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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Älagen und Ansprüche der Serben und Griechen,

sondern bereits bei zwölf verschiednen Gelegenheiten gegen die Türken empört,
und die ganze weite Insel hat ihr Blut getrunken. Sie leisteten den Griechen
reichlich und energisch Beistand in dem siebenjährigen Ringen mit den Osmanen,
ans welchem der jetzige freie Staat Hellas hervorging. In der That, wir
würden nicht umhin können, ihnen das zu vergelten und ihnen offiziell oder
nicht offiziell bei ihrem Unternehmen an die Seite zu treten.

So die Klagen und Ansprüche, welche die Kabinette von Belgrad und
Athen erheben und nötigenfalls mit den Waffen durchfechten zu wollen erklären,
und nun in der Kürze unsre Meinung. Manches in denselben läßt sich hören,
namentlich der Hinweis der Griechen, daß die Aktion der Bulgaren die helle¬
nische Nationalität in Rumelien und Macedonien mit Vernichtung bedroht, und
daß Österreich-Ungarn, wenn König Milan seine Absichten auf Altserbieu nicht
ausführen darf und infolgedessen abdanken muß, Gefahr läuft, in Serbien einen
zuverlässigen Freund zu verlieren. Im großen und ganzen aber kann man den
Ausführungen der Vertreter des griechischen und serbischen Interesses nicht bei¬
pflichten und ihnen kaum Erfolg versprechen. Was sehen wir in der Sache
vor uns? Zwei kleine christliche Staaten erklären, wenn ein dritter christlicher
Kleinstaat, ihr Nachbar, größer werden sollte, würde ihnen Unrecht geschehen.
Schadet dieses offne, naive, fast cynische Eingeständnis ihrer Sache nicht mora¬
lisch mehr, als ihr militärische Kräfte schaden könnten? Serbien und Griechen¬
land erklären thatsächlich, die Oftrumelier hätten bleiben sollen, was der Ber¬
liner Friedensvertrag aus ihnen gemacht hatte, und wenn sie ruhig als getreue
Unterthanen des Sultans fvrtcxistirt hätten, so würde es in Serbien und Hellas
keine Ansprüche und keine Kriegsrüstungen gegeben haben. Eine solche Behaup¬
tung schwächt den Wert des Strebens der Griechen, die Stammesbrüder in
Epirus, Thessalien und Macedonien aus den Händen der Türken zu befreien,
merklich ab, noch mehr aber den der Absicht Serbiens, dem Sultan seine alt¬
serbischen Unterthanen zu nehmen. Das osmanische Joch kann unmöglich so
schwer drücken, wenn man deu Ostrnmeliern zuruft, sie hätten es geduldig weiter
tragen solle", und sie Hütten mit der Abwerfung desselben ein Unrecht gegen
andre christliche Staaten begangen, welches Gutmachnng erheische. Auch bessert
es die moralische Stellung der Kläger in Belgrad und Athen nicht, wenn sie
die Art von Kompensation auseinandersetzen, die sie fordern. Die Pforte hat
bis auf weiteres eine Provinz verloren, die sie nach völkerrechtlicher Bestimmung
mit Truppen belegen und verteidigen konnte. Wenn unter diesen Umständen
der Ruf nach Entschädigung laut wird, so erwartet man, daß die verkürzte
Macht ein Äquivalent dessen erhalten soll, was ihr genommen worden ist. Das
ist aber nicht serbische, nicht griechische Logik, und etwas derartiges schlägt man
weder in Belgrad noch in Athen vor. Hier nennt man es Entschädigung ver¬
langen, wenn man sagt: die Türken haben bereits etwas verloren, folglich
müssen sie noch etwas verlieren, folglich müssen wir auch etwas von ihrem


Grenzboten IV. 1335. ZS
Die Älagen und Ansprüche der Serben und Griechen,

sondern bereits bei zwölf verschiednen Gelegenheiten gegen die Türken empört,
und die ganze weite Insel hat ihr Blut getrunken. Sie leisteten den Griechen
reichlich und energisch Beistand in dem siebenjährigen Ringen mit den Osmanen,
ans welchem der jetzige freie Staat Hellas hervorging. In der That, wir
würden nicht umhin können, ihnen das zu vergelten und ihnen offiziell oder
nicht offiziell bei ihrem Unternehmen an die Seite zu treten.

So die Klagen und Ansprüche, welche die Kabinette von Belgrad und
Athen erheben und nötigenfalls mit den Waffen durchfechten zu wollen erklären,
und nun in der Kürze unsre Meinung. Manches in denselben läßt sich hören,
namentlich der Hinweis der Griechen, daß die Aktion der Bulgaren die helle¬
nische Nationalität in Rumelien und Macedonien mit Vernichtung bedroht, und
daß Österreich-Ungarn, wenn König Milan seine Absichten auf Altserbieu nicht
ausführen darf und infolgedessen abdanken muß, Gefahr läuft, in Serbien einen
zuverlässigen Freund zu verlieren. Im großen und ganzen aber kann man den
Ausführungen der Vertreter des griechischen und serbischen Interesses nicht bei¬
pflichten und ihnen kaum Erfolg versprechen. Was sehen wir in der Sache
vor uns? Zwei kleine christliche Staaten erklären, wenn ein dritter christlicher
Kleinstaat, ihr Nachbar, größer werden sollte, würde ihnen Unrecht geschehen.
Schadet dieses offne, naive, fast cynische Eingeständnis ihrer Sache nicht mora¬
lisch mehr, als ihr militärische Kräfte schaden könnten? Serbien und Griechen¬
land erklären thatsächlich, die Oftrumelier hätten bleiben sollen, was der Ber¬
liner Friedensvertrag aus ihnen gemacht hatte, und wenn sie ruhig als getreue
Unterthanen des Sultans fvrtcxistirt hätten, so würde es in Serbien und Hellas
keine Ansprüche und keine Kriegsrüstungen gegeben haben. Eine solche Behaup¬
tung schwächt den Wert des Strebens der Griechen, die Stammesbrüder in
Epirus, Thessalien und Macedonien aus den Händen der Türken zu befreien,
merklich ab, noch mehr aber den der Absicht Serbiens, dem Sultan seine alt¬
serbischen Unterthanen zu nehmen. Das osmanische Joch kann unmöglich so
schwer drücken, wenn man deu Ostrnmeliern zuruft, sie hätten es geduldig weiter
tragen solle», und sie Hütten mit der Abwerfung desselben ein Unrecht gegen
andre christliche Staaten begangen, welches Gutmachnng erheische. Auch bessert
es die moralische Stellung der Kläger in Belgrad und Athen nicht, wenn sie
die Art von Kompensation auseinandersetzen, die sie fordern. Die Pforte hat
bis auf weiteres eine Provinz verloren, die sie nach völkerrechtlicher Bestimmung
mit Truppen belegen und verteidigen konnte. Wenn unter diesen Umständen
der Ruf nach Entschädigung laut wird, so erwartet man, daß die verkürzte
Macht ein Äquivalent dessen erhalten soll, was ihr genommen worden ist. Das
ist aber nicht serbische, nicht griechische Logik, und etwas derartiges schlägt man
weder in Belgrad noch in Athen vor. Hier nennt man es Entschädigung ver¬
langen, wenn man sagt: die Türken haben bereits etwas verloren, folglich
müssen sie noch etwas verlieren, folglich müssen wir auch etwas von ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/201>, abgerufen am 15.01.2025.