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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Klagen und Ansprüche der Sorben und Grieche",

Sultan Tribut zu entrichte". Ju diesem Fülle würde das Gleichgewicht der
Macht wiederhergestellt und Serbien befriedigt sein, d, h, so lange als die
Bulgaren von Macedonien ferngehalten blieben, wofür wir nach besten Kräften
Sorge tragen würden. Käme es dort morgen zu einem Aufstande, so würden
wir der Türkei sofort zu dessen Unterdrückung beistehen. Müssen wir kämpfen,
so dürfen wir hoffen, uns ganz Altserbien und vielleicht noch etwas mehr zu
verschaffen, jedenfalls haben wir darauf zu dringen, daß wir den Landstrich be-
kommen, welcher Mitrowitza, Prischtina, das Kossowv Pvljc und Kumauowa
einschließt. Das ist das Minimum dessen, was wir beanspruchen können. Es
giebt aber noch ein andres Minimum unsrer Forderungen. Im Südwesten von
Bulgarien ist eine Ecke, welche die Ortschaften Trn, Bresnik und Nadomir
umfaßt und wesentlich serbische Bevölkerung hat. Gesetzt, die Mächte geben
unsre Ansprüche auf Kompensation im Prinzip zu, sagen aber: wir können in
eine Einverleibung Altserbiens nicht willigen, ihr sollt jedoch jenen südwestlichen
Winkel Bulgariens haben, so werden wir dieses eingeschränkte Zugeständnis für
jetzt annehmen und uns vorläufig beruhigen. Weigert sich dagegen Enropa,
unser Recht auf Entschädigung wegen der Vergrößerung Bulgariens überhaupt
anzuerkennen, so werden wir ganz unzweifelhaft kämpfen und nehmen, was wir
brauchen.

Läßt nun, von der Pforte abgesehen, unser Verlangen sich den Russen und
den Österreichern annehmbar machen? Den ersteren schwerlich; denn sie wissen,
daß wir zu unabhängig sind, um uns von ihnen als Werkzeug brauchen zu
lassen, sie ziehen es vor, den jungen Staat Bulgarien zu stärken, sodaß er
ihnen die Kastanien aus dem Feuer holen kann. Mit Österreich-Ungarn verhält
es sich einigermaßen anders. Allerdings würden wir, wenn uns Altserbien zu
Teil werden sollte, diesem den Weg nach Macedonien und Salonik versperren,
aber es behauptet ja, nicht dahin gehen, sondern sich nur um seine berechtigten
Handelsinteressen kümmern zu wollen, und nichts hinderte Serbien, ihm durch
eine spezielle Übereinkunft oder auf anderm Wege Bürgschaften für die Wahrung
dieser Interessen zu geben. Die Partei der Karageorgewitsch ist gegenwärtig
sehr ruhig, da die öffentliche Meinung Serbiens entschieden für den König Milan
und sein nationales Vorgehen ist. Diese Partei liegt aber stets auf der Lauer
und wartet auf Gelegenheit zu einem Streiche, und man weiß, daß sie mit den
Russen im Einverständnisse ist, während der König auf freundschaftlichsten Fuße
mit Österreich steht. Letzteres hat also ein starkes Interesse daran, daß er auf
seinem Throne verbleibt. Nun aber liegt es auf der Hand, daß, wenn Serbien
nicht gestattet wird, sich auf friedlichem Wege oder mit den Waffen in den
Besitz vou Landstrichen zu setzen, welche es für die Vergrößerung Bulgariens
entschädigen, die Politik König Milans, eine Politik des Zusammengehens mit
Österreich und dessen Verbündeten, dem deutschen Reiche, nud vollständiger Un¬
abhängigkeit von Nußland, mit einem Fiasko endigt und die Macht in die .Hände


Die Klagen und Ansprüche der Sorben und Grieche»,

Sultan Tribut zu entrichte». Ju diesem Fülle würde das Gleichgewicht der
Macht wiederhergestellt und Serbien befriedigt sein, d, h, so lange als die
Bulgaren von Macedonien ferngehalten blieben, wofür wir nach besten Kräften
Sorge tragen würden. Käme es dort morgen zu einem Aufstande, so würden
wir der Türkei sofort zu dessen Unterdrückung beistehen. Müssen wir kämpfen,
so dürfen wir hoffen, uns ganz Altserbien und vielleicht noch etwas mehr zu
verschaffen, jedenfalls haben wir darauf zu dringen, daß wir den Landstrich be-
kommen, welcher Mitrowitza, Prischtina, das Kossowv Pvljc und Kumauowa
einschließt. Das ist das Minimum dessen, was wir beanspruchen können. Es
giebt aber noch ein andres Minimum unsrer Forderungen. Im Südwesten von
Bulgarien ist eine Ecke, welche die Ortschaften Trn, Bresnik und Nadomir
umfaßt und wesentlich serbische Bevölkerung hat. Gesetzt, die Mächte geben
unsre Ansprüche auf Kompensation im Prinzip zu, sagen aber: wir können in
eine Einverleibung Altserbiens nicht willigen, ihr sollt jedoch jenen südwestlichen
Winkel Bulgariens haben, so werden wir dieses eingeschränkte Zugeständnis für
jetzt annehmen und uns vorläufig beruhigen. Weigert sich dagegen Enropa,
unser Recht auf Entschädigung wegen der Vergrößerung Bulgariens überhaupt
anzuerkennen, so werden wir ganz unzweifelhaft kämpfen und nehmen, was wir
brauchen.

Läßt nun, von der Pforte abgesehen, unser Verlangen sich den Russen und
den Österreichern annehmbar machen? Den ersteren schwerlich; denn sie wissen,
daß wir zu unabhängig sind, um uns von ihnen als Werkzeug brauchen zu
lassen, sie ziehen es vor, den jungen Staat Bulgarien zu stärken, sodaß er
ihnen die Kastanien aus dem Feuer holen kann. Mit Österreich-Ungarn verhält
es sich einigermaßen anders. Allerdings würden wir, wenn uns Altserbien zu
Teil werden sollte, diesem den Weg nach Macedonien und Salonik versperren,
aber es behauptet ja, nicht dahin gehen, sondern sich nur um seine berechtigten
Handelsinteressen kümmern zu wollen, und nichts hinderte Serbien, ihm durch
eine spezielle Übereinkunft oder auf anderm Wege Bürgschaften für die Wahrung
dieser Interessen zu geben. Die Partei der Karageorgewitsch ist gegenwärtig
sehr ruhig, da die öffentliche Meinung Serbiens entschieden für den König Milan
und sein nationales Vorgehen ist. Diese Partei liegt aber stets auf der Lauer
und wartet auf Gelegenheit zu einem Streiche, und man weiß, daß sie mit den
Russen im Einverständnisse ist, während der König auf freundschaftlichsten Fuße
mit Österreich steht. Letzteres hat also ein starkes Interesse daran, daß er auf
seinem Throne verbleibt. Nun aber liegt es auf der Hand, daß, wenn Serbien
nicht gestattet wird, sich auf friedlichem Wege oder mit den Waffen in den
Besitz vou Landstrichen zu setzen, welche es für die Vergrößerung Bulgariens
entschädigen, die Politik König Milans, eine Politik des Zusammengehens mit
Österreich und dessen Verbündeten, dem deutschen Reiche, nud vollständiger Un¬
abhängigkeit von Nußland, mit einem Fiasko endigt und die Macht in die .Hände


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[0198] Die Klagen und Ansprüche der Sorben und Grieche», Sultan Tribut zu entrichte». Ju diesem Fülle würde das Gleichgewicht der Macht wiederhergestellt und Serbien befriedigt sein, d, h, so lange als die Bulgaren von Macedonien ferngehalten blieben, wofür wir nach besten Kräften Sorge tragen würden. Käme es dort morgen zu einem Aufstande, so würden wir der Türkei sofort zu dessen Unterdrückung beistehen. Müssen wir kämpfen, so dürfen wir hoffen, uns ganz Altserbien und vielleicht noch etwas mehr zu verschaffen, jedenfalls haben wir darauf zu dringen, daß wir den Landstrich be- kommen, welcher Mitrowitza, Prischtina, das Kossowv Pvljc und Kumauowa einschließt. Das ist das Minimum dessen, was wir beanspruchen können. Es giebt aber noch ein andres Minimum unsrer Forderungen. Im Südwesten von Bulgarien ist eine Ecke, welche die Ortschaften Trn, Bresnik und Nadomir umfaßt und wesentlich serbische Bevölkerung hat. Gesetzt, die Mächte geben unsre Ansprüche auf Kompensation im Prinzip zu, sagen aber: wir können in eine Einverleibung Altserbiens nicht willigen, ihr sollt jedoch jenen südwestlichen Winkel Bulgariens haben, so werden wir dieses eingeschränkte Zugeständnis für jetzt annehmen und uns vorläufig beruhigen. Weigert sich dagegen Enropa, unser Recht auf Entschädigung wegen der Vergrößerung Bulgariens überhaupt anzuerkennen, so werden wir ganz unzweifelhaft kämpfen und nehmen, was wir brauchen. Läßt nun, von der Pforte abgesehen, unser Verlangen sich den Russen und den Österreichern annehmbar machen? Den ersteren schwerlich; denn sie wissen, daß wir zu unabhängig sind, um uns von ihnen als Werkzeug brauchen zu lassen, sie ziehen es vor, den jungen Staat Bulgarien zu stärken, sodaß er ihnen die Kastanien aus dem Feuer holen kann. Mit Österreich-Ungarn verhält es sich einigermaßen anders. Allerdings würden wir, wenn uns Altserbien zu Teil werden sollte, diesem den Weg nach Macedonien und Salonik versperren, aber es behauptet ja, nicht dahin gehen, sondern sich nur um seine berechtigten Handelsinteressen kümmern zu wollen, und nichts hinderte Serbien, ihm durch eine spezielle Übereinkunft oder auf anderm Wege Bürgschaften für die Wahrung dieser Interessen zu geben. Die Partei der Karageorgewitsch ist gegenwärtig sehr ruhig, da die öffentliche Meinung Serbiens entschieden für den König Milan und sein nationales Vorgehen ist. Diese Partei liegt aber stets auf der Lauer und wartet auf Gelegenheit zu einem Streiche, und man weiß, daß sie mit den Russen im Einverständnisse ist, während der König auf freundschaftlichsten Fuße mit Österreich steht. Letzteres hat also ein starkes Interesse daran, daß er auf seinem Throne verbleibt. Nun aber liegt es auf der Hand, daß, wenn Serbien nicht gestattet wird, sich auf friedlichem Wege oder mit den Waffen in den Besitz vou Landstrichen zu setzen, welche es für die Vergrößerung Bulgariens entschädigen, die Politik König Milans, eine Politik des Zusammengehens mit Österreich und dessen Verbündeten, dem deutschen Reiche, nud vollständiger Un¬ abhängigkeit von Nußland, mit einem Fiasko endigt und die Macht in die .Hände

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/198>, abgerufen am 15.01.2025.