Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfsor Joch. Artillerieleutuant aus der Kriegsschule, an der Straßenecke erwartet und begleitet Auf Harald aber machten Vronis Seelenenthüllungen keinen Eindruck; er Harald war es daher auch garnicht ausgefallen, als mit dem Ende des Auf dem Stilfsor Joch. Artillerieleutuant aus der Kriegsschule, an der Straßenecke erwartet und begleitet Auf Harald aber machten Vronis Seelenenthüllungen keinen Eindruck; er Harald war es daher auch garnicht ausgefallen, als mit dem Ende des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196938"/> <fw type="header" place="top"> Auf dem Stilfsor Joch.</fw><lb/> <p xml:id="ID_641" prev="#ID_640"> Artillerieleutuant aus der Kriegsschule, an der Straßenecke erwartet und begleitet<lb/> würde, der andern, daß sie sich in der einsamen Konditorei an der Ecke der Pots¬<lb/> damer- und Lützvwerstrciße mit einem Primaner vom Wilhelms-Gymnasium all¬<lb/> wöchentlich mehrere Stelldichein gäbe, der dritten, daß sie sich auf der Schlitt¬<lb/> schuhbahn auf der Nousseauinsel beim Fahren durch die Brücke von einem<lb/> Studenten habe küssen lassen, und da jede von ihnen den triftigsteil Grund hatte,<lb/> die sie betreffenden Angelegenheiten nicht bis in ihren innersten Grund verfolgt<lb/> zu sehen, so hatte sich Vroni im allgemeinen Ruhe und Achtung zu verschaffen<lb/> gewußt. Nur Alice Bayer, ein neidisches und spottsüchtigcs Ding, das schon<lb/> wegen seiner Häßlichkeit zu einem Gerede keinen Anlaß geben konnte, versagte<lb/> es sich nicht, wo sie eine Gelegenheit erspähen konnte, der armen Vroni, wie<lb/> der eben mitgeteilte Vorfall in der Schule beweist, einen Stich zu versetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_642"> Auf Harald aber machten Vronis Seelenenthüllungen keinen Eindruck; er<lb/> war blind für sie wie für alles, was uicht sein Bild anging. Der Gedanke an<lb/> dieses folterte ihn ohne Aufhören; er sah sich für immer zur Sklaverei ver¬<lb/> urteilt, und die Aussicht, sich von den Galeerenkugeln an seinen Füßen zu be¬<lb/> freien, schwand mehr und mehr.</p><lb/> <p xml:id="ID_643"> Harald war es daher auch garnicht ausgefallen, als mit dem Ende des<lb/> Schuljahres Vroni, welche die Dressur der Frau von Flinsberg in allen Graden<lb/> durchgemacht hatte, die Anstalt verließ und schon in den nächsten Tagen nach<lb/> den? Schulschluß mit ihrem Vater in seiner Wohnung erschien, um ihn dringend<lb/> um Fortsetzung des Unterrichts in der Malerei durch Privatstunden zu bitten.<lb/> Harald wollte für das kommende Semester neue Schüler nicht mehr annehmen<lb/> und hatte sich wieder einen neuen Plan gemacht — ein solcher wechselte mit<lb/> jedem Tage, weil jeder noch so fein durchdachte Plan an den thatsächlichen Ver¬<lb/> hältnissen scheitern mußte —, wonach er wenigstens dreimal in der Woche je<lb/> zwei Stunden an seinem Bilde malen konnte. Er lehnte deshalb die Bitte mit<lb/> Rücksicht auf seine überaus beschränkte Zeit ab. Der Vater suchte noch mit<lb/> einigen Worten den Entschluß des Malers wankend zu machen, das Mädchen<lb/> selbst aber brachte keinen Ton hervor. Vroni wurde vielmehr auffallend blaß,<lb/> und als Harald nochmals seine Weigerung wiederholte, schien es ihr, als ob ihr<lb/> Herz zerspränge, sie wurde zum großen Schrecken der Anwesenden ohnmächtig<lb/> und konnte sich erst nach längerer Zeit erholen. Herr Keller glaubte diesen<lb/> plötzlichen Unfall nicht anders erklären zu können, als daß seine Tochter sich<lb/> schon so sehr mit ihrem Lieblingsgedanken, die Malerei unter Stolbergs Leitung<lb/> fortsetzen zu können, vertraut gemacht hätte und nun durch das Scheitern ihres<lb/> Lieblingswunsches in eine so heftige Gemütsbewegung versetzt worden wäre. So<lb/> in die Enge getrieben, hielt sich Harald nicht mehr für berechtigt, länger bei<lb/> seiner Weigerung zu verharren, und Vroni Keller trat als neue Schülerin in<lb/> das Atelier von Harald Stolberg ein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
Auf dem Stilfsor Joch.
Artillerieleutuant aus der Kriegsschule, an der Straßenecke erwartet und begleitet
würde, der andern, daß sie sich in der einsamen Konditorei an der Ecke der Pots¬
damer- und Lützvwerstrciße mit einem Primaner vom Wilhelms-Gymnasium all¬
wöchentlich mehrere Stelldichein gäbe, der dritten, daß sie sich auf der Schlitt¬
schuhbahn auf der Nousseauinsel beim Fahren durch die Brücke von einem
Studenten habe küssen lassen, und da jede von ihnen den triftigsteil Grund hatte,
die sie betreffenden Angelegenheiten nicht bis in ihren innersten Grund verfolgt
zu sehen, so hatte sich Vroni im allgemeinen Ruhe und Achtung zu verschaffen
gewußt. Nur Alice Bayer, ein neidisches und spottsüchtigcs Ding, das schon
wegen seiner Häßlichkeit zu einem Gerede keinen Anlaß geben konnte, versagte
es sich nicht, wo sie eine Gelegenheit erspähen konnte, der armen Vroni, wie
der eben mitgeteilte Vorfall in der Schule beweist, einen Stich zu versetzen.
Auf Harald aber machten Vronis Seelenenthüllungen keinen Eindruck; er
war blind für sie wie für alles, was uicht sein Bild anging. Der Gedanke an
dieses folterte ihn ohne Aufhören; er sah sich für immer zur Sklaverei ver¬
urteilt, und die Aussicht, sich von den Galeerenkugeln an seinen Füßen zu be¬
freien, schwand mehr und mehr.
Harald war es daher auch garnicht ausgefallen, als mit dem Ende des
Schuljahres Vroni, welche die Dressur der Frau von Flinsberg in allen Graden
durchgemacht hatte, die Anstalt verließ und schon in den nächsten Tagen nach
den? Schulschluß mit ihrem Vater in seiner Wohnung erschien, um ihn dringend
um Fortsetzung des Unterrichts in der Malerei durch Privatstunden zu bitten.
Harald wollte für das kommende Semester neue Schüler nicht mehr annehmen
und hatte sich wieder einen neuen Plan gemacht — ein solcher wechselte mit
jedem Tage, weil jeder noch so fein durchdachte Plan an den thatsächlichen Ver¬
hältnissen scheitern mußte —, wonach er wenigstens dreimal in der Woche je
zwei Stunden an seinem Bilde malen konnte. Er lehnte deshalb die Bitte mit
Rücksicht auf seine überaus beschränkte Zeit ab. Der Vater suchte noch mit
einigen Worten den Entschluß des Malers wankend zu machen, das Mädchen
selbst aber brachte keinen Ton hervor. Vroni wurde vielmehr auffallend blaß,
und als Harald nochmals seine Weigerung wiederholte, schien es ihr, als ob ihr
Herz zerspränge, sie wurde zum großen Schrecken der Anwesenden ohnmächtig
und konnte sich erst nach längerer Zeit erholen. Herr Keller glaubte diesen
plötzlichen Unfall nicht anders erklären zu können, als daß seine Tochter sich
schon so sehr mit ihrem Lieblingsgedanken, die Malerei unter Stolbergs Leitung
fortsetzen zu können, vertraut gemacht hätte und nun durch das Scheitern ihres
Lieblingswunsches in eine so heftige Gemütsbewegung versetzt worden wäre. So
in die Enge getrieben, hielt sich Harald nicht mehr für berechtigt, länger bei
seiner Weigerung zu verharren, und Vroni Keller trat als neue Schülerin in
das Atelier von Harald Stolberg ein.
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