Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Der jüngste Berliner Skcmdalprozeß. jedoch das Bedürfnis empfunden, in allen Fällen, bei welchen die öffentliche Der jüngste Berliner Skcmdalprozeß. jedoch das Bedürfnis empfunden, in allen Fällen, bei welchen die öffentliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196886"/> <fw type="header" place="top"> Der jüngste Berliner Skcmdalprozeß.</fw><lb/> <p xml:id="ID_428" prev="#ID_427" next="#ID_429"> jedoch das Bedürfnis empfunden, in allen Fällen, bei welchen die öffentliche<lb/> Ordnung (z. B. bei Landesverrat, Münzverbrechen) oder die guten Sitten ge¬<lb/> fährdet werden könnten, die Öffentlichkeit auszuschließen. Es bedarf eine solche<lb/> Bestimmung gewiß weder einer Erklärung, noch einer Rechtfertigung; das frühere<lb/> preußische Verfahre» kannte sachgemäß keine Ausnahme. Hatte das Gericht den<lb/> Ausschluß der Öffentlichkeit angeordnet, so war der Zutritt jedermann untersagt<lb/> und das Verhandelte konnte daher nur unter sehr erschwerenden Umständen und<lb/> meistens nur durch den Bruch der Amtsverschwiegenheit zur Kenntnis der<lb/> nichtbeteiligten Kreise gelangen. Als jedoch in dem letzten Jahrzehnt die Presse<lb/> zu derjenigen Macht wurde, welche für sich selbst die Befreiung von jeder<lb/> bürgerlichen Beschränkung als ein Postulat der Volkswohlfahrt verlangt, haben<lb/> die „Herren Vertreter der Presse" — man weiß, daß die Gerichtsreporter gerade<lb/> nicht zu den hervorragendem gehören — ihren eignen Ausschluß als sehr<lb/> drückend empfunden, und manche Gcrichtsvorsitzcnde haben sich sogar trotz des<lb/> gesetzlichen Verbotes dazu bewegen lassen, einzelnen Zeitungsberichterstattcrn den<lb/> Zutritt unter sehr einschränkenden Bedingungen für die Veröffentlichung<lb/> zu gewähren. Schon damals ging die Rede, daß sich die Reporter für<lb/> solche Gunst dankbar bewiesen und die Geschicklichkeit des Präsidenten, seinen Eifer<lb/> und seine Unparteilichkeit insbesondre auch durch die Wiedergabe seiner Reden<lb/> in das gebührende Licht setzten. Das neue deutsche Gcrichtsverfassungsgesctz<lb/> hat diese thatsächlich geübte Ausnahme zu einer gesetzlichen Regel umgewandelt,<lb/> indem dasselbe den Vorsitzenden geradezu ermächtigt, zu nicht öffentlichen Ver¬<lb/> handlungen einzelnen Personen den Zutritt zu gestatten. Das ist jedenfalls<lb/> keine glückliche Vorschrift, denn sie setzt den Vorsitzenden allerlei Vexationen aus<lb/> und giebt der Zudringlichkeit der Presse eine Legitimation, deren sich zu erwehren<lb/> immerhin eine gewisse Energie voraussetzt. Auch ist leider, wie schon früher<lb/> in diesen Blättern bemerkt wurde, die g-ura, xoMlg.ris, der Wunsch nach Po¬<lb/> pularität, nach Zeitungsberühmtheit bis in die Gerichtssäle gedrungen. Gar<lb/> oft wird vergessen, daß gerade die Schlichtheit, mit welcher ein Gericht die<lb/> Verhandlungen zu prüfen hat, die Ruhe und Objektivität, welche sich mich<lb/> durch die sensationellsten Ereignisse nicht erschüttern läßt, die größte Zierde der<lb/> Justiz bilden und auch ihres Eindruckes auf das Volk nicht ermangeln. Heut¬<lb/> zutage, wo kaum mehr ein Mensch existirt, dessen Name nicht in irgendeine<lb/> Zeitung gedrungen ist, ist die Verlockung für den Richter, der doch naturgemäß<lb/> außerhalb der Disknsswu der Tagespresse stehen soll, sich auch einmal in der<lb/> Öffentlichkeit zu einem berühmten Manne gestempelt zu sehen, sehr groß. Wenn<lb/> sich schon die Verteidiger veranlaßt sehen, weniger für den Gerichtssaal, als für<lb/> die Zeitungen und das Publikum zu sprechen, dann kann auch der Staatsanwalt<lb/> mit seinen Perorationen nicht zurückbleiben, und auch ein Vorsitzender, der bisher in<lb/> der Provinz ein stilles und pflichttreues Leben geführt hat, sieht sich nicht selten<lb/> bei der Leitung einer sensationellen Sache veranlaßt, ebenfalls durch besondre</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Der jüngste Berliner Skcmdalprozeß.
jedoch das Bedürfnis empfunden, in allen Fällen, bei welchen die öffentliche
Ordnung (z. B. bei Landesverrat, Münzverbrechen) oder die guten Sitten ge¬
fährdet werden könnten, die Öffentlichkeit auszuschließen. Es bedarf eine solche
Bestimmung gewiß weder einer Erklärung, noch einer Rechtfertigung; das frühere
preußische Verfahre» kannte sachgemäß keine Ausnahme. Hatte das Gericht den
Ausschluß der Öffentlichkeit angeordnet, so war der Zutritt jedermann untersagt
und das Verhandelte konnte daher nur unter sehr erschwerenden Umständen und
meistens nur durch den Bruch der Amtsverschwiegenheit zur Kenntnis der
nichtbeteiligten Kreise gelangen. Als jedoch in dem letzten Jahrzehnt die Presse
zu derjenigen Macht wurde, welche für sich selbst die Befreiung von jeder
bürgerlichen Beschränkung als ein Postulat der Volkswohlfahrt verlangt, haben
die „Herren Vertreter der Presse" — man weiß, daß die Gerichtsreporter gerade
nicht zu den hervorragendem gehören — ihren eignen Ausschluß als sehr
drückend empfunden, und manche Gcrichtsvorsitzcnde haben sich sogar trotz des
gesetzlichen Verbotes dazu bewegen lassen, einzelnen Zeitungsberichterstattcrn den
Zutritt unter sehr einschränkenden Bedingungen für die Veröffentlichung
zu gewähren. Schon damals ging die Rede, daß sich die Reporter für
solche Gunst dankbar bewiesen und die Geschicklichkeit des Präsidenten, seinen Eifer
und seine Unparteilichkeit insbesondre auch durch die Wiedergabe seiner Reden
in das gebührende Licht setzten. Das neue deutsche Gcrichtsverfassungsgesctz
hat diese thatsächlich geübte Ausnahme zu einer gesetzlichen Regel umgewandelt,
indem dasselbe den Vorsitzenden geradezu ermächtigt, zu nicht öffentlichen Ver¬
handlungen einzelnen Personen den Zutritt zu gestatten. Das ist jedenfalls
keine glückliche Vorschrift, denn sie setzt den Vorsitzenden allerlei Vexationen aus
und giebt der Zudringlichkeit der Presse eine Legitimation, deren sich zu erwehren
immerhin eine gewisse Energie voraussetzt. Auch ist leider, wie schon früher
in diesen Blättern bemerkt wurde, die g-ura, xoMlg.ris, der Wunsch nach Po¬
pularität, nach Zeitungsberühmtheit bis in die Gerichtssäle gedrungen. Gar
oft wird vergessen, daß gerade die Schlichtheit, mit welcher ein Gericht die
Verhandlungen zu prüfen hat, die Ruhe und Objektivität, welche sich mich
durch die sensationellsten Ereignisse nicht erschüttern läßt, die größte Zierde der
Justiz bilden und auch ihres Eindruckes auf das Volk nicht ermangeln. Heut¬
zutage, wo kaum mehr ein Mensch existirt, dessen Name nicht in irgendeine
Zeitung gedrungen ist, ist die Verlockung für den Richter, der doch naturgemäß
außerhalb der Disknsswu der Tagespresse stehen soll, sich auch einmal in der
Öffentlichkeit zu einem berühmten Manne gestempelt zu sehen, sehr groß. Wenn
sich schon die Verteidiger veranlaßt sehen, weniger für den Gerichtssaal, als für
die Zeitungen und das Publikum zu sprechen, dann kann auch der Staatsanwalt
mit seinen Perorationen nicht zurückbleiben, und auch ein Vorsitzender, der bisher in
der Provinz ein stilles und pflichttreues Leben geführt hat, sieht sich nicht selten
bei der Leitung einer sensationellen Sache veranlaßt, ebenfalls durch besondre
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