Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zeitnngsmnsik. seiner Zeit zurückbleiben und einer Meinung entgegentreten, die er bei alle", Eine der traurigsten Folgen der Reklame besteht in der großen Verschieden¬ Jüngere Musiker, die gar keinen Zweifel an der Berechtigung mancher D. Red. *) Und Schumann? Busens? Haben sie jemals "Reklame" gemacht? Grenzboten IV. 188S. 14
Zeitnngsmnsik. seiner Zeit zurückbleiben und einer Meinung entgegentreten, die er bei alle», Eine der traurigsten Folgen der Reklame besteht in der großen Verschieden¬ Jüngere Musiker, die gar keinen Zweifel an der Berechtigung mancher D. Red. *) Und Schumann? Busens? Haben sie jemals „Reklame" gemacht? Grenzboten IV. 188S. 14
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Zeitnngsmnsik.
seiner Zeit zurückbleiben und einer Meinung entgegentreten, die er bei alle»,
andern voraussetzt!
Eine der traurigsten Folgen der Reklame besteht in der großen Verschieden¬
heit der Urteile, die gar keine Vermittelung zuläßt und ein Gespräch über Zn-
tunftsmusik zu einer der bedenklichsten Unternehmungen macht. Die Verehrer
I. S. Bachs und die, welche der Offenbachschen Muse huldigen, können ihre
sehr entgegenstehenden Ansichten in der gemütlichsten Weise austauschen; ein
Gespräch aber z. B. über Wagner pflegt sehr bald einen bösartigen Charakter
anzunehmen, wenn die Meinungen nicht übereinstimmen. Irrtümlich wird darin
der Beweis für die große Bedeutung der streitigen Sache gefunden. Der Grund,
daß sich solche Diskussionen oft bis zur größten UnHöflichkeit steigern, ist viel¬
mehr darin zu suche«, daß die Streitenden in der entgegenstehenden Meinung
nicht sowohl eine Verschiedenheit der Geschmacksrichtung, die sie verzeihen würden,
als vielmehr eine Geringschätzung ihres Verstandes erblicken, die sie erbittert.
Gegner der Zukunftsmusik sind solche Personen, die zuerst hören und dann
darüber lesen; bei den Verehrern tritt stets der umgekehrte Fall ein, sie stützen
ihr Urteil direkt oder indirekt auf Broschüren und Zeitungsartikel, ohne zu be¬
denken, daß diese fast immer auf die Urheber der besprochenen Werke oder deren
Verleger zurückzuführen sind. Es giebt Personen, die behaupten, nur durch
nähere Bekanntschaft mit der Zukunftsmusik für dieselbe gewonnen worden zu sein.
Das ist aber Selbsttäuschung; sie haben nie ein ungünstiges Vorurteil gehabt. Es
bleibt stets peinlich, darauf aufmerksam zu machen (wenn es die Oper betrifft),
daß gedruckte Albernheiten doch nicht aufhören, solche zu sein, wenn sie auch
auf der Bühne dargestellt und gesungen werden. Schlimmer ist beinahe noch
die auch bei einzelnen musikalisch gebildeten Personen durch Gewohnheit herbei¬
geführte Toleranz gegen das harmonisch Unreine, welche die Folge ihrer Über-
zeugung von der Berechtigung desselben ist. Sie hat die Folge, daß ihnen
das Hanpterfvrdernis musikalischer Schönheit, die Reinheit, im Lichte der Ge¬
wöhnlichkeit, ja Schalden erscheint, sodaß bei ihnen schon eine Art milder Ge¬
ringschätzung damit verbunden ist, wenn sie eine Musik als „gesund" bezeichnen.
Man pflegt eine solche auch zuweilen „mendelssvhnisch" zu nennen, weil Mendels¬
sohn der letzte bedeutende Komponist war, welcher, alle Reklame verschmähend,
die Hörer allein durch die sogleich verständliche Schönheit seiner Kompositionen
gewann.*)
Jüngere Musiker, die gar keinen Zweifel an der Berechtigung mancher
musikalischen Ungeheuerlichkeiten haben, suchen diese nun fleißig'nachzuahmen,
in der Meinung, damit einem Zeitfortschritte zu huldigen. Dn aber bekanntlich
Mängel leichter nachzumachen siud als Vorzüge, so sind neuerdings eine Menge
Kompositionen, große und kleine, entstanden, welche wahrhaft in Erstaunen
setzen — ohne Melodie, ohne Form, aber voll harmonischer Unreinlichkeiten,
die noch dazu als geistreiche Würze oft mit sichtbarer Mühe hinzugefügt siud.
Es ist schon schwer zu begreifen, wie sie den Verfassern, noch weniger aber,
wie sie andern gefallen können. Dennoch haben sie ein, wenn auch mir kurzes
Leben durch die Zeitungen. Da das musikalische Publikum in jetziger Zeit viel
mehr Musikzeitungen liest als früher, so finden sich immer Personen, welche
das dreist Empfohlene kennen lernen wollen und in den Musikalienhandlungen
darnach fragen, was zur Folge hat, daß diese für ihre Leihinstitute dann ein
D. Red. *) Und Schumann? Busens? Haben sie jemals „Reklame" gemacht?
Grenzboten IV. 188S. 14
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