Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die proportionale Bernfsklasscmvahl. und der Erkenntnis Platz machen, daß es gilt, mit Hilfe dieser Gewalt positive Es zeugt wirklich von harmloser Selbsttäuschung, wenn man es immer Die proportionale Bernfsklasscmvahl. und der Erkenntnis Platz machen, daß es gilt, mit Hilfe dieser Gewalt positive Es zeugt wirklich von harmloser Selbsttäuschung, wenn man es immer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196744"/> <fw type="header" place="top"> Die proportionale Bernfsklasscmvahl.</fw><lb/> <p xml:id="ID_11" prev="#ID_10"> und der Erkenntnis Platz machen, daß es gilt, mit Hilfe dieser Gewalt positive<lb/> Reformen herbeizuführen." Auch die konservative und die Zentrumspresfc ging<lb/> auf eine sachliche Analyse der Erscheinung nicht ein, die fortschrittliche erblickte<lb/> natürlich in den Maßnahmen der Regierung die Wurzel alles Übels. Nirgends<lb/> wurde ein ur<Z!^ <nil>ni gehört. Mancherortcn hoffte man auch noch, die<lb/> sozialistischen Wähler durch kleine Zugeständnisse für ein Wahlbündnis zu ge¬<lb/> winnen. In dieser Hinsicht blieben die Bemühungen der konservativen oder<lb/> gemäßigt-liberalen Fraktionen durchaus erfolglos. Die Stichwahlen ließen viel¬<lb/> mehr deutlich erkennen, daß die Sozialdemokratie nicht geneigt war, mit den<lb/> gemäßigten Elementen der Nation zu Pallirer, und daß sie überall da, wo sie<lb/> ihre eignen Kandidaten nicht durchzubringen vermochte, ihren Anhängern ent¬<lb/> weder die Stimmenthaltung anbefahl oder diejenigen Volksvertreter unterstützte,<lb/> welche mit dem gegenwärtigen Regierungssystem in offner Fehde liegen. Ein<lb/> eklatantes Beispiel für die Disziplin der Umsturzpartei war die Wahl Virchows<lb/> im zweiten Berliner Wahlkreise, auf den in der Stichwahl ein Mehr von etwa<lb/> 9000 Stimmen fiel, d. h. ungefähr dieselbe Zahl, welche der sozialdemokra¬<lb/> tische Kandidat Tutzauer bei der ersten Wahl erreicht hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_12"> Es zeugt wirklich von harmloser Selbsttäuschung, wenn man es immer<lb/> noch für möglich hält, die Sozialdemokraten zu gewinnen oder doch ihren An¬<lb/> hang durch partielle Zugeständnisse zu verringern. Die Unausführbarkeit solcher<lb/> Gedanken liegt nicht nur in den zersetzenden Theorien ihrer Lehre, welche einen<lb/> Kompromiß ausschließen, sondern vor allem in dem Unwesen der Agitation,<lb/> welche geflissentlich darauf bedacht ist, die durchwühlten Massen von den andern<lb/> Klassen der Bevölkerung abzuschneiden. Selbst ernstgemeinte und wohldurch¬<lb/> dachte Verheißungen gelangen garnicht an das Ohr derer, für die sie bestimmt<lb/> sind. Diese lesen nur die Blätter, die Haß und Aufruhr predigen, hören nur<lb/> auf die schmeichelnden Stimmen, die ihnen das Unmögliche versprechen. Die<lb/> sozialistischen Führer und Verführer sind aber selbst unfähig und unwillig zur<lb/> Mitwirkung an irgend einer sozialen Reform. Dies kann nicht stark genug<lb/> betont werden. Ihnen liegt nichts an der systematischen und langsamen Auf¬<lb/> besserung einer ziemlich allgemein anerkannten Notlage der arbeitenden Klassen.<lb/> Sie denken uicht an eine ernste Mitarbeiterschaft bei der Gesetzgebung. Das<lb/> Mandat zum Reichstage hat für sie nur den Wert, ihre Angriffe auf die be¬<lb/> stehende Ordnung unter dem Schutze persönlicher Integrität öffentlich ausführen<lb/> zu können und während der Dauer der Session vor dein Staatsanwalte sicher<lb/> zu sein. Im Jahre 1869 erklärte Liebknecht in einer Arbeitcrversammlnng,<lb/> der Reichstag sei nicht einmal für die rein agitatorische Wirksamkeit gut genug.<lb/> „Ich halte es, sagte er, nicht bloß für ehrenvoller, sondern auch für ersprie߬<lb/> licher, in einer Versammlung rechtschaffner Arbeiter zu reden als in jener zu¬<lb/> sammengelaufenen Gesellschaft von Junkern, Apostaten und Nullen, die »Reichs¬<lb/> tag« genannt wird."</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Die proportionale Bernfsklasscmvahl.
und der Erkenntnis Platz machen, daß es gilt, mit Hilfe dieser Gewalt positive
Reformen herbeizuführen." Auch die konservative und die Zentrumspresfc ging
auf eine sachliche Analyse der Erscheinung nicht ein, die fortschrittliche erblickte
natürlich in den Maßnahmen der Regierung die Wurzel alles Übels. Nirgends
wurde ein ur<Z!^ <nil>ni gehört. Mancherortcn hoffte man auch noch, die
sozialistischen Wähler durch kleine Zugeständnisse für ein Wahlbündnis zu ge¬
winnen. In dieser Hinsicht blieben die Bemühungen der konservativen oder
gemäßigt-liberalen Fraktionen durchaus erfolglos. Die Stichwahlen ließen viel¬
mehr deutlich erkennen, daß die Sozialdemokratie nicht geneigt war, mit den
gemäßigten Elementen der Nation zu Pallirer, und daß sie überall da, wo sie
ihre eignen Kandidaten nicht durchzubringen vermochte, ihren Anhängern ent¬
weder die Stimmenthaltung anbefahl oder diejenigen Volksvertreter unterstützte,
welche mit dem gegenwärtigen Regierungssystem in offner Fehde liegen. Ein
eklatantes Beispiel für die Disziplin der Umsturzpartei war die Wahl Virchows
im zweiten Berliner Wahlkreise, auf den in der Stichwahl ein Mehr von etwa
9000 Stimmen fiel, d. h. ungefähr dieselbe Zahl, welche der sozialdemokra¬
tische Kandidat Tutzauer bei der ersten Wahl erreicht hatte.
Es zeugt wirklich von harmloser Selbsttäuschung, wenn man es immer
noch für möglich hält, die Sozialdemokraten zu gewinnen oder doch ihren An¬
hang durch partielle Zugeständnisse zu verringern. Die Unausführbarkeit solcher
Gedanken liegt nicht nur in den zersetzenden Theorien ihrer Lehre, welche einen
Kompromiß ausschließen, sondern vor allem in dem Unwesen der Agitation,
welche geflissentlich darauf bedacht ist, die durchwühlten Massen von den andern
Klassen der Bevölkerung abzuschneiden. Selbst ernstgemeinte und wohldurch¬
dachte Verheißungen gelangen garnicht an das Ohr derer, für die sie bestimmt
sind. Diese lesen nur die Blätter, die Haß und Aufruhr predigen, hören nur
auf die schmeichelnden Stimmen, die ihnen das Unmögliche versprechen. Die
sozialistischen Führer und Verführer sind aber selbst unfähig und unwillig zur
Mitwirkung an irgend einer sozialen Reform. Dies kann nicht stark genug
betont werden. Ihnen liegt nichts an der systematischen und langsamen Auf¬
besserung einer ziemlich allgemein anerkannten Notlage der arbeitenden Klassen.
Sie denken uicht an eine ernste Mitarbeiterschaft bei der Gesetzgebung. Das
Mandat zum Reichstage hat für sie nur den Wert, ihre Angriffe auf die be¬
stehende Ordnung unter dem Schutze persönlicher Integrität öffentlich ausführen
zu können und während der Dauer der Session vor dein Staatsanwalte sicher
zu sein. Im Jahre 1869 erklärte Liebknecht in einer Arbeitcrversammlnng,
der Reichstag sei nicht einmal für die rein agitatorische Wirksamkeit gut genug.
„Ich halte es, sagte er, nicht bloß für ehrenvoller, sondern auch für ersprie߬
licher, in einer Versammlung rechtschaffner Arbeiter zu reden als in jener zu¬
sammengelaufenen Gesellschaft von Junkern, Apostaten und Nullen, die »Reichs¬
tag« genannt wird."
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