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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Der jüngste Berliner Skandalprozeß.

Thaten und Reden zu glänzen, um gleich den übrigen Mitwirkenden in der
Presse genannt und gerühmt zu werden. Wer deshalb jetzt das Strafverfahren
ein Drama nennt, der steht der Erkenntnis der Sache nahe; denn es macht in
der That zuweilen den Eindruck, nicht als ob eine ernste Angelegenheit vom
Gericht verhandelt, sondern ein Schauspiel vor einem verehrlichen Publikum auf¬
geführt würde. Es scheint, als ob mit der "Robe" auch ein theatralischer Zug in
die Gerichtssäle eingedrungen sei, als ob wir nicht Richter, sondern Akteurs vor
uns hätten, wobei der Ruhm des einen Virtuosen den andern so lange nicht
schlafen läßt, bis er ihn übertrumpft hat.

Die Bestimmung des Gerichtsverfassuugsgesctzes über die Gestaltung des
Zutrittes für einzelne Personen hat aber noch niemals eine solche Auslegung
erfahren wie in dem vorliegenden Falle. Es liegt in dem Charakter der Vor¬
schrift als einer Ausnahme von der Regel, daß durch die Erlaubnis des Zu¬
tritts nicht der Ausschluß der Öffentlichkeit illusorisch gemacht wird. Wollte
z. B. ein Vorsitzender so vielen Personen den Zutritt gewähren, als der Ge¬
richtsraum fassen kann, so wäre das eine offenbare Umgehung des Gesetzes und
aufs strenste zu rügen. Eine gleiche Umgehung aber liegt vor, wenn durch
die getroffene Maßregel die Publikation der Verhandlung durch die Presse be¬
wirkt wird. Will deshalb der Vorsitzende auch einige Zeitungsberichterstatter
zulassen, so muß er es ihnen als Bedingung auferlegen, daß sie nur in sehr
bescheidener und diskreter Weise über die Verhandlungen berichten, und er muß
ihnen die Erlaubnis entziehen, wenn sie die ihnen gezogenen Grenzen über¬
schreiten. Vorliegenden Falles hätten die Einzelheiten des Prozesses nicht be¬
kannter werden können, wenn das Gericht die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen
hätte. Denn trotz dieses Beschlusses hat die Verhandlung thatsächlich vor ganz
Berlin stattgefunden. Es wurde den Berichterstattern sämtlicher Zeitungen
Berlins die Erlaubnis erteilt und wer keine erhielt, der konnte sich eine Ein¬
trittskarte nicht allzu schwer gegen Entgelt erwerben; denn man hat -- wie erzählt
wird -- vor den Thüren des Gerichtsgebändes denselben Billethcmdel getrieben,
den wir vor den Thüren der Theater leider allabendlich zu sehen gewohnt sind.

Eigentlich sollte es sich von selbst verstehen, daß, wenn die Verhandlung
keine öffentliche ist, eine Berichterstattung in den Zeitungen auch nicht statt¬
finden dürfe, sonst hat eben der Ausschluß keinen Sinn. In der That verbietet
das französische Recht in solchen Fällen anch diese Berichterstattung, ja die
Gerichte sind sogar ermächtigt, auch da, wo nicht S, Knif elos verhandelt wird,
den Zeitungen eine Veröffentlichung bei ernster Strafe zu untersagen. Leider
bestehen solche Verbote in Deutschland nicht; hier glaubte man den boni urorss
mehr vertrauen zu dürfen als den dor^s lege", allein die Zeiten, in denen Taeitus
diese glücklichen Zustünde bei den Deutschen rühmte, sind leider vorüber. Heute
sind weder die Gesetze noch die Sitten gut. Auch das Vertrauen auf die Vor¬
sicht des Vorsitzenden ist nicht ausreichend; die von ihm gewährte Erlaubnis


Grenzboten Vl. 1885. 19
Der jüngste Berliner Skandalprozeß.

Thaten und Reden zu glänzen, um gleich den übrigen Mitwirkenden in der
Presse genannt und gerühmt zu werden. Wer deshalb jetzt das Strafverfahren
ein Drama nennt, der steht der Erkenntnis der Sache nahe; denn es macht in
der That zuweilen den Eindruck, nicht als ob eine ernste Angelegenheit vom
Gericht verhandelt, sondern ein Schauspiel vor einem verehrlichen Publikum auf¬
geführt würde. Es scheint, als ob mit der „Robe" auch ein theatralischer Zug in
die Gerichtssäle eingedrungen sei, als ob wir nicht Richter, sondern Akteurs vor
uns hätten, wobei der Ruhm des einen Virtuosen den andern so lange nicht
schlafen läßt, bis er ihn übertrumpft hat.

Die Bestimmung des Gerichtsverfassuugsgesctzes über die Gestaltung des
Zutrittes für einzelne Personen hat aber noch niemals eine solche Auslegung
erfahren wie in dem vorliegenden Falle. Es liegt in dem Charakter der Vor¬
schrift als einer Ausnahme von der Regel, daß durch die Erlaubnis des Zu¬
tritts nicht der Ausschluß der Öffentlichkeit illusorisch gemacht wird. Wollte
z. B. ein Vorsitzender so vielen Personen den Zutritt gewähren, als der Ge¬
richtsraum fassen kann, so wäre das eine offenbare Umgehung des Gesetzes und
aufs strenste zu rügen. Eine gleiche Umgehung aber liegt vor, wenn durch
die getroffene Maßregel die Publikation der Verhandlung durch die Presse be¬
wirkt wird. Will deshalb der Vorsitzende auch einige Zeitungsberichterstatter
zulassen, so muß er es ihnen als Bedingung auferlegen, daß sie nur in sehr
bescheidener und diskreter Weise über die Verhandlungen berichten, und er muß
ihnen die Erlaubnis entziehen, wenn sie die ihnen gezogenen Grenzen über¬
schreiten. Vorliegenden Falles hätten die Einzelheiten des Prozesses nicht be¬
kannter werden können, wenn das Gericht die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen
hätte. Denn trotz dieses Beschlusses hat die Verhandlung thatsächlich vor ganz
Berlin stattgefunden. Es wurde den Berichterstattern sämtlicher Zeitungen
Berlins die Erlaubnis erteilt und wer keine erhielt, der konnte sich eine Ein¬
trittskarte nicht allzu schwer gegen Entgelt erwerben; denn man hat — wie erzählt
wird — vor den Thüren des Gerichtsgebändes denselben Billethcmdel getrieben,
den wir vor den Thüren der Theater leider allabendlich zu sehen gewohnt sind.

Eigentlich sollte es sich von selbst verstehen, daß, wenn die Verhandlung
keine öffentliche ist, eine Berichterstattung in den Zeitungen auch nicht statt¬
finden dürfe, sonst hat eben der Ausschluß keinen Sinn. In der That verbietet
das französische Recht in solchen Fällen anch diese Berichterstattung, ja die
Gerichte sind sogar ermächtigt, auch da, wo nicht S, Knif elos verhandelt wird,
den Zeitungen eine Veröffentlichung bei ernster Strafe zu untersagen. Leider
bestehen solche Verbote in Deutschland nicht; hier glaubte man den boni urorss
mehr vertrauen zu dürfen als den dor^s lege«, allein die Zeiten, in denen Taeitus
diese glücklichen Zustünde bei den Deutschen rühmte, sind leider vorüber. Heute
sind weder die Gesetze noch die Sitten gut. Auch das Vertrauen auf die Vor¬
sicht des Vorsitzenden ist nicht ausreichend; die von ihm gewährte Erlaubnis


Grenzboten Vl. 1885. 19
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[0153] Der jüngste Berliner Skandalprozeß. Thaten und Reden zu glänzen, um gleich den übrigen Mitwirkenden in der Presse genannt und gerühmt zu werden. Wer deshalb jetzt das Strafverfahren ein Drama nennt, der steht der Erkenntnis der Sache nahe; denn es macht in der That zuweilen den Eindruck, nicht als ob eine ernste Angelegenheit vom Gericht verhandelt, sondern ein Schauspiel vor einem verehrlichen Publikum auf¬ geführt würde. Es scheint, als ob mit der „Robe" auch ein theatralischer Zug in die Gerichtssäle eingedrungen sei, als ob wir nicht Richter, sondern Akteurs vor uns hätten, wobei der Ruhm des einen Virtuosen den andern so lange nicht schlafen läßt, bis er ihn übertrumpft hat. Die Bestimmung des Gerichtsverfassuugsgesctzes über die Gestaltung des Zutrittes für einzelne Personen hat aber noch niemals eine solche Auslegung erfahren wie in dem vorliegenden Falle. Es liegt in dem Charakter der Vor¬ schrift als einer Ausnahme von der Regel, daß durch die Erlaubnis des Zu¬ tritts nicht der Ausschluß der Öffentlichkeit illusorisch gemacht wird. Wollte z. B. ein Vorsitzender so vielen Personen den Zutritt gewähren, als der Ge¬ richtsraum fassen kann, so wäre das eine offenbare Umgehung des Gesetzes und aufs strenste zu rügen. Eine gleiche Umgehung aber liegt vor, wenn durch die getroffene Maßregel die Publikation der Verhandlung durch die Presse be¬ wirkt wird. Will deshalb der Vorsitzende auch einige Zeitungsberichterstatter zulassen, so muß er es ihnen als Bedingung auferlegen, daß sie nur in sehr bescheidener und diskreter Weise über die Verhandlungen berichten, und er muß ihnen die Erlaubnis entziehen, wenn sie die ihnen gezogenen Grenzen über¬ schreiten. Vorliegenden Falles hätten die Einzelheiten des Prozesses nicht be¬ kannter werden können, wenn das Gericht die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen hätte. Denn trotz dieses Beschlusses hat die Verhandlung thatsächlich vor ganz Berlin stattgefunden. Es wurde den Berichterstattern sämtlicher Zeitungen Berlins die Erlaubnis erteilt und wer keine erhielt, der konnte sich eine Ein¬ trittskarte nicht allzu schwer gegen Entgelt erwerben; denn man hat — wie erzählt wird — vor den Thüren des Gerichtsgebändes denselben Billethcmdel getrieben, den wir vor den Thüren der Theater leider allabendlich zu sehen gewohnt sind. Eigentlich sollte es sich von selbst verstehen, daß, wenn die Verhandlung keine öffentliche ist, eine Berichterstattung in den Zeitungen auch nicht statt¬ finden dürfe, sonst hat eben der Ausschluß keinen Sinn. In der That verbietet das französische Recht in solchen Fällen anch diese Berichterstattung, ja die Gerichte sind sogar ermächtigt, auch da, wo nicht S, Knif elos verhandelt wird, den Zeitungen eine Veröffentlichung bei ernster Strafe zu untersagen. Leider bestehen solche Verbote in Deutschland nicht; hier glaubte man den boni urorss mehr vertrauen zu dürfen als den dor^s lege«, allein die Zeiten, in denen Taeitus diese glücklichen Zustünde bei den Deutschen rühmte, sind leider vorüber. Heute sind weder die Gesetze noch die Sitten gut. Auch das Vertrauen auf die Vor¬ sicht des Vorsitzenden ist nicht ausreichend; die von ihm gewährte Erlaubnis Grenzboten Vl. 1885. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/153>, abgerufen am 15.01.2025.