Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfser Joch. über philosophische Propcidcutik gehalten, es wird analytische Geometrie und Die Anstalt der Fran Adele von Flinsberg stand in der angegebenen Selbstverständlich wurde der Unterricht konfessionslos erteilt, aber es Die vielen Feiertage, zu denen dann noch die zahlreichen Gedenktage Auf dem Stilfser Joch. über philosophische Propcidcutik gehalten, es wird analytische Geometrie und Die Anstalt der Fran Adele von Flinsberg stand in der angegebenen Selbstverständlich wurde der Unterricht konfessionslos erteilt, aber es Die vielen Feiertage, zu denen dann noch die zahlreichen Gedenktage <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196908"/> <fw type="header" place="top"> Auf dem Stilfser Joch.</fw><lb/> <p xml:id="ID_541" prev="#ID_540"> über philosophische Propcidcutik gehalten, es wird analytische Geometrie und<lb/> ähnlicher Unfug mit ihnen getrieben, Aufsätze über philosophische Probleme werden<lb/> bearbeitet, und in Bezug auf die Sprachwissenschaften gleicht eine solche Anstalt<lb/> dem Turmbau zu Babel. Früher begnügte man sich mit dem Auswendiglernen<lb/> einiger französischen Vokabeln und brachte es höchstens in der Lektüre des<lb/> Charles XII. zu einer gewissen Vollkommenheit; jetzt ist auch das Englische zum<lb/> Zwangsunterricht geworden, und seit die diplomatischen Beziehungen zwischen dem<lb/> Reiche und Italien so gute geworden sind, thut es kaum noch eine Töchterschule<lb/> ohne das Studium der Sprache jenes Landes, ovo it Ä 8nona, Ja, wenn wir<lb/> recht berichtet sind, so hat die Aufführung des Caldervnschen Richters von Zala-<lb/> mea an einigen Anstalten sogar schon eine Verheerung in der spanischen Sprache<lb/> angerichtet; mit Latein und Griechisch ist bei einigen schon der Anfang gemacht.<lb/> Von Gründlichkeit kann bei einem solchen Lehrplane natürlich keine Rede<lb/> sein, auf das unreife Urteil werden verschiedne tiefklingende Axiome aufgepfropft,<lb/> das Betreiben der Sprachen läuft auf ein mehr oder minder schlechtes<lb/> Parliren hinaus, und die jungen Mädchen verlassen die Schulen, nachdem ihr<lb/> Geist mit einem Ballast unnützen Wissens überbürdet worden, für die Ausbil¬<lb/> dung ihres Gemütes aber nichts geschehen ist. Die staatlichen Anstalten legen sich<lb/> noch gewisse Schranken auf, aber eben deswegen werden sie anch nur von den<lb/> Kindern des mittlern Bürgerstandes besucht, dem höhern genügen sie einerseits<lb/> nicht, anderseits will er seine Töchter nur mit seinesgleichen in Berührung<lb/> bringen. Deshalb schießen höhere Privattöchterschulen wie die Pilze aus der<lb/> Erde, und diese suchen einander in Vornehmheit und in der Art der Lehrgegen-<lb/> stciude zu überbieten. Es sollte uns nicht wundern, wenn demnächst die dreizehn¬<lb/> jährigen Mädchen anch in Sanskrit und Aeghptvlvgie unterrichtet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_542"> Die Anstalt der Fran Adele von Flinsberg stand in der angegebenen<lb/> Richtung auf der Hohe; die Vorsteherin verstand es vollkommen, den Wünschen<lb/> der Eltern entgegenzukommen und besonders ein sehr hohes Schulgeld zu fordern.<lb/> Sie hatte die Erfahrung gemacht, daß, je höhere Preise sie forderte, desto stärker<lb/> der Zuspruch war, und wenn ein Mädchen ihre Anstalt von Anfang bis zu<lb/> Ende durchgemacht hatte, dann kostete sie mehr als drei oder vier ihrer Brüder,<lb/> die unterdessen auf verschiednen Universitäten des Reiches Jura, Medizin oder<lb/> Naturwissenschaften studirt hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_543"> Selbstverständlich wurde der Unterricht konfessionslos erteilt, aber es<lb/> wurden in verschiednen „Cöteu" die Konfessionen aller vom Staate anerkannten<lb/> Religionsgesellschaften gelehrt und namentlich von sämtlichen Schülern die Feier¬<lb/> tage aller Bekenntnisse festlich begangen; es gab ebenso wenig an den jüdischen<lb/> wie an den christlichen Festtagen Unterricht, und als sogar während eines halben<lb/> Jahres der türkische Botschafter Musurns Pascha sein Töchterchen die Anstalt<lb/> besuchen ließ, dachte Frau von Flinsberg ernstlich daran, auch die Feiertage,<lb/> die vom Koran vorgeschrieben sind, festlich zu begehen. Überall hatte sie<lb/> schon unter ihren gelehrten Freunden und Gönnern Ermittelungen über das<lb/> türkische Beiramsfest und den Ramadan angestellt, bis einmal die kleine Ge-<lb/> sandtentochtcr gesprächsweise erklärte, daß sie wie ihre levantinische Mutter<lb/> katholisch sei — eine Erklärung, durch welche die hochfliegenden Pläne der<lb/> Frau von Flinsberg zu Boden sanken.</p><lb/> <p xml:id="ID_544" next="#ID_545"> Die vielen Feiertage, zu denen dann noch die zahlreichen Gedenktage<lb/> patriotischen und uuiversalliterarischen Charakters traten — der Geburtstag<lb/> Firdusis wurde nicht minder begangen wie derjenige Schillers —, benutzte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
Auf dem Stilfser Joch.
über philosophische Propcidcutik gehalten, es wird analytische Geometrie und
ähnlicher Unfug mit ihnen getrieben, Aufsätze über philosophische Probleme werden
bearbeitet, und in Bezug auf die Sprachwissenschaften gleicht eine solche Anstalt
dem Turmbau zu Babel. Früher begnügte man sich mit dem Auswendiglernen
einiger französischen Vokabeln und brachte es höchstens in der Lektüre des
Charles XII. zu einer gewissen Vollkommenheit; jetzt ist auch das Englische zum
Zwangsunterricht geworden, und seit die diplomatischen Beziehungen zwischen dem
Reiche und Italien so gute geworden sind, thut es kaum noch eine Töchterschule
ohne das Studium der Sprache jenes Landes, ovo it Ä 8nona, Ja, wenn wir
recht berichtet sind, so hat die Aufführung des Caldervnschen Richters von Zala-
mea an einigen Anstalten sogar schon eine Verheerung in der spanischen Sprache
angerichtet; mit Latein und Griechisch ist bei einigen schon der Anfang gemacht.
Von Gründlichkeit kann bei einem solchen Lehrplane natürlich keine Rede
sein, auf das unreife Urteil werden verschiedne tiefklingende Axiome aufgepfropft,
das Betreiben der Sprachen läuft auf ein mehr oder minder schlechtes
Parliren hinaus, und die jungen Mädchen verlassen die Schulen, nachdem ihr
Geist mit einem Ballast unnützen Wissens überbürdet worden, für die Ausbil¬
dung ihres Gemütes aber nichts geschehen ist. Die staatlichen Anstalten legen sich
noch gewisse Schranken auf, aber eben deswegen werden sie anch nur von den
Kindern des mittlern Bürgerstandes besucht, dem höhern genügen sie einerseits
nicht, anderseits will er seine Töchter nur mit seinesgleichen in Berührung
bringen. Deshalb schießen höhere Privattöchterschulen wie die Pilze aus der
Erde, und diese suchen einander in Vornehmheit und in der Art der Lehrgegen-
stciude zu überbieten. Es sollte uns nicht wundern, wenn demnächst die dreizehn¬
jährigen Mädchen anch in Sanskrit und Aeghptvlvgie unterrichtet werden.
Die Anstalt der Fran Adele von Flinsberg stand in der angegebenen
Richtung auf der Hohe; die Vorsteherin verstand es vollkommen, den Wünschen
der Eltern entgegenzukommen und besonders ein sehr hohes Schulgeld zu fordern.
Sie hatte die Erfahrung gemacht, daß, je höhere Preise sie forderte, desto stärker
der Zuspruch war, und wenn ein Mädchen ihre Anstalt von Anfang bis zu
Ende durchgemacht hatte, dann kostete sie mehr als drei oder vier ihrer Brüder,
die unterdessen auf verschiednen Universitäten des Reiches Jura, Medizin oder
Naturwissenschaften studirt hatten.
Selbstverständlich wurde der Unterricht konfessionslos erteilt, aber es
wurden in verschiednen „Cöteu" die Konfessionen aller vom Staate anerkannten
Religionsgesellschaften gelehrt und namentlich von sämtlichen Schülern die Feier¬
tage aller Bekenntnisse festlich begangen; es gab ebenso wenig an den jüdischen
wie an den christlichen Festtagen Unterricht, und als sogar während eines halben
Jahres der türkische Botschafter Musurns Pascha sein Töchterchen die Anstalt
besuchen ließ, dachte Frau von Flinsberg ernstlich daran, auch die Feiertage,
die vom Koran vorgeschrieben sind, festlich zu begehen. Überall hatte sie
schon unter ihren gelehrten Freunden und Gönnern Ermittelungen über das
türkische Beiramsfest und den Ramadan angestellt, bis einmal die kleine Ge-
sandtentochtcr gesprächsweise erklärte, daß sie wie ihre levantinische Mutter
katholisch sei — eine Erklärung, durch welche die hochfliegenden Pläne der
Frau von Flinsberg zu Boden sanken.
Die vielen Feiertage, zu denen dann noch die zahlreichen Gedenktage
patriotischen und uuiversalliterarischen Charakters traten — der Geburtstag
Firdusis wurde nicht minder begangen wie derjenige Schillers —, benutzte
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