Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Der jüngste Berliner Skandalprozeß. die ganze Stadt; man hat nicht nur Noscnbvuquets der frechen Dirne auf ihrem Der öffentlichen Moral ist durch die Art, wie dieser Prozeß sich abspielte, Wer es ehrlich meint, der wird sich der letzten Tage in Berlin schämen. Über das Urteil selbst wollen wir nicht reden. Der Standpunkt dieser Es handelte sich in diesem Prozesse auch um den Vorwurf eines Mein¬ Der jüngste Berliner Skandalprozeß. die ganze Stadt; man hat nicht nur Noscnbvuquets der frechen Dirne auf ihrem Der öffentlichen Moral ist durch die Art, wie dieser Prozeß sich abspielte, Wer es ehrlich meint, der wird sich der letzten Tage in Berlin schämen. Über das Urteil selbst wollen wir nicht reden. Der Standpunkt dieser Es handelte sich in diesem Prozesse auch um den Vorwurf eines Mein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196890"/> <fw type="header" place="top"> Der jüngste Berliner Skandalprozeß.</fw><lb/> <p xml:id="ID_438" prev="#ID_437"> die ganze Stadt; man hat nicht nur Noscnbvuquets der frechen Dirne auf ihrem<lb/> Wege von der Zelle zum Gerichtssaal zugesteckt, sondern auch die Bilder der¬<lb/> selben und des Hauptangeklagten in Kuustläden ausgestellt und auf den Straßen<lb/> verkauft, und der letzte Abend der Verhandlung mit der erfolgenden Frei¬<lb/> sprechung gestaltete sich zu einem Volksschauspiele. Mit Rührung wurde geschildert,<lb/> wie die weiblichen Angeklagten, die das niedrigste Bild gegenseitigen Hasses und<lb/> lasterhafter Verkommenheit geboten hatten, eine zärtliche Fcunilienszene feierten.<lb/> Kurzum es war, als ob Paris mit allen seinen pornographischen Obszönitäten<lb/> an die Spree versetzt worden wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_439"> Der öffentlichen Moral ist durch die Art, wie dieser Prozeß sich abspielte,<lb/> ein schwerer Schlag versetzt worden, und es ist sehr die Frage, ob sie sich von<lb/> diesem auf die guten Sitten geübten Attentate je erholen wird. Das Man-<lb/> chestertum findet sich ja freilich leicht damit ab; es ist viel besser — heißt<lb/> es —, daß die Jugend von den Gefahren, die sie umgiebt, unterrichtet werde,<lb/> als daß mau sie im Dunkeln lasse. Zur Warnung der Jugend gehört aber<lb/> gewiß nicht, daß man ihre Sinne kitzelt und daß man sie gleich auf einmal<lb/> mit dem gauzeu Schmutz überwirft.</p><lb/> <p xml:id="ID_440"> Wer es ehrlich meint, der wird sich der letzten Tage in Berlin schämen.</p><lb/> <p xml:id="ID_441"> Über das Urteil selbst wollen wir nicht reden. Der Standpunkt dieser<lb/> Blätter über die Bedeutung und den Wert der Geschwornengerichte ist bekannt.<lb/> Auf eine Freisprechung mehr oder weniger kommt es nicht an, vorliegenden<lb/> Falles umso weniger, als die Geschwornen vielleicht durch die Art, wie Anklage<lb/> und Beweisaufnahme sich vor ihnen abspielten, auf eine irrige Fährte gelenkt<lb/> wurden. Nur zwei Punkte verdienen eine Erwägung.</p><lb/> <p xml:id="ID_442" next="#ID_443"> Es handelte sich in diesem Prozesse auch um den Vorwurf eines Mein¬<lb/> eides, welchen der Angeklagte in einer andern Verhandlung als Zeuge geleistet<lb/> haben sollte. Da zeigte es sich, daß nach unsrer Prozeßordnung eine Auf¬<lb/> zeichnung der Aussagen nicht stattfindet und daß man zur Feststellung derselben<lb/> auf die Vernehmung der mitwirkenden Gerichtspersonen angewiesen ist, die sich<lb/> ans ihrem Gedächtnis die Sache retonstruiren müssen. Vorliegenden Falles<lb/> war zwar uach unsrer Meinung der Thatbestand genügend aufgeklärt, obgleich<lb/> über den Wortlaut Zweifel entstehen konnten. Aber daß ein solcher Zweifel<lb/> nicht nur möglich ist, sondern jetzt sogar die Regel bilden wird, ist ein schwerer<lb/> Übelstand. Es wird jetzt gefährlich, ein Zeugnis vor Gericht abzulegen; denn<lb/> ein Zeuge, welcher leicht der Denunziation der unterliegenden Partei ausgesetzt<lb/> ist, hat kein authentisches Beweismittel für den Inhalt seiner Aussage. Das<lb/> glücklichste ist daun, daß er bei einer Anklage freigesprochen wird, aber diese<lb/> Freisprechung wird ihm dafür, daß er angeklagt worden ist, schwerlich eine ge¬<lb/> nügende Entschädigung bieten. Auch wird die Majestät der Justiz nicht gerade<lb/> gewinnen, wenn die Richter des frühern Prozesses als Zeugen verhört werden<lb/> müssen und einem Kreuzfeuer der Parteien ausgesetzt sind, um sich über ihre</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Der jüngste Berliner Skandalprozeß.
die ganze Stadt; man hat nicht nur Noscnbvuquets der frechen Dirne auf ihrem
Wege von der Zelle zum Gerichtssaal zugesteckt, sondern auch die Bilder der¬
selben und des Hauptangeklagten in Kuustläden ausgestellt und auf den Straßen
verkauft, und der letzte Abend der Verhandlung mit der erfolgenden Frei¬
sprechung gestaltete sich zu einem Volksschauspiele. Mit Rührung wurde geschildert,
wie die weiblichen Angeklagten, die das niedrigste Bild gegenseitigen Hasses und
lasterhafter Verkommenheit geboten hatten, eine zärtliche Fcunilienszene feierten.
Kurzum es war, als ob Paris mit allen seinen pornographischen Obszönitäten
an die Spree versetzt worden wäre.
Der öffentlichen Moral ist durch die Art, wie dieser Prozeß sich abspielte,
ein schwerer Schlag versetzt worden, und es ist sehr die Frage, ob sie sich von
diesem auf die guten Sitten geübten Attentate je erholen wird. Das Man-
chestertum findet sich ja freilich leicht damit ab; es ist viel besser — heißt
es —, daß die Jugend von den Gefahren, die sie umgiebt, unterrichtet werde,
als daß mau sie im Dunkeln lasse. Zur Warnung der Jugend gehört aber
gewiß nicht, daß man ihre Sinne kitzelt und daß man sie gleich auf einmal
mit dem gauzeu Schmutz überwirft.
Wer es ehrlich meint, der wird sich der letzten Tage in Berlin schämen.
Über das Urteil selbst wollen wir nicht reden. Der Standpunkt dieser
Blätter über die Bedeutung und den Wert der Geschwornengerichte ist bekannt.
Auf eine Freisprechung mehr oder weniger kommt es nicht an, vorliegenden
Falles umso weniger, als die Geschwornen vielleicht durch die Art, wie Anklage
und Beweisaufnahme sich vor ihnen abspielten, auf eine irrige Fährte gelenkt
wurden. Nur zwei Punkte verdienen eine Erwägung.
Es handelte sich in diesem Prozesse auch um den Vorwurf eines Mein¬
eides, welchen der Angeklagte in einer andern Verhandlung als Zeuge geleistet
haben sollte. Da zeigte es sich, daß nach unsrer Prozeßordnung eine Auf¬
zeichnung der Aussagen nicht stattfindet und daß man zur Feststellung derselben
auf die Vernehmung der mitwirkenden Gerichtspersonen angewiesen ist, die sich
ans ihrem Gedächtnis die Sache retonstruiren müssen. Vorliegenden Falles
war zwar uach unsrer Meinung der Thatbestand genügend aufgeklärt, obgleich
über den Wortlaut Zweifel entstehen konnten. Aber daß ein solcher Zweifel
nicht nur möglich ist, sondern jetzt sogar die Regel bilden wird, ist ein schwerer
Übelstand. Es wird jetzt gefährlich, ein Zeugnis vor Gericht abzulegen; denn
ein Zeuge, welcher leicht der Denunziation der unterliegenden Partei ausgesetzt
ist, hat kein authentisches Beweismittel für den Inhalt seiner Aussage. Das
glücklichste ist daun, daß er bei einer Anklage freigesprochen wird, aber diese
Freisprechung wird ihm dafür, daß er angeklagt worden ist, schwerlich eine ge¬
nügende Entschädigung bieten. Auch wird die Majestät der Justiz nicht gerade
gewinnen, wenn die Richter des frühern Prozesses als Zeugen verhört werden
müssen und einem Kreuzfeuer der Parteien ausgesetzt sind, um sich über ihre
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