald aus Achtung vor seiner Stellung Haralds Unterricht war nicht ohne Grund gesucht worden. Da es sich im Auf dem Stilfsvr Joch. Viertes Aapitel. Harald war einigermaßen darüber verwundert, daß Herr Keller ohne weiteres Vroni hatte wohl gemerkt, daß Harald aus Achtung vor seiner Stellung Haralds Unterricht war nicht ohne Grund gesucht worden. Da es sich im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196939"/> <fw type="header" place="top"> Auf dem Stilfsvr Joch.</fw><lb/> <div n="2"> <head> Viertes Aapitel.</head><lb/> <p xml:id="ID_644"> Harald war einigermaßen darüber verwundert, daß Herr Keller ohne weiteres<lb/> seine Tochter allein in das Atelier gehen ließ. In Fällen ähnlicher Art mußte<lb/> sich entweder der Meister bequemen, in die Wohnung der Schülerin zu gehen,<lb/> oder es wurde diese von einer Mutter, Tante oder sonstigen Anstandsdame in<lb/> das Atelier des Lehrers begleitet. Herr Keller hatte keine dieser Bedingungen<lb/> gestellt, vielleicht auch schon aus dem Grunde, weil die Erlangung des Unter¬<lb/> richtes ohnehin schwer vor sich gegangen war. Harald fühlte sich aber etwas<lb/> gedrückt bei dem Gedanken, daß er Vroni allein unterrichten sollte, und so kam<lb/> er auf den Ausweg, seine Schwester Edles an dem Unterrichte teilnehmen zu<lb/> lassen. Freilich merkte er schon nach kurzer Zeit, daß beide Mädchen wenig<lb/> Sympathie für einander hatten. Ein Altersunterschied von drei Jahren spielt<lb/> an sich keine Rolle, aber das achtzehnjährige Mädchen hält sich schon voll¬<lb/> ständig für eine Dame, die sich gewisse unabhängige Bewegungen und freiere Ge¬<lb/> danken gestatten darf, und pflegt die fünfzehnjährige Genossin, zumal wenn<lb/> diese noch die Schulbank drückt, etwas zu unterschätzen. Aber das war es<lb/> nicht allein, was die Mädchen von einander trennte; Edles war durch und durch<lb/> Gefühl, jede zärtliche Regung feuchtete ihr Auge, und sie konnte sich nur in<lb/> Gegensätzen äußern. Erschiene für ihr junges, unschuldiges Gemüt der Ausdruck<lb/> nicht zu Hort, so müßte man sagen, daß sie nur lieben oder hassen konnte.<lb/> Vroni dagegen war von kühlem Verstände, klug und in ihrer ganzen<lb/> Art berechnend, sie verfolgte ein bestimmtes Ziel wie der Jäger ein Wild,<lb/> das er von allen Seiten umstellen läßt. Was Edles an Gemüt zu viel<lb/> hatte, das fehlte Vroni und wurde durch jene Klugheit ersetzt, welche die Bibel<lb/> an den Schlangen lobt.</p><lb/> <p xml:id="ID_645"> Vroni hatte wohl gemerkt, daß Harald aus Achtung vor seiner Stellung<lb/> das Regime der Frau vou Flinsberg nur ertrug, aber innerlich verdammte.<lb/> Sei es nun, daß diese Meinung des Lehrers aus sie Eindruck machte oder daß<lb/> sie selbst von dem Baume frei zu einer selbständigen Auffassung gelangte, sie<lb/> brach mit all ihren bisherigen Gewohnheiten, zu allererst mit der Seide, den<lb/> Spitzen und Schleifen, und sing sich in so anspruchsloser Weise zu kleiden an,<lb/> daß Harald, der den Firlefanz verachtete, davon betroffen wurde und der ganzen<lb/> Entwicklung Vronis mehr Aufmerksamkeit zuwandte, als er je beabsichtigt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_646" next="#ID_647"> Haralds Unterricht war nicht ohne Grund gesucht worden. Da es sich im<lb/> allgemeinen nur um die Ausbildung von Dilettanten handelte, insbesondre von<lb/> jungen Mädchen, für welche die Malerei weder zum Broterwerb noch zur Befrie¬<lb/> digung eines tiefinnern Künstlerdranges dienen sollte, so war sein Bemühen nicht<lb/> bloß darauf gerichtet, den Schülerinnen eine mehr oder minder große Fertigkeit in<lb/> der Führung des Pinsels beizubringen und den Verbrauch von Leinwand, Kreide<lb/> und Farbe zu befördern, ihm lag mehr daran, und dies war eigentlich der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0205]
Auf dem Stilfsvr Joch.
Viertes Aapitel.
Harald war einigermaßen darüber verwundert, daß Herr Keller ohne weiteres
seine Tochter allein in das Atelier gehen ließ. In Fällen ähnlicher Art mußte
sich entweder der Meister bequemen, in die Wohnung der Schülerin zu gehen,
oder es wurde diese von einer Mutter, Tante oder sonstigen Anstandsdame in
das Atelier des Lehrers begleitet. Herr Keller hatte keine dieser Bedingungen
gestellt, vielleicht auch schon aus dem Grunde, weil die Erlangung des Unter¬
richtes ohnehin schwer vor sich gegangen war. Harald fühlte sich aber etwas
gedrückt bei dem Gedanken, daß er Vroni allein unterrichten sollte, und so kam
er auf den Ausweg, seine Schwester Edles an dem Unterrichte teilnehmen zu
lassen. Freilich merkte er schon nach kurzer Zeit, daß beide Mädchen wenig
Sympathie für einander hatten. Ein Altersunterschied von drei Jahren spielt
an sich keine Rolle, aber das achtzehnjährige Mädchen hält sich schon voll¬
ständig für eine Dame, die sich gewisse unabhängige Bewegungen und freiere Ge¬
danken gestatten darf, und pflegt die fünfzehnjährige Genossin, zumal wenn
diese noch die Schulbank drückt, etwas zu unterschätzen. Aber das war es
nicht allein, was die Mädchen von einander trennte; Edles war durch und durch
Gefühl, jede zärtliche Regung feuchtete ihr Auge, und sie konnte sich nur in
Gegensätzen äußern. Erschiene für ihr junges, unschuldiges Gemüt der Ausdruck
nicht zu Hort, so müßte man sagen, daß sie nur lieben oder hassen konnte.
Vroni dagegen war von kühlem Verstände, klug und in ihrer ganzen
Art berechnend, sie verfolgte ein bestimmtes Ziel wie der Jäger ein Wild,
das er von allen Seiten umstellen läßt. Was Edles an Gemüt zu viel
hatte, das fehlte Vroni und wurde durch jene Klugheit ersetzt, welche die Bibel
an den Schlangen lobt.
Vroni hatte wohl gemerkt, daß Harald aus Achtung vor seiner Stellung
das Regime der Frau vou Flinsberg nur ertrug, aber innerlich verdammte.
Sei es nun, daß diese Meinung des Lehrers aus sie Eindruck machte oder daß
sie selbst von dem Baume frei zu einer selbständigen Auffassung gelangte, sie
brach mit all ihren bisherigen Gewohnheiten, zu allererst mit der Seide, den
Spitzen und Schleifen, und sing sich in so anspruchsloser Weise zu kleiden an,
daß Harald, der den Firlefanz verachtete, davon betroffen wurde und der ganzen
Entwicklung Vronis mehr Aufmerksamkeit zuwandte, als er je beabsichtigt hatte.
Haralds Unterricht war nicht ohne Grund gesucht worden. Da es sich im
allgemeinen nur um die Ausbildung von Dilettanten handelte, insbesondre von
jungen Mädchen, für welche die Malerei weder zum Broterwerb noch zur Befrie¬
digung eines tiefinnern Künstlerdranges dienen sollte, so war sein Bemühen nicht
bloß darauf gerichtet, den Schülerinnen eine mehr oder minder große Fertigkeit in
der Führung des Pinsels beizubringen und den Verbrauch von Leinwand, Kreide
und Farbe zu befördern, ihm lag mehr daran, und dies war eigentlich der
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