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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Sommerfrische in Tirol.

Hier verdoppelte sich die Pracht der Aussicht; nicht nur sahen wir von hier
aus die weißgrauen, kühlen Dolomiten noch besser, sondern der ganze Alpen-
kamm von dem fernen Großglockner im Nordosten bis zu dem Ortler im fernen
Westen lag vor uns; die ganze Kette der hohen Tauern, die Zillerthaler, Ötz-
thaler und Stubaier Ferner mit ihren Weißen Köpfen, Hunderte von Berg¬
gipfeln, kurz, der größte Teil von Tirol ist hier mit einem Blicke zu sehen.
Es ist ein unbeschreiblicher Eindruck, den man hier, hoch über den Wohnstätten
der Menschen, von der Natur der Alpen empfängt, deren Großartigkeit seltsam
zu dem Mandarinenhochmut der kleinen Menschlein kontrastirt, die unten die
Thäler bevölkern! Wir konnten uns nicht satt sehen an dieser Pracht. Einen
besondern Neiz boten noch die riesenhaften Schatten, welche die Spitzen nach
dem Eisackthcile stundenlang werfen. Und drunten war es längst dunkel, während
wir noch im Sonnenschein standen.

Die Kassiansspitze halten die besten Kenner Tirols sür einen, wenn nicht
für den schönsten Punkt des Landes, und in der That möchte sich kein zweiter
Punkt finden, an dem man die Großartigkeit der Alpenhöhen und zugleich die
Lieblichkeit der Thäler in so umfassender Weise genießt. Trotzdem ist dieselbe
noch wenig bekannt; im Jahre 1883 waren nur etwa dreißig bis vierzig Be¬
sucher oben gewesen, im vorigen Jahre steigerte sich derselbe, und sie wird je
bekannter, umso besuchter werdeu. Der Besuch fordert für bequeme Leute (anch
für rüstige Damen ist es keine außerordentliche Anstrengung), die sich nicht
übernehmen wollen und die besten Stunden wählen können, von Klausen hin
und zurück zwei Tage; deu Abstieg kann man vom Kreuze aus auch unes
Durnholz nehmen, das im Tauferer Thale mündet, und in diesem nach Bozen
gelangen.

So eignet sich Klausen in hervorragender Weise gut zum festen Sitze für
die Sommerfrische wie als Standquartier für Fuszwandrer, die von hier aus
Hochgebirgstouren unternehmen wollen. Dazu sind die Preise so bescheiden,
daß man auch zu Hause in Mitteldeutschland garnicht billiger leben kann.
Es sei deshalb der bescheidne, aber dankbare Ort mit seinein "Landt" und der
liebenswürdigen Kantivlerschen Familie allen Erholungsbedürftigen, die nicht
immer in großen Hotels wohnen "vollen, und allen rüstigen Fnßwandrern,
die einen bequemen Standort für Touren aller Art suchen, aufs angelegent¬
lichste empfohlen.




Sommerfrische in Tirol.

Hier verdoppelte sich die Pracht der Aussicht; nicht nur sahen wir von hier
aus die weißgrauen, kühlen Dolomiten noch besser, sondern der ganze Alpen-
kamm von dem fernen Großglockner im Nordosten bis zu dem Ortler im fernen
Westen lag vor uns; die ganze Kette der hohen Tauern, die Zillerthaler, Ötz-
thaler und Stubaier Ferner mit ihren Weißen Köpfen, Hunderte von Berg¬
gipfeln, kurz, der größte Teil von Tirol ist hier mit einem Blicke zu sehen.
Es ist ein unbeschreiblicher Eindruck, den man hier, hoch über den Wohnstätten
der Menschen, von der Natur der Alpen empfängt, deren Großartigkeit seltsam
zu dem Mandarinenhochmut der kleinen Menschlein kontrastirt, die unten die
Thäler bevölkern! Wir konnten uns nicht satt sehen an dieser Pracht. Einen
besondern Neiz boten noch die riesenhaften Schatten, welche die Spitzen nach
dem Eisackthcile stundenlang werfen. Und drunten war es längst dunkel, während
wir noch im Sonnenschein standen.

Die Kassiansspitze halten die besten Kenner Tirols sür einen, wenn nicht
für den schönsten Punkt des Landes, und in der That möchte sich kein zweiter
Punkt finden, an dem man die Großartigkeit der Alpenhöhen und zugleich die
Lieblichkeit der Thäler in so umfassender Weise genießt. Trotzdem ist dieselbe
noch wenig bekannt; im Jahre 1883 waren nur etwa dreißig bis vierzig Be¬
sucher oben gewesen, im vorigen Jahre steigerte sich derselbe, und sie wird je
bekannter, umso besuchter werdeu. Der Besuch fordert für bequeme Leute (anch
für rüstige Damen ist es keine außerordentliche Anstrengung), die sich nicht
übernehmen wollen und die besten Stunden wählen können, von Klausen hin
und zurück zwei Tage; deu Abstieg kann man vom Kreuze aus auch unes
Durnholz nehmen, das im Tauferer Thale mündet, und in diesem nach Bozen
gelangen.

So eignet sich Klausen in hervorragender Weise gut zum festen Sitze für
die Sommerfrische wie als Standquartier für Fuszwandrer, die von hier aus
Hochgebirgstouren unternehmen wollen. Dazu sind die Preise so bescheiden,
daß man auch zu Hause in Mitteldeutschland garnicht billiger leben kann.
Es sei deshalb der bescheidne, aber dankbare Ort mit seinein „Landt" und der
liebenswürdigen Kantivlerschen Familie allen Erholungsbedürftigen, die nicht
immer in großen Hotels wohnen »vollen, und allen rüstigen Fnßwandrern,
die einen bequemen Standort für Touren aller Art suchen, aufs angelegent¬
lichste empfohlen.




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[0091] Sommerfrische in Tirol. Hier verdoppelte sich die Pracht der Aussicht; nicht nur sahen wir von hier aus die weißgrauen, kühlen Dolomiten noch besser, sondern der ganze Alpen- kamm von dem fernen Großglockner im Nordosten bis zu dem Ortler im fernen Westen lag vor uns; die ganze Kette der hohen Tauern, die Zillerthaler, Ötz- thaler und Stubaier Ferner mit ihren Weißen Köpfen, Hunderte von Berg¬ gipfeln, kurz, der größte Teil von Tirol ist hier mit einem Blicke zu sehen. Es ist ein unbeschreiblicher Eindruck, den man hier, hoch über den Wohnstätten der Menschen, von der Natur der Alpen empfängt, deren Großartigkeit seltsam zu dem Mandarinenhochmut der kleinen Menschlein kontrastirt, die unten die Thäler bevölkern! Wir konnten uns nicht satt sehen an dieser Pracht. Einen besondern Neiz boten noch die riesenhaften Schatten, welche die Spitzen nach dem Eisackthcile stundenlang werfen. Und drunten war es längst dunkel, während wir noch im Sonnenschein standen. Die Kassiansspitze halten die besten Kenner Tirols sür einen, wenn nicht für den schönsten Punkt des Landes, und in der That möchte sich kein zweiter Punkt finden, an dem man die Großartigkeit der Alpenhöhen und zugleich die Lieblichkeit der Thäler in so umfassender Weise genießt. Trotzdem ist dieselbe noch wenig bekannt; im Jahre 1883 waren nur etwa dreißig bis vierzig Be¬ sucher oben gewesen, im vorigen Jahre steigerte sich derselbe, und sie wird je bekannter, umso besuchter werdeu. Der Besuch fordert für bequeme Leute (anch für rüstige Damen ist es keine außerordentliche Anstrengung), die sich nicht übernehmen wollen und die besten Stunden wählen können, von Klausen hin und zurück zwei Tage; deu Abstieg kann man vom Kreuze aus auch unes Durnholz nehmen, das im Tauferer Thale mündet, und in diesem nach Bozen gelangen. So eignet sich Klausen in hervorragender Weise gut zum festen Sitze für die Sommerfrische wie als Standquartier für Fuszwandrer, die von hier aus Hochgebirgstouren unternehmen wollen. Dazu sind die Preise so bescheiden, daß man auch zu Hause in Mitteldeutschland garnicht billiger leben kann. Es sei deshalb der bescheidne, aber dankbare Ort mit seinein „Landt" und der liebenswürdigen Kantivlerschen Familie allen Erholungsbedürftigen, die nicht immer in großen Hotels wohnen »vollen, und allen rüstigen Fnßwandrern, die einen bequemen Standort für Touren aller Art suchen, aufs angelegent¬ lichste empfohlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/91>, abgerufen am 28.07.2024.