Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Der jüngste Berliner Skandalprozeß. besonders hervorgehoben, daß es leider die politischen Prozesse sind, an Nahezu ein und eine halbe Woche lang ist die Stadt Berlin durch Wir haben nicht die Absicht, den Inhalt dieser Gerichtsverhandlung hier Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen war eine Frage, die auf dem Der jüngste Berliner Skandalprozeß. besonders hervorgehoben, daß es leider die politischen Prozesse sind, an Nahezu ein und eine halbe Woche lang ist die Stadt Berlin durch Wir haben nicht die Absicht, den Inhalt dieser Gerichtsverhandlung hier Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen war eine Frage, die auf dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196885"/> <fw type="header" place="top"> Der jüngste Berliner Skandalprozeß.</fw><lb/> <p xml:id="ID_424" prev="#ID_423"> besonders hervorgehoben, daß es leider die politischen Prozesse sind, an<lb/> welchen die preußische Justiz Schiffbruch leidet. Heute haben wir dieselbe Er¬<lb/> fahrung bei einem nichtpolitischeu großen Prozesse zu konstatiren, und da wir<lb/> stets die Meinung vertreten haben, daß man, um ein Übel zu heilen, ihm offen<lb/> gegenüber treten und es nicht vertuschen müsse, so hoffen wir der Zustimmung<lb/> des Leserkreises dieser Zeitschrift sicher zu fein, wenn wir von einer andern<lb/> Seite diesem Gegenstande näher treten.</p><lb/> <p xml:id="ID_425"> Nahezu ein und eine halbe Woche lang ist die Stadt Berlin durch<lb/> einen Sittlichkeitsprozeß, der sich vor dem Schwurgerichte abspielte, in eine<lb/> außerordentliche Erregung versetzt worden. Diese ist auch durch die in- und<lb/> ausländische Presse in die weitesten Kreise getragen worden und hat eine gewisse<lb/> Ähnlichkeit mit jenem fieberhaften Zustande, der vor nicht lauger Zeit über<lb/> London, England und den Kontinent durch die bekannten Enthüllungen der<lb/> Rink <Fg.?se,t,s über den Jungfraueutribut des modernen Babylon herein¬<lb/> brach. Wer etwa damals in Deutschland und besonders in der Reichs-<lb/> hauptstadt in pharisäerhafter Weise sich an die Brust schlug und eine Genug-<lb/> thuung darüber empfand, daß die von der Londoner Zeitung geschilderte Sitten¬<lb/> verderbnis bei uns nicht vorhanden sei, der dürfte durch den Berliner Modell¬<lb/> prozeß zu seinem und unser aller Schaden eines bessern belehrt worden sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_426"> Wir haben nicht die Absicht, den Inhalt dieser Gerichtsverhandlung hier<lb/> zu erörtern, er bietet ein Bild trostlosester Versumpfung dar. Ein greiser<lb/> Künstler, Mitglied der Akademie der Künste, Gatte und Vater erwachsener Söhne<lb/> und Töchter, wird beschuldigt, mit jugendlichen weiblichen Modellen einen<lb/> unerlaubten Verkehr unterhalten und diesen bei Gelegenheit eines frühern<lb/> Prozesses als Zeuge eidlich in Abrede gestellt zu haben. Es ist leicht zu<lb/> verstehen, daß die Verhaftung dieses Mannes, der sich in den besten Kreisen<lb/> der Residenz eines hohen Ansehens erfreute, überall das höchste Befremde» und<lb/> in den zahlreichen Kttnstlerkreisen auch Bestürzung hervorrief. Allein während<lb/> der monatelangen, durch die Krankheit eines Hauptzeugen hingezogenen Unter¬<lb/> suchung drang nichts weiter in die Öffentlichkeit, und bei dem schnellen Leben<lb/> unsrer Zeit wäre wahrscheinlich auch dieser Fall, wie so viele gleichartige, ohne<lb/> besondres Aufsehen vorübergegangen. Daß dies nicht geschehen, daß der Schmutz,<lb/> welcher sich in dem Gerichtssaale aufhäufte und bis in das kleinste Detail da¬<lb/> selbst untersucht worden ist, sich auch über url)8 et c>ri>s verbreitet hat, dies<lb/> verdanken wir einer neueren gesetzlichen Bestimmung und einer auf Grund der¬<lb/> selben getroffenen Maßregel des Vorsitzenden dieses Schwurgerichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_427" next="#ID_428"> Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen war eine Frage, die auf dem<lb/> Kampfgebiete der neueren Prozeßrcfonngcsetze ehemals eine brennende gewesen<lb/> ist; sie ist heute längst gelöst und gehört zu jenen Dogmen, die nicht mehr<lb/> diskutirt werden, weil sie als Zugeständnis um den sogenannten Zeitgeist doch nicht<lb/> mehr rückgängig zu machen sind. In deu Gesetzgebungen aller Volker hat man</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0151]
Der jüngste Berliner Skandalprozeß.
besonders hervorgehoben, daß es leider die politischen Prozesse sind, an
welchen die preußische Justiz Schiffbruch leidet. Heute haben wir dieselbe Er¬
fahrung bei einem nichtpolitischeu großen Prozesse zu konstatiren, und da wir
stets die Meinung vertreten haben, daß man, um ein Übel zu heilen, ihm offen
gegenüber treten und es nicht vertuschen müsse, so hoffen wir der Zustimmung
des Leserkreises dieser Zeitschrift sicher zu fein, wenn wir von einer andern
Seite diesem Gegenstande näher treten.
Nahezu ein und eine halbe Woche lang ist die Stadt Berlin durch
einen Sittlichkeitsprozeß, der sich vor dem Schwurgerichte abspielte, in eine
außerordentliche Erregung versetzt worden. Diese ist auch durch die in- und
ausländische Presse in die weitesten Kreise getragen worden und hat eine gewisse
Ähnlichkeit mit jenem fieberhaften Zustande, der vor nicht lauger Zeit über
London, England und den Kontinent durch die bekannten Enthüllungen der
Rink <Fg.?se,t,s über den Jungfraueutribut des modernen Babylon herein¬
brach. Wer etwa damals in Deutschland und besonders in der Reichs-
hauptstadt in pharisäerhafter Weise sich an die Brust schlug und eine Genug-
thuung darüber empfand, daß die von der Londoner Zeitung geschilderte Sitten¬
verderbnis bei uns nicht vorhanden sei, der dürfte durch den Berliner Modell¬
prozeß zu seinem und unser aller Schaden eines bessern belehrt worden sein.
Wir haben nicht die Absicht, den Inhalt dieser Gerichtsverhandlung hier
zu erörtern, er bietet ein Bild trostlosester Versumpfung dar. Ein greiser
Künstler, Mitglied der Akademie der Künste, Gatte und Vater erwachsener Söhne
und Töchter, wird beschuldigt, mit jugendlichen weiblichen Modellen einen
unerlaubten Verkehr unterhalten und diesen bei Gelegenheit eines frühern
Prozesses als Zeuge eidlich in Abrede gestellt zu haben. Es ist leicht zu
verstehen, daß die Verhaftung dieses Mannes, der sich in den besten Kreisen
der Residenz eines hohen Ansehens erfreute, überall das höchste Befremde» und
in den zahlreichen Kttnstlerkreisen auch Bestürzung hervorrief. Allein während
der monatelangen, durch die Krankheit eines Hauptzeugen hingezogenen Unter¬
suchung drang nichts weiter in die Öffentlichkeit, und bei dem schnellen Leben
unsrer Zeit wäre wahrscheinlich auch dieser Fall, wie so viele gleichartige, ohne
besondres Aufsehen vorübergegangen. Daß dies nicht geschehen, daß der Schmutz,
welcher sich in dem Gerichtssaale aufhäufte und bis in das kleinste Detail da¬
selbst untersucht worden ist, sich auch über url)8 et c>ri>s verbreitet hat, dies
verdanken wir einer neueren gesetzlichen Bestimmung und einer auf Grund der¬
selben getroffenen Maßregel des Vorsitzenden dieses Schwurgerichts.
Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen war eine Frage, die auf dem
Kampfgebiete der neueren Prozeßrcfonngcsetze ehemals eine brennende gewesen
ist; sie ist heute längst gelöst und gehört zu jenen Dogmen, die nicht mehr
diskutirt werden, weil sie als Zugeständnis um den sogenannten Zeitgeist doch nicht
mehr rückgängig zu machen sind. In deu Gesetzgebungen aller Volker hat man
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