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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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nördlichen Seite, wo das Innthal, dus Zillerthal n. a. im Sommer vou Nord¬
deutschen bevölkert und oft genug überfüllt sind. Aber schöner, mannichfaltiger
und farbenreicher ist das herrliche Südtirol, Mo bis jetzt noch wenig nord-
deutsche hinkommen. Zwar geht der Zug immer weiter südlich; schon ist der
Brenner von den Sommerfrischlern überstiegen; schon ist Gossensaß überfüllt
und das Pusterthal stark besucht; aber seltsamerweise ist das herrliche Eiscickthal
noch lange nicht nach Gebühr geschätzt, durch das doch eine der größten Ver¬
kehrsstraßen über die Alpen, die Brenncrbcihn, führt, die das Fortkommen nach
dem Norden und Süden gleich sehr erleichtert. Es möge daher dieses Thal den
Reiselustigen ganz besonders empfohlen sein, das auch einer der edelsten Söhne
des schönen Tiroler Landes, der treffliche Ignaz Zingerle in Innsbruck, in
seine" "Schildereien ans Tirol" (Innsbruck, 1877) vor andern schätzt und em¬
pfiehlt. Der glänzende Bischofssitz Brixen freilich und die bedeutende Handels¬
stadt Bozen sind, letzteres besonders als Wintcrknrvrt, weit bekannt und viel
besucht; aber das zwischen beiden liegende Klausen hat noch keineswegs die ge¬
bührende Würdigung gefunden. Aeußerlich hat es zwar nichts blendendes; wie
ein Veilchen zwischen zwei Rosen, liegt es zwischen Brixen und Bozen; aber
wer es einmal kennen gelernt hat, der wird es beiden Orten vorziehen. Die
Stadt an sich ist nicht'schön; sie besteht in der Hauptsache ans einer einzigen
langen, engen Straße; aber das treffliche Gasthaus des Herrn Kautioler, das
"La'abi," zieht trotz seiner bescheidnen Einrichtung jeden Gast, der einmal dort
einkehrt, wieder hin; es ist ein wirklich gastliches Haus, zu dem namentlich auch
die Münchner Maler immer wieder gern zurückkehren. Und abends trifft man
im Waltergarteu, der Herrn Kantiolcr ebenfalls gehört, unmittelbar an dem
reißenden Eisack, eine anregende Gesellschaft von Einheimischen und Fremden,
in der sich der norddeutsche bald zu Hause fühlt, wie an wenig Orten Tirols.
Besonders angenehm macht den Ort noch die gleichmäßige Temperatur. Wäh¬
rend Brixen und uoch mehr Bozen im Sommer staubig und geradezu uner¬
träglich heiß sind, ist Klausen durch seine Lage vor der Sonnenglut geschützt;
und wenn die Wärme mittags unangenehm zu werden anfängt, dann kommt
mit absoluter Sicherheit zwischen zwölf und ein Uhr vom Gardasee her die
Bora, welche die Wärme so temperirt, daß das Thermometer nicht so hoch
steigt wie in Mitteldeutschland, während man oft bis Mitternacht im Walter¬
garten am Eisack noch sechzehn bis siebzehn Grad Wärme hat.

Vor allem aber empfiehlt sich Klausen durch seine malerische Lage und
seine mannichfaltige Umgebung. Auf dem linken, ihm gegenüberliegenden Ufer
öffnet sich das wildromantische Villnösthal wenig oberhalb Klausen, das be¬
sonders sür Geologen von Interesse sein soll; von hier gelangt man am besten
nach Gufidaun, dein Sommerhitze des gastlichen Professors Zingerle, an dessen
Hanse nicht leicht ein Fremder vorübergeht; vou seinem Wohnzimmer aus sieht
er die Spitzen der Zillerthaler Alpen im Norden und die grotesken Formen
der Dolomiten im Osten. Ans der Hohe zwischen dem Villnös- und Grödner-
thal liegt das freundliche Laien oder Loben mit seinen Vogclmeiderhöfen auf
sonniger Halde, wo die Tiroler-- und wer möchte es ihnen verargen? -- die
Heimat Walters von der Vogclmcide gefunden zu haben glauben, dessen An¬
denken hier, und besonders in Klausen, aufs sorgfältigste gepflegt wird; weiter
hin das interessante Grödner Thal (dessen Bewohner eine eigentümliche Sprache
reden, das nur hier und in ein paar Nachbarstädten vorkommende "Ladinische,"
eine Schwestersprache des Romanischen im Engadin) mit dem durch seine Holz-


Grenzlwtoii III. 188S 11

nördlichen Seite, wo das Innthal, dus Zillerthal n. a. im Sommer vou Nord¬
deutschen bevölkert und oft genug überfüllt sind. Aber schöner, mannichfaltiger
und farbenreicher ist das herrliche Südtirol, Mo bis jetzt noch wenig nord-
deutsche hinkommen. Zwar geht der Zug immer weiter südlich; schon ist der
Brenner von den Sommerfrischlern überstiegen; schon ist Gossensaß überfüllt
und das Pusterthal stark besucht; aber seltsamerweise ist das herrliche Eiscickthal
noch lange nicht nach Gebühr geschätzt, durch das doch eine der größten Ver¬
kehrsstraßen über die Alpen, die Brenncrbcihn, führt, die das Fortkommen nach
dem Norden und Süden gleich sehr erleichtert. Es möge daher dieses Thal den
Reiselustigen ganz besonders empfohlen sein, das auch einer der edelsten Söhne
des schönen Tiroler Landes, der treffliche Ignaz Zingerle in Innsbruck, in
seine» „Schildereien ans Tirol" (Innsbruck, 1877) vor andern schätzt und em¬
pfiehlt. Der glänzende Bischofssitz Brixen freilich und die bedeutende Handels¬
stadt Bozen sind, letzteres besonders als Wintcrknrvrt, weit bekannt und viel
besucht; aber das zwischen beiden liegende Klausen hat noch keineswegs die ge¬
bührende Würdigung gefunden. Aeußerlich hat es zwar nichts blendendes; wie
ein Veilchen zwischen zwei Rosen, liegt es zwischen Brixen und Bozen; aber
wer es einmal kennen gelernt hat, der wird es beiden Orten vorziehen. Die
Stadt an sich ist nicht'schön; sie besteht in der Hauptsache ans einer einzigen
langen, engen Straße; aber das treffliche Gasthaus des Herrn Kautioler, das
„La'abi," zieht trotz seiner bescheidnen Einrichtung jeden Gast, der einmal dort
einkehrt, wieder hin; es ist ein wirklich gastliches Haus, zu dem namentlich auch
die Münchner Maler immer wieder gern zurückkehren. Und abends trifft man
im Waltergarteu, der Herrn Kantiolcr ebenfalls gehört, unmittelbar an dem
reißenden Eisack, eine anregende Gesellschaft von Einheimischen und Fremden,
in der sich der norddeutsche bald zu Hause fühlt, wie an wenig Orten Tirols.
Besonders angenehm macht den Ort noch die gleichmäßige Temperatur. Wäh¬
rend Brixen und uoch mehr Bozen im Sommer staubig und geradezu uner¬
träglich heiß sind, ist Klausen durch seine Lage vor der Sonnenglut geschützt;
und wenn die Wärme mittags unangenehm zu werden anfängt, dann kommt
mit absoluter Sicherheit zwischen zwölf und ein Uhr vom Gardasee her die
Bora, welche die Wärme so temperirt, daß das Thermometer nicht so hoch
steigt wie in Mitteldeutschland, während man oft bis Mitternacht im Walter¬
garten am Eisack noch sechzehn bis siebzehn Grad Wärme hat.

Vor allem aber empfiehlt sich Klausen durch seine malerische Lage und
seine mannichfaltige Umgebung. Auf dem linken, ihm gegenüberliegenden Ufer
öffnet sich das wildromantische Villnösthal wenig oberhalb Klausen, das be¬
sonders sür Geologen von Interesse sein soll; von hier gelangt man am besten
nach Gufidaun, dein Sommerhitze des gastlichen Professors Zingerle, an dessen
Hanse nicht leicht ein Fremder vorübergeht; vou seinem Wohnzimmer aus sieht
er die Spitzen der Zillerthaler Alpen im Norden und die grotesken Formen
der Dolomiten im Osten. Ans der Hohe zwischen dem Villnös- und Grödner-
thal liegt das freundliche Laien oder Loben mit seinen Vogclmeiderhöfen auf
sonniger Halde, wo die Tiroler— und wer möchte es ihnen verargen? — die
Heimat Walters von der Vogclmcide gefunden zu haben glauben, dessen An¬
denken hier, und besonders in Klausen, aufs sorgfältigste gepflegt wird; weiter
hin das interessante Grödner Thal (dessen Bewohner eine eigentümliche Sprache
reden, das nur hier und in ein paar Nachbarstädten vorkommende „Ladinische,"
eine Schwestersprache des Romanischen im Engadin) mit dem durch seine Holz-


Grenzlwtoii III. 188S 11
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[0089] nördlichen Seite, wo das Innthal, dus Zillerthal n. a. im Sommer vou Nord¬ deutschen bevölkert und oft genug überfüllt sind. Aber schöner, mannichfaltiger und farbenreicher ist das herrliche Südtirol, Mo bis jetzt noch wenig nord- deutsche hinkommen. Zwar geht der Zug immer weiter südlich; schon ist der Brenner von den Sommerfrischlern überstiegen; schon ist Gossensaß überfüllt und das Pusterthal stark besucht; aber seltsamerweise ist das herrliche Eiscickthal noch lange nicht nach Gebühr geschätzt, durch das doch eine der größten Ver¬ kehrsstraßen über die Alpen, die Brenncrbcihn, führt, die das Fortkommen nach dem Norden und Süden gleich sehr erleichtert. Es möge daher dieses Thal den Reiselustigen ganz besonders empfohlen sein, das auch einer der edelsten Söhne des schönen Tiroler Landes, der treffliche Ignaz Zingerle in Innsbruck, in seine» „Schildereien ans Tirol" (Innsbruck, 1877) vor andern schätzt und em¬ pfiehlt. Der glänzende Bischofssitz Brixen freilich und die bedeutende Handels¬ stadt Bozen sind, letzteres besonders als Wintcrknrvrt, weit bekannt und viel besucht; aber das zwischen beiden liegende Klausen hat noch keineswegs die ge¬ bührende Würdigung gefunden. Aeußerlich hat es zwar nichts blendendes; wie ein Veilchen zwischen zwei Rosen, liegt es zwischen Brixen und Bozen; aber wer es einmal kennen gelernt hat, der wird es beiden Orten vorziehen. Die Stadt an sich ist nicht'schön; sie besteht in der Hauptsache ans einer einzigen langen, engen Straße; aber das treffliche Gasthaus des Herrn Kautioler, das „La'abi," zieht trotz seiner bescheidnen Einrichtung jeden Gast, der einmal dort einkehrt, wieder hin; es ist ein wirklich gastliches Haus, zu dem namentlich auch die Münchner Maler immer wieder gern zurückkehren. Und abends trifft man im Waltergarteu, der Herrn Kantiolcr ebenfalls gehört, unmittelbar an dem reißenden Eisack, eine anregende Gesellschaft von Einheimischen und Fremden, in der sich der norddeutsche bald zu Hause fühlt, wie an wenig Orten Tirols. Besonders angenehm macht den Ort noch die gleichmäßige Temperatur. Wäh¬ rend Brixen und uoch mehr Bozen im Sommer staubig und geradezu uner¬ träglich heiß sind, ist Klausen durch seine Lage vor der Sonnenglut geschützt; und wenn die Wärme mittags unangenehm zu werden anfängt, dann kommt mit absoluter Sicherheit zwischen zwölf und ein Uhr vom Gardasee her die Bora, welche die Wärme so temperirt, daß das Thermometer nicht so hoch steigt wie in Mitteldeutschland, während man oft bis Mitternacht im Walter¬ garten am Eisack noch sechzehn bis siebzehn Grad Wärme hat. Vor allem aber empfiehlt sich Klausen durch seine malerische Lage und seine mannichfaltige Umgebung. Auf dem linken, ihm gegenüberliegenden Ufer öffnet sich das wildromantische Villnösthal wenig oberhalb Klausen, das be¬ sonders sür Geologen von Interesse sein soll; von hier gelangt man am besten nach Gufidaun, dein Sommerhitze des gastlichen Professors Zingerle, an dessen Hanse nicht leicht ein Fremder vorübergeht; vou seinem Wohnzimmer aus sieht er die Spitzen der Zillerthaler Alpen im Norden und die grotesken Formen der Dolomiten im Osten. Ans der Hohe zwischen dem Villnös- und Grödner- thal liegt das freundliche Laien oder Loben mit seinen Vogclmeiderhöfen auf sonniger Halde, wo die Tiroler— und wer möchte es ihnen verargen? — die Heimat Walters von der Vogclmcide gefunden zu haben glauben, dessen An¬ denken hier, und besonders in Klausen, aufs sorgfältigste gepflegt wird; weiter hin das interessante Grödner Thal (dessen Bewohner eine eigentümliche Sprache reden, das nur hier und in ein paar Nachbarstädten vorkommende „Ladinische," eine Schwestersprache des Romanischen im Engadin) mit dem durch seine Holz- Grenzlwtoii III. 188S 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/89>, abgerufen am 25.11.2024.