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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Lcilkanstaatcn und die Großmächte.

derben würde, und daß die andern sagen würden: das ist nicht unser Pastor, den
haben wir nicht gewählt. Und so ist es wirklich gekommen. Aliendorf, sonst ein
harmloses und friedliches Nest, ist seit jener unseligen Wahlgeschichte außer Rand
und Band, und der arme Saupe ist nicht der Mann dazu, die Karre wieder ins
rechte Geleis zu bringen. Der Kirchenrendant aber sagt jeden Morgen und jeden
Abend: ,,Gott bewahre uns vor noch so einer Pfarrwahl. Wenn sie uns einen
schicken, hernach ist es gut, aber so? Seit der Dvnnerwetterwahl geht ja kein
Mensch mehr in die Kirche."

Hier lege ich meinen Stift nieder und schreibe nnter meine Skizze mit der
Ruhe eines guten Gewissens:


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Die Balkanstaaten und die Großmächte.

in Botschafter der Mächte, welche den Berliner Frieden verein¬
barten, sind in Konstantinopel zusammengetreten, um über eine
geignete Lösung der bulgarischen Frage zu beraten, und es scheint,
als ob ein dahin führender Weg bereits gefunden sei. Jedenfalls
nimmt die Verständigung der drei Kaiserreiche über die Angelegen¬
heit, zu welcher deren Kabinette zu gelangen suchen, augenscheinlich
guten Fortgang, und zwar in der Richtung, die unser Artikel ,,Großbulgarien"
andeutete, d. h. die Vereinigung Bulgariens mit Ostrnmclien geht der An¬
erkennung der Großmächte entgegen, und sie wird mit Zustimmung der Pforte
erfolgen, sobald mau die Union so gestaltet haben wird, daß sie sich mit den
Zwecken der Übereinkunft von 1873, soweit sie die genannten Teile des Bulgaren¬
landes betreffen, verträgt. Mau wird der Revolution vom 18. September
gleichsam die Giftzühne ausbrechen und ihr vorläufiges Ergebnis als nunmehr
ungefährlich und mit dem Ansehen der Unterzeichner des Friedensvertrages
von 1878 vereinbar fortbestehen lassen. Zu dieser Erledigung der Sache hat
der Fürst Alexander bereits die Hand geboten, indem er erklärt hat, daß die
Vereinigung des Südens von Bulgarien mit dem Norden nichts an dem bis-
herigen Verhältnisse beider Teile zu der Türkei ändern solle.

Seitdem hat Rußland auf die Note, mit welcher die Pforte an die Sig¬
natarmächte appellirte, geantwortet und erklärt, daß der bulgarische Staatsstreich
von dem Petersburger Kabinette gemißbilligt wird. Zugleich aber hat der Zar
der bulgarischen Deputation, die ihn in Kopenhagen aufsuchte, um ihm Auf¬
klärungen zu geben, die erbetene Audienz gewährt und sich ihr gegenüber in
einer Weise geäußert, welche sie befriedigte. Dabei ist zu beachten, daß der
russische Minister des Auswärtigen zweimal, auf der Hinreise nach Kopenhagen


Die Lcilkanstaatcn und die Großmächte.

derben würde, und daß die andern sagen würden: das ist nicht unser Pastor, den
haben wir nicht gewählt. Und so ist es wirklich gekommen. Aliendorf, sonst ein
harmloses und friedliches Nest, ist seit jener unseligen Wahlgeschichte außer Rand
und Band, und der arme Saupe ist nicht der Mann dazu, die Karre wieder ins
rechte Geleis zu bringen. Der Kirchenrendant aber sagt jeden Morgen und jeden
Abend: ,,Gott bewahre uns vor noch so einer Pfarrwahl. Wenn sie uns einen
schicken, hernach ist es gut, aber so? Seit der Dvnnerwetterwahl geht ja kein
Mensch mehr in die Kirche."

Hier lege ich meinen Stift nieder und schreibe nnter meine Skizze mit der
Ruhe eines guten Gewissens:


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Die Balkanstaaten und die Großmächte.

in Botschafter der Mächte, welche den Berliner Frieden verein¬
barten, sind in Konstantinopel zusammengetreten, um über eine
geignete Lösung der bulgarischen Frage zu beraten, und es scheint,
als ob ein dahin führender Weg bereits gefunden sei. Jedenfalls
nimmt die Verständigung der drei Kaiserreiche über die Angelegen¬
heit, zu welcher deren Kabinette zu gelangen suchen, augenscheinlich
guten Fortgang, und zwar in der Richtung, die unser Artikel ,,Großbulgarien"
andeutete, d. h. die Vereinigung Bulgariens mit Ostrnmclien geht der An¬
erkennung der Großmächte entgegen, und sie wird mit Zustimmung der Pforte
erfolgen, sobald mau die Union so gestaltet haben wird, daß sie sich mit den
Zwecken der Übereinkunft von 1873, soweit sie die genannten Teile des Bulgaren¬
landes betreffen, verträgt. Mau wird der Revolution vom 18. September
gleichsam die Giftzühne ausbrechen und ihr vorläufiges Ergebnis als nunmehr
ungefährlich und mit dem Ansehen der Unterzeichner des Friedensvertrages
von 1878 vereinbar fortbestehen lassen. Zu dieser Erledigung der Sache hat
der Fürst Alexander bereits die Hand geboten, indem er erklärt hat, daß die
Vereinigung des Südens von Bulgarien mit dem Norden nichts an dem bis-
herigen Verhältnisse beider Teile zu der Türkei ändern solle.

Seitdem hat Rußland auf die Note, mit welcher die Pforte an die Sig¬
natarmächte appellirte, geantwortet und erklärt, daß der bulgarische Staatsstreich
von dem Petersburger Kabinette gemißbilligt wird. Zugleich aber hat der Zar
der bulgarischen Deputation, die ihn in Kopenhagen aufsuchte, um ihm Auf¬
klärungen zu geben, die erbetene Audienz gewährt und sich ihr gegenüber in
einer Weise geäußert, welche sie befriedigte. Dabei ist zu beachten, daß der
russische Minister des Auswärtigen zweimal, auf der Hinreise nach Kopenhagen


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[0166] Die Lcilkanstaatcn und die Großmächte. derben würde, und daß die andern sagen würden: das ist nicht unser Pastor, den haben wir nicht gewählt. Und so ist es wirklich gekommen. Aliendorf, sonst ein harmloses und friedliches Nest, ist seit jener unseligen Wahlgeschichte außer Rand und Band, und der arme Saupe ist nicht der Mann dazu, die Karre wieder ins rechte Geleis zu bringen. Der Kirchenrendant aber sagt jeden Morgen und jeden Abend: ,,Gott bewahre uns vor noch so einer Pfarrwahl. Wenn sie uns einen schicken, hernach ist es gut, aber so? Seit der Dvnnerwetterwahl geht ja kein Mensch mehr in die Kirche." Hier lege ich meinen Stift nieder und schreibe nnter meine Skizze mit der Ruhe eines guten Gewissens: ?. !ni n»tur<un ilolinolivit Die Balkanstaaten und die Großmächte. in Botschafter der Mächte, welche den Berliner Frieden verein¬ barten, sind in Konstantinopel zusammengetreten, um über eine geignete Lösung der bulgarischen Frage zu beraten, und es scheint, als ob ein dahin führender Weg bereits gefunden sei. Jedenfalls nimmt die Verständigung der drei Kaiserreiche über die Angelegen¬ heit, zu welcher deren Kabinette zu gelangen suchen, augenscheinlich guten Fortgang, und zwar in der Richtung, die unser Artikel ,,Großbulgarien" andeutete, d. h. die Vereinigung Bulgariens mit Ostrnmclien geht der An¬ erkennung der Großmächte entgegen, und sie wird mit Zustimmung der Pforte erfolgen, sobald mau die Union so gestaltet haben wird, daß sie sich mit den Zwecken der Übereinkunft von 1873, soweit sie die genannten Teile des Bulgaren¬ landes betreffen, verträgt. Mau wird der Revolution vom 18. September gleichsam die Giftzühne ausbrechen und ihr vorläufiges Ergebnis als nunmehr ungefährlich und mit dem Ansehen der Unterzeichner des Friedensvertrages von 1878 vereinbar fortbestehen lassen. Zu dieser Erledigung der Sache hat der Fürst Alexander bereits die Hand geboten, indem er erklärt hat, daß die Vereinigung des Südens von Bulgarien mit dem Norden nichts an dem bis- herigen Verhältnisse beider Teile zu der Türkei ändern solle. Seitdem hat Rußland auf die Note, mit welcher die Pforte an die Sig¬ natarmächte appellirte, geantwortet und erklärt, daß der bulgarische Staatsstreich von dem Petersburger Kabinette gemißbilligt wird. Zugleich aber hat der Zar der bulgarischen Deputation, die ihn in Kopenhagen aufsuchte, um ihm Auf¬ klärungen zu geben, die erbetene Audienz gewährt und sich ihr gegenüber in einer Weise geäußert, welche sie befriedigte. Dabei ist zu beachten, daß der russische Minister des Auswärtigen zweimal, auf der Hinreise nach Kopenhagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/166>, abgerufen am 15.01.2025.