Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Balkanstaaten und die Großmächte. Reiches des Ostens war. Ihre Rebellion gegen die Herrscher in Byzanz war So läßt es sich bis zu einem gewissen Grade begreifen, wenn man in Grenzboten IV. 183S. 21
Die Balkanstaaten und die Großmächte. Reiches des Ostens war. Ihre Rebellion gegen die Herrscher in Byzanz war So läßt es sich bis zu einem gewissen Grade begreifen, wenn man in Grenzboten IV. 183S. 21
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196903"/> <fw type="header" place="top"> Die Balkanstaaten und die Großmächte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_531" prev="#ID_530"> Reiches des Ostens war. Ihre Rebellion gegen die Herrscher in Byzanz war<lb/> eine der vielen Ursachen, welche den Einbruch der Osmanen in Europa er¬<lb/> leichterten. Ihr Kaisertum erhielt sich kaum zwei Jahrhunderte und ging<lb/> schließlich durch die furchtbare Katastrophe aus dem Amselfelde bei Kossowa<lb/> unter, deren Gedächtnis noch heute in den Volksliedern des Landes fortlebt.<lb/> Der Ort dieser vernichtenden Niederlage wird von den Grenzen des jetzigen<lb/> Königreiches nicht eingeschlossen, sondern liegt im nördlichen Macedonien, und<lb/> die Gefahr der jetzigen Krisis ist zum guten Teile darin zu finden, daß anch<lb/> alle Oertlichkeiten, an die sich die Erinnerung an die Größe und den Glanz<lb/> des mittelalterlichen Serbiens knüpfen, noch unter der Herrschaft der Pforte<lb/> stehen. Sonst können sich die Serben auch einer neueren Heidenzeit rühmen,<lb/> derjenigen, in welcher der „Schwarze Georg" im Kampfe mit den Heeren des<lb/> Halbmondes seinem Volke wieder in der Geschichte Namen und Vcdeutnng errang<lb/> und 1812 ihm eine beschränkte Unabhängigkeit verschaffte. Dies konnte nur mit<lb/> russischem Beistande gelingen, doch ist immerhin zu beachten, daß die Serben<lb/> bei ihrer Befreiung vom Türkcnjoche mitwirkten, während die Bulgaren einzig<lb/> und allein durch die Waffen des Zaren befreit wurden. Jene stehen ferner auch<lb/> darin eine Stufe über jenen, daß sie neben ihren geschichtlichen Erinnerungen<lb/> eine Literatur von einigem Werte besitzen, während die Bulgaren nichts der<lb/> Art aufzuweisen haben. Serbisch ist endlich die Hauptsprache der Balkanländer,<lb/> das Bulgarische nur ein Dialekt desselben.</p><lb/> <p xml:id="ID_532" next="#ID_533"> So läßt es sich bis zu einem gewissen Grade begreifen, wenn man in<lb/> Belgrad nach einer Ausdehmmg über die Grenzen des jetzigen Königreiches<lb/> hinaufstrebt. Indes löst man mit geschichtlichen Erinnerungen n»d dem Hinweis<lb/> auf literarische Leistungen und sprachliche Zusammenhänge nicht die Probleme<lb/> des realen Lebens und des Völkerrechtes. Das gilt bei unsrer Betrachtung<lb/> namentlich vou Macedonien, ans das die Serben vorzüglich ihre Augen richten.<lb/> Serbien, Bulgarien und Griechenland haben ihre von den Mächten abgesteckten<lb/> Grenzen, und das von denselben umschlossene Volk ist in jedem dieser Länder<lb/> im großen und ganzen homogen, Macedonien dagegen, das zwischen den dreien<lb/> liegt, ist von einem Rassengemisch, einem Allerlei von Stämmen bewohnt, es<lb/> gleicht ethnologisch den Teilen der Erdoberfläche, wo geologische Krämpfe eine<lb/> Menge von verschiednen Schichten durcheinander geworfen und dicht neben ein¬<lb/> ander abgelagert haben. Serben christlichen und muhamedanischen Glaubens,<lb/> Albanesen, Türken, Griechen, Walachen und Bulgaren leben hier gemengt bei<lb/> einander, zuweilen in Kreisen und Dörfern gesondert, zuweilen Gehöft um Ge¬<lb/> höft zerstreut Angehörige des einen Stammes neben denen des andern. Dieses<lb/> ethnographische Nixtuui oyurvoÄturo. ist von sehr altem Datum. Schon Plinius<lb/> spricht vou hundertundfunfzig Stämmen, die hier wohnten, und die Zeiten nach<lb/> ihm haben noch andre reichlich herbeigeführt und dazwischen geschoben. Niemals<lb/> war diese türkische Provinz ganz und rein griechisch oder slawisch. Dieses Land<lb/> der Enklaven befriedigend nach Nationalität, Nasse und Abstammung zu zer¬<lb/> legen und zu verteilen, würde eine Aufgabe politischer Vivisektion sein, welche<lb/> über die größte chirurgische Geschicklichkeit ginge, und der Nachbarstaat, welcher<lb/> das Hauptstück des zerschnittenen Körpers empfinge, würde sicher die Mißgunst<lb/> und deu bittern Haß aller übrigen erregen. Darin liegt die wesentliche Schwierig¬<lb/> keit der Situation. Die Serben erstreben und verlangen ein großes Stück vom<lb/> Norden Macedoniens, die Bulgaren möchten, wenn die Sterne günstig stünden,<lb/> sich eine tüchtige Portion im Osten einverleiben, die Griechen richten begehrliche</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 183S. 21</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0169]
Die Balkanstaaten und die Großmächte.
Reiches des Ostens war. Ihre Rebellion gegen die Herrscher in Byzanz war
eine der vielen Ursachen, welche den Einbruch der Osmanen in Europa er¬
leichterten. Ihr Kaisertum erhielt sich kaum zwei Jahrhunderte und ging
schließlich durch die furchtbare Katastrophe aus dem Amselfelde bei Kossowa
unter, deren Gedächtnis noch heute in den Volksliedern des Landes fortlebt.
Der Ort dieser vernichtenden Niederlage wird von den Grenzen des jetzigen
Königreiches nicht eingeschlossen, sondern liegt im nördlichen Macedonien, und
die Gefahr der jetzigen Krisis ist zum guten Teile darin zu finden, daß anch
alle Oertlichkeiten, an die sich die Erinnerung an die Größe und den Glanz
des mittelalterlichen Serbiens knüpfen, noch unter der Herrschaft der Pforte
stehen. Sonst können sich die Serben auch einer neueren Heidenzeit rühmen,
derjenigen, in welcher der „Schwarze Georg" im Kampfe mit den Heeren des
Halbmondes seinem Volke wieder in der Geschichte Namen und Vcdeutnng errang
und 1812 ihm eine beschränkte Unabhängigkeit verschaffte. Dies konnte nur mit
russischem Beistande gelingen, doch ist immerhin zu beachten, daß die Serben
bei ihrer Befreiung vom Türkcnjoche mitwirkten, während die Bulgaren einzig
und allein durch die Waffen des Zaren befreit wurden. Jene stehen ferner auch
darin eine Stufe über jenen, daß sie neben ihren geschichtlichen Erinnerungen
eine Literatur von einigem Werte besitzen, während die Bulgaren nichts der
Art aufzuweisen haben. Serbisch ist endlich die Hauptsprache der Balkanländer,
das Bulgarische nur ein Dialekt desselben.
So läßt es sich bis zu einem gewissen Grade begreifen, wenn man in
Belgrad nach einer Ausdehmmg über die Grenzen des jetzigen Königreiches
hinaufstrebt. Indes löst man mit geschichtlichen Erinnerungen n»d dem Hinweis
auf literarische Leistungen und sprachliche Zusammenhänge nicht die Probleme
des realen Lebens und des Völkerrechtes. Das gilt bei unsrer Betrachtung
namentlich vou Macedonien, ans das die Serben vorzüglich ihre Augen richten.
Serbien, Bulgarien und Griechenland haben ihre von den Mächten abgesteckten
Grenzen, und das von denselben umschlossene Volk ist in jedem dieser Länder
im großen und ganzen homogen, Macedonien dagegen, das zwischen den dreien
liegt, ist von einem Rassengemisch, einem Allerlei von Stämmen bewohnt, es
gleicht ethnologisch den Teilen der Erdoberfläche, wo geologische Krämpfe eine
Menge von verschiednen Schichten durcheinander geworfen und dicht neben ein¬
ander abgelagert haben. Serben christlichen und muhamedanischen Glaubens,
Albanesen, Türken, Griechen, Walachen und Bulgaren leben hier gemengt bei
einander, zuweilen in Kreisen und Dörfern gesondert, zuweilen Gehöft um Ge¬
höft zerstreut Angehörige des einen Stammes neben denen des andern. Dieses
ethnographische Nixtuui oyurvoÄturo. ist von sehr altem Datum. Schon Plinius
spricht vou hundertundfunfzig Stämmen, die hier wohnten, und die Zeiten nach
ihm haben noch andre reichlich herbeigeführt und dazwischen geschoben. Niemals
war diese türkische Provinz ganz und rein griechisch oder slawisch. Dieses Land
der Enklaven befriedigend nach Nationalität, Nasse und Abstammung zu zer¬
legen und zu verteilen, würde eine Aufgabe politischer Vivisektion sein, welche
über die größte chirurgische Geschicklichkeit ginge, und der Nachbarstaat, welcher
das Hauptstück des zerschnittenen Körpers empfinge, würde sicher die Mißgunst
und deu bittern Haß aller übrigen erregen. Darin liegt die wesentliche Schwierig¬
keit der Situation. Die Serben erstreben und verlangen ein großes Stück vom
Norden Macedoniens, die Bulgaren möchten, wenn die Sterne günstig stünden,
sich eine tüchtige Portion im Osten einverleiben, die Griechen richten begehrliche
Grenzboten IV. 183S. 21
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