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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die sogenannte öffentliche Meinung.

Was man "öffentliche Meinung" nennt, ist eigentlich nichts andres als öffent¬
liche Bevormundung. Dieses Wort steht zwar in dem schwarzen Buche der
freisinnigen und sonstigen Volksführcr, aber doch nur dann, wenn die Regierung
in Frage steht. Daß sich ein freier Bürger in irgendwelcher Anschauung durch
eine Behörde beeinflussen lasse, auch wenn deren Handlungen und Worte in
größter Sachkenntnis begründet und richtig sind -- das ist unwürdig. Was
aber einem Zeitungsschreiber zu sagen beliebt -- das ist "öffentliche Meinung,"
und daran hat der Philister von Rechtswegen zu glauben.

Nun liest -- wenigstens in Deutschland -- kaum jemand mehr als eine
Zeitung, für ihn ist also deren Meinung die "öffentliche" und die seinige.
Schreibt aber gar die Freisinnige Zeitung: "Wir stimmen mit der Volkszeitung,
dem Berliner Tageblatt und der Vossischen Zeitung darin überein, daß die
innere Politik des Reichskanzlers von der öffentlichen Meinung längst gerichtet
ist," dann muß es ja durchaus wahr sein, denn es steht viermal gedruckt.

Wie diese Übereinstimmung der "öffentlichen Meinung" gemacht wird, das ist
Fabrikgeheimnis, aber es dringt doch auch zuweilen aus diesen Werkstätten des
"Zeitgeistes" etwas unter das profane Volk.

Die von den Parteien gebildeten Blätter müssen natürlich das Partei¬
programm innehalten; so werden schutzzöllnerische Maßregeln von allen Frei-
haudclsblcitteru gleichmäßig verurteilt, somit hat die "öffentliche Meinung" die
Zollpolitik bekanntlich gerichtet. Die "freisinnigen" Blätter, welche, wie ihre
Partei, nichts Positives leisten, haben nur das negative Programm, kein gutes
Haar an der Regierung zu lassen. Was also von Negierungswegen geschieht,
wird gleichmäßig getadelt, ist also wiederum von der "öffentlichen Meinung"
verurteilt. Dann haben sich in jüngster Zeit sogenannte lithvgraphirte Korre¬
spondenzen gebildet, welche oft Hunderte von Zeitungen mit Stoff versorgen,
ohne daß diese die Quelle anzugeben haben. Bringt also eine solche Korre¬
spondenz einen Artikel mit den Worten: Es bestätigt sich mehr und mehr, daß
die vorausgesagte Reaktion nunmehr hereingebrochen ist -- so liest man diese
Bestätigung in allen Zeitungen, welche auf diese Korrespondenz abonnirt haben,
und die "öffentliche Meinung" konstatirt das Hereinbrechen der Reaktion. Dann
giebt es Zusammenkünfte von Korrespondenten und Reportern, welche ihre Nach¬
richten und Meinungen austauschen und deren Fabrikate somit in verschiedner
Verpackung als dieselbe "öffentliche Meinung" in die Welt gehen. In be¬
stimmten Berliner Cafes findet täglich eine solche Journalistenbörse statt, in
der häufig ein Wort des mit den Herren "Vertretern der öffentlichen Meinung"
auf vertraulichem Fuße stehenden Zahlkellners die Runde durch Europa macht.
Die Gerichtsreporter bilden unter sich eine gewisse engere Korporation, die
Kunstkritiker nicht minder, und so bilden sich auf die natürlichste Weise mehr
oder minder identische Urteile in der Presse, die dann xro voriwtö A<zoi-
riirmtur.


Die sogenannte öffentliche Meinung.

Was man „öffentliche Meinung" nennt, ist eigentlich nichts andres als öffent¬
liche Bevormundung. Dieses Wort steht zwar in dem schwarzen Buche der
freisinnigen und sonstigen Volksführcr, aber doch nur dann, wenn die Regierung
in Frage steht. Daß sich ein freier Bürger in irgendwelcher Anschauung durch
eine Behörde beeinflussen lasse, auch wenn deren Handlungen und Worte in
größter Sachkenntnis begründet und richtig sind — das ist unwürdig. Was
aber einem Zeitungsschreiber zu sagen beliebt — das ist „öffentliche Meinung,"
und daran hat der Philister von Rechtswegen zu glauben.

Nun liest — wenigstens in Deutschland — kaum jemand mehr als eine
Zeitung, für ihn ist also deren Meinung die „öffentliche" und die seinige.
Schreibt aber gar die Freisinnige Zeitung: „Wir stimmen mit der Volkszeitung,
dem Berliner Tageblatt und der Vossischen Zeitung darin überein, daß die
innere Politik des Reichskanzlers von der öffentlichen Meinung längst gerichtet
ist," dann muß es ja durchaus wahr sein, denn es steht viermal gedruckt.

Wie diese Übereinstimmung der „öffentlichen Meinung" gemacht wird, das ist
Fabrikgeheimnis, aber es dringt doch auch zuweilen aus diesen Werkstätten des
„Zeitgeistes" etwas unter das profane Volk.

Die von den Parteien gebildeten Blätter müssen natürlich das Partei¬
programm innehalten; so werden schutzzöllnerische Maßregeln von allen Frei-
haudclsblcitteru gleichmäßig verurteilt, somit hat die „öffentliche Meinung" die
Zollpolitik bekanntlich gerichtet. Die „freisinnigen" Blätter, welche, wie ihre
Partei, nichts Positives leisten, haben nur das negative Programm, kein gutes
Haar an der Regierung zu lassen. Was also von Negierungswegen geschieht,
wird gleichmäßig getadelt, ist also wiederum von der „öffentlichen Meinung"
verurteilt. Dann haben sich in jüngster Zeit sogenannte lithvgraphirte Korre¬
spondenzen gebildet, welche oft Hunderte von Zeitungen mit Stoff versorgen,
ohne daß diese die Quelle anzugeben haben. Bringt also eine solche Korre¬
spondenz einen Artikel mit den Worten: Es bestätigt sich mehr und mehr, daß
die vorausgesagte Reaktion nunmehr hereingebrochen ist — so liest man diese
Bestätigung in allen Zeitungen, welche auf diese Korrespondenz abonnirt haben,
und die „öffentliche Meinung" konstatirt das Hereinbrechen der Reaktion. Dann
giebt es Zusammenkünfte von Korrespondenten und Reportern, welche ihre Nach¬
richten und Meinungen austauschen und deren Fabrikate somit in verschiedner
Verpackung als dieselbe „öffentliche Meinung" in die Welt gehen. In be¬
stimmten Berliner Cafes findet täglich eine solche Journalistenbörse statt, in
der häufig ein Wort des mit den Herren „Vertretern der öffentlichen Meinung"
auf vertraulichem Fuße stehenden Zahlkellners die Runde durch Europa macht.
Die Gerichtsreporter bilden unter sich eine gewisse engere Korporation, die
Kunstkritiker nicht minder, und so bilden sich auf die natürlichste Weise mehr
oder minder identische Urteile in der Presse, die dann xro voriwtö A<zoi-
riirmtur.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/180>, abgerufen am 15.01.2025.