Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zeitungsmusik. sich auch an das Widerwärtigste gewöhnen können,*) besonders bei gutem Damit im Zusammenhange steht der zweite Satz: Alle gute und bedeutende Wie sehr bei der vorbereitenden Reklame das Goethische: "Willst du das 5) Ein weiterer schlagender Beweis dafür ist die gemeine Art, in der in unsrer ganzen
gegenwärtigen, Operetten- und Tanzmusik sogenannte durchgehende Noten in der Melodie festgehalten und zu Hnuptsinnnotcn gemacht werden. Es ist vhreuzerreißcnd! Aber der große Hause hört eS in seinen Fiiufzigpfeunigkouzertc" mit dem größten Behage und oh die nne Die Red. leiseste Ahnung von der Scheußlichkeit der Sache an. Zeitungsmusik. sich auch an das Widerwärtigste gewöhnen können,*) besonders bei gutem Damit im Zusammenhange steht der zweite Satz: Alle gute und bedeutende Wie sehr bei der vorbereitenden Reklame das Goethische: „Willst du das 5) Ein weiterer schlagender Beweis dafür ist die gemeine Art, in der in unsrer ganzen
gegenwärtigen, Operetten- und Tanzmusik sogenannte durchgehende Noten in der Melodie festgehalten und zu Hnuptsinnnotcn gemacht werden. Es ist vhreuzerreißcnd! Aber der große Hause hört eS in seinen Fiiufzigpfeunigkouzertc« mit dem größten Behage und oh die nne Die Red. leiseste Ahnung von der Scheußlichkeit der Sache an. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196842"/> <fw type="header" place="top"> Zeitungsmusik.</fw><lb/> <p xml:id="ID_281" prev="#ID_280"> sich auch an das Widerwärtigste gewöhnen können,*) besonders bei gutem<lb/> Glauben an seine Berechtigung, Diese traurige Gewöhnung wird dann häufig,<lb/> sehr irrtümlich, mit dem Worte „Verständnis" bezeichnet. Es ist aus diesem<lb/> Grunde, was Reinheit und Zusammenhang einer Komposition anbetrifft, der<lb/> erste Eindruck der richtigste, eine vollkommene Ausführung natürlich voraus¬<lb/> gesetzt. Wenn darauf hingewiesen wird, daß bedeutende Komponisten sich große<lb/> harmonische Härten erlaubt haben, so ist die Thatsache zwar richtig, aber sie<lb/> sind dazu stets durch zwingende Gründe veranlaßt worden, nie haben sie sich<lb/> die Härten ihrer selbst wegen erlaubt. Auch ist der Schluß doch überkühn:<lb/> alle übelklingende Musik ist berechtigt, wenn ihr Urheber nur die Vorsicht ge¬<lb/> braucht, sich als „Genie" zu prollamiren. Oder: weil Beethoven zuweilen nicht<lb/> gleich verstanden wurde, ist jeder, welcher unverständliche Musik macht, ein<lb/> Beethoven! Zu solchen Behauptungen ist es in der That gekommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_282"> Damit im Zusammenhange steht der zweite Satz: Alle gute und bedeutende<lb/> Musik hat zuerst nicht gefallen. Das ist einfach unwahr. Nichts ist unge¬<lb/> sunder als die Meinung, sofort Ansprechendes sei stets oberflächlich. Es ist<lb/> historisch nachweisbar, daß die anerkannt größten Meisterwerke die Hörer sofort<lb/> gefesselt haben, natürlich immer eine genügende Ausführung vorausgesetzt, die<lb/> leider zuerst nicht immer zu erlangen war. Man muß sich daran erinnern,<lb/> daß bei der ersten Aufführung des Don Giovanni die Ouvertüre ohne Probe<lb/> gespielt wurde; und nun halte man dagegen die Mühe und Qual, welche manche<lb/> neue Oper den Ausübenden bereitet, denen dann noch oft genug das Unge¬<lb/> nügende ihrer Leistungen vorgeworfen wird! Daß nähere Bekanntschaft mit<lb/> einer Komposition das Urteil über dieselbe verändern kann, ist sicher, denn<lb/> Gefallen und Urteil sind ganz verschiedne Dinge. Beethovens „Eroiea" wurde<lb/> durch die Kapelle des Fürsten Lobkowitz auf Wunsch des anwesenden Prinzen<lb/> Louis Ferdinand an demselben Abend dreimal gespielt! Gewiß ein großer Er¬<lb/> folg. Dennoch fällt es dem trefflichen, von Beethoven hochgeschützten Rochlitz bei<lb/> der Rezension dieser Symphonie, trotz der hohen Anerkennung, welche er ihr<lb/> zollt, garnicht ein, sie einer von Mozart an die Seite zu setzen, da er diesen<lb/> stets als Muster empfiehlt; ja er druckt ganz unbefangen die seiner Meinung<lb/> nach nötigen Verbesserungen in Noten ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_283"> Wie sehr bei der vorbereitenden Reklame das Goethische: „Willst du das<lb/> Volk betrügen, so mach' es nur nicht sein," befolgt wird, zeige ein Beispiel.<lb/> Schon im Herbst 1881 sprach sich die Begeisterung von Agenten in entschiedncr<lb/> Weise sür den „Parsifal" aus, musikalische Zeitungen waren mit vorbereitenden<lb/> Studien angefüllt, „Leitfaden" lagen in den Musikalienhandlungen zum Ver¬<lb/> kauf, und doch erschien das Werk erst im Juni 1882! Da alle diese Schrift¬<lb/> stücke mit Notenbeispiclen versehen waren (teilweise von der Art, daß man an<lb/> absichtliche Ironie glauben konnte), so konnte sich der einfachste Verstand sagen,<lb/> daß alle diese Dinge doch nur von dem Komponisten selbst herrühren konnten,<lb/> wenn auch in der Form eines Stückes mit verteilten Rollen; dennoch waren<lb/> eine Menge Personen in dem naiven Glauben, daß sich durch diese Markt¬<lb/> schreierei eine in der Luft schwebende allgemeine Begeisterung dvknmentire.</p><lb/> <note xml:id="FID_7" place="foot"> 5) Ein weiterer schlagender Beweis dafür ist die gemeine Art, in der in unsrer ganzen<lb/> gegenwärtigen, Operetten- und Tanzmusik sogenannte durchgehende Noten in der Melodie<lb/> festgehalten und zu Hnuptsinnnotcn gemacht werden. Es ist vhreuzerreißcnd! Aber der große<lb/> Hause hört eS in seinen Fiiufzigpfeunigkouzertc« mit dem größten Behage und oh die<lb/><note type="byline"> nne<lb/> Die Red.</note> leiseste Ahnung von der Scheußlichkeit der Sache an. </note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Zeitungsmusik.
sich auch an das Widerwärtigste gewöhnen können,*) besonders bei gutem
Glauben an seine Berechtigung, Diese traurige Gewöhnung wird dann häufig,
sehr irrtümlich, mit dem Worte „Verständnis" bezeichnet. Es ist aus diesem
Grunde, was Reinheit und Zusammenhang einer Komposition anbetrifft, der
erste Eindruck der richtigste, eine vollkommene Ausführung natürlich voraus¬
gesetzt. Wenn darauf hingewiesen wird, daß bedeutende Komponisten sich große
harmonische Härten erlaubt haben, so ist die Thatsache zwar richtig, aber sie
sind dazu stets durch zwingende Gründe veranlaßt worden, nie haben sie sich
die Härten ihrer selbst wegen erlaubt. Auch ist der Schluß doch überkühn:
alle übelklingende Musik ist berechtigt, wenn ihr Urheber nur die Vorsicht ge¬
braucht, sich als „Genie" zu prollamiren. Oder: weil Beethoven zuweilen nicht
gleich verstanden wurde, ist jeder, welcher unverständliche Musik macht, ein
Beethoven! Zu solchen Behauptungen ist es in der That gekommen.
Damit im Zusammenhange steht der zweite Satz: Alle gute und bedeutende
Musik hat zuerst nicht gefallen. Das ist einfach unwahr. Nichts ist unge¬
sunder als die Meinung, sofort Ansprechendes sei stets oberflächlich. Es ist
historisch nachweisbar, daß die anerkannt größten Meisterwerke die Hörer sofort
gefesselt haben, natürlich immer eine genügende Ausführung vorausgesetzt, die
leider zuerst nicht immer zu erlangen war. Man muß sich daran erinnern,
daß bei der ersten Aufführung des Don Giovanni die Ouvertüre ohne Probe
gespielt wurde; und nun halte man dagegen die Mühe und Qual, welche manche
neue Oper den Ausübenden bereitet, denen dann noch oft genug das Unge¬
nügende ihrer Leistungen vorgeworfen wird! Daß nähere Bekanntschaft mit
einer Komposition das Urteil über dieselbe verändern kann, ist sicher, denn
Gefallen und Urteil sind ganz verschiedne Dinge. Beethovens „Eroiea" wurde
durch die Kapelle des Fürsten Lobkowitz auf Wunsch des anwesenden Prinzen
Louis Ferdinand an demselben Abend dreimal gespielt! Gewiß ein großer Er¬
folg. Dennoch fällt es dem trefflichen, von Beethoven hochgeschützten Rochlitz bei
der Rezension dieser Symphonie, trotz der hohen Anerkennung, welche er ihr
zollt, garnicht ein, sie einer von Mozart an die Seite zu setzen, da er diesen
stets als Muster empfiehlt; ja er druckt ganz unbefangen die seiner Meinung
nach nötigen Verbesserungen in Noten ab.
Wie sehr bei der vorbereitenden Reklame das Goethische: „Willst du das
Volk betrügen, so mach' es nur nicht sein," befolgt wird, zeige ein Beispiel.
Schon im Herbst 1881 sprach sich die Begeisterung von Agenten in entschiedncr
Weise sür den „Parsifal" aus, musikalische Zeitungen waren mit vorbereitenden
Studien angefüllt, „Leitfaden" lagen in den Musikalienhandlungen zum Ver¬
kauf, und doch erschien das Werk erst im Juni 1882! Da alle diese Schrift¬
stücke mit Notenbeispiclen versehen waren (teilweise von der Art, daß man an
absichtliche Ironie glauben konnte), so konnte sich der einfachste Verstand sagen,
daß alle diese Dinge doch nur von dem Komponisten selbst herrühren konnten,
wenn auch in der Form eines Stückes mit verteilten Rollen; dennoch waren
eine Menge Personen in dem naiven Glauben, daß sich durch diese Markt¬
schreierei eine in der Luft schwebende allgemeine Begeisterung dvknmentire.
5) Ein weiterer schlagender Beweis dafür ist die gemeine Art, in der in unsrer ganzen
gegenwärtigen, Operetten- und Tanzmusik sogenannte durchgehende Noten in der Melodie
festgehalten und zu Hnuptsinnnotcn gemacht werden. Es ist vhreuzerreißcnd! Aber der große
Hause hört eS in seinen Fiiufzigpfeunigkouzertc« mit dem größten Behage und oh die
nne
Die Red. leiseste Ahnung von der Scheußlichkeit der Sache an.
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