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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Dilettantismus und Berufsschriftstellertiu".

Die Untugenden der unberufenen Schreiber zu schildern, ist überflüssig, sie sind
heute so aufdringlich und erbärmlich geworden, daß jedermann, dem es darum
zu thun ist, sie längst kennt. Aber das muß gesagt werdeu, daß weder die
einen berufen sind, weil sie von Vcrnss wegen schriftstellern, noch die andern un¬
berufen, weil sie im zünftlerischen Sinne Dilettanten sind. Daß es nötig ist,
das in Deutschland besonders zu betonen, ist seltsam, da viele unsrer größten
Schriftsteller in diesem Sinne Dilettanten waren, erklärlich aber ist es, daß
man es gerade jetzt sagen muß, wo das deutsche Schriftstellertnm anfängt, sich
genossenschaftlich zusammenzuschließen. Gegen die Bildung von schriftstellerischen
Genossenschaftsverbünden zur Vertretung der Standesinteressen, zur Ausbildung
des literarischen Rechtes und zur gegenseitigen Hilfeleistung wird niemand etwas
einwenden; es wäre zu wünschen, daß diese Verbände, die sich freilich heute
trotz ihrer "allgemeinen" Namen zersplittern und bekämpfen, den Hoffnungen
ihrer Gründer entsprechend, wirklich segensreich wirkten; nur möge man sich
vor dem Irrtum hüten, daß die Mitgliedskarte eines Schriftstellerverbandes den
Besitzer zum Schriftsteller mache. Dies genossenschaftliche Streben.führt un¬
bewußt zu einer höchst seltsamen Begriffsverwirrung. Die Ziele der geschaffnen
Verbände sind zunächst rein praktische, zugleich aber wollen jene das Gefühl der
Zusammengehörigkeit stärken, das die Unterschiede zwischen "guten und weniger
guten, berühmten und unberühmteu Schriftstellern" verwischen und alle unter¬
einander gleichmachen soll. Für die bürgerlichen und berufsmäßigen Bestre¬
bungen der Schriftsteller und ihrer Vereinigungen mag diese brüderliche An¬
erkennung recht gut sein, aber die Gefahr liegt nahe, das allgemeine Verbands¬
gefühl aus denn bürgerlichen in das künstlerische Leben mit hinüberzunehmen.
Die Berufsgenossenschaft wird zur literarischen "Kamaraderie." Die "Schranken,"
welche die Begabung und die künstlerische Bildung zwischen den einzelnen Be¬
rufsgenossen gesetzt hat, verschwinden langsam im gutmütigen Gefühl der all¬
gemeinen Kollegialität, die selbst leben will und leben läßt. Der strenge künst¬
lerische Begriff des Schriftstellertums wird durch den gefällig bürgerlichen der
"Literatcutarriere" verdrängt. Das ist ein bedenkliches Zeichen. Die Kürschnersche
Idee des allgemeinen Schriftstellertums, die dasselbe nur von seiner berufsmäßig
rechtlichen und bürgerlichen Seite betrachtet und seine" künstlerischen Inhalt ge¬
flissentlich beiseite setzt, ist geistig so leer und liegt von den idealen Bildungs¬
zielen der Literatur so weit ab, daß dem deutschen Schrifttum ernstliche Gefahren
drohen würden, wenn ihr praktischer Geschäftssinn noch mehr als bisher den
ästhetischen Kunstsinn überwuchern sollte. Diese Bestrebungen führen schuurstmcks
zum Handwerk und zur Zunft. Vielleicht zum goldnen Boden des Handwerks,
von dem das Sprüchwort redet, ganz sicher aber zum unkünstlerischen Banausen-
tum und zur neidischen Zünftelei.

Wer die Literatur als Kunst würdigt, weiß garnichts von berufsmäßigen
Literaten und unberufsmäßigen Schreibern, er kennt nur gute und schleckte


Dilettantismus und Berufsschriftstellertiu».

Die Untugenden der unberufenen Schreiber zu schildern, ist überflüssig, sie sind
heute so aufdringlich und erbärmlich geworden, daß jedermann, dem es darum
zu thun ist, sie längst kennt. Aber das muß gesagt werdeu, daß weder die
einen berufen sind, weil sie von Vcrnss wegen schriftstellern, noch die andern un¬
berufen, weil sie im zünftlerischen Sinne Dilettanten sind. Daß es nötig ist,
das in Deutschland besonders zu betonen, ist seltsam, da viele unsrer größten
Schriftsteller in diesem Sinne Dilettanten waren, erklärlich aber ist es, daß
man es gerade jetzt sagen muß, wo das deutsche Schriftstellertnm anfängt, sich
genossenschaftlich zusammenzuschließen. Gegen die Bildung von schriftstellerischen
Genossenschaftsverbünden zur Vertretung der Standesinteressen, zur Ausbildung
des literarischen Rechtes und zur gegenseitigen Hilfeleistung wird niemand etwas
einwenden; es wäre zu wünschen, daß diese Verbände, die sich freilich heute
trotz ihrer „allgemeinen" Namen zersplittern und bekämpfen, den Hoffnungen
ihrer Gründer entsprechend, wirklich segensreich wirkten; nur möge man sich
vor dem Irrtum hüten, daß die Mitgliedskarte eines Schriftstellerverbandes den
Besitzer zum Schriftsteller mache. Dies genossenschaftliche Streben.führt un¬
bewußt zu einer höchst seltsamen Begriffsverwirrung. Die Ziele der geschaffnen
Verbände sind zunächst rein praktische, zugleich aber wollen jene das Gefühl der
Zusammengehörigkeit stärken, das die Unterschiede zwischen „guten und weniger
guten, berühmten und unberühmteu Schriftstellern" verwischen und alle unter¬
einander gleichmachen soll. Für die bürgerlichen und berufsmäßigen Bestre¬
bungen der Schriftsteller und ihrer Vereinigungen mag diese brüderliche An¬
erkennung recht gut sein, aber die Gefahr liegt nahe, das allgemeine Verbands¬
gefühl aus denn bürgerlichen in das künstlerische Leben mit hinüberzunehmen.
Die Berufsgenossenschaft wird zur literarischen „Kamaraderie." Die „Schranken,"
welche die Begabung und die künstlerische Bildung zwischen den einzelnen Be¬
rufsgenossen gesetzt hat, verschwinden langsam im gutmütigen Gefühl der all¬
gemeinen Kollegialität, die selbst leben will und leben läßt. Der strenge künst¬
lerische Begriff des Schriftstellertums wird durch den gefällig bürgerlichen der
„Literatcutarriere" verdrängt. Das ist ein bedenkliches Zeichen. Die Kürschnersche
Idee des allgemeinen Schriftstellertums, die dasselbe nur von seiner berufsmäßig
rechtlichen und bürgerlichen Seite betrachtet und seine« künstlerischen Inhalt ge¬
flissentlich beiseite setzt, ist geistig so leer und liegt von den idealen Bildungs¬
zielen der Literatur so weit ab, daß dem deutschen Schrifttum ernstliche Gefahren
drohen würden, wenn ihr praktischer Geschäftssinn noch mehr als bisher den
ästhetischen Kunstsinn überwuchern sollte. Diese Bestrebungen führen schuurstmcks
zum Handwerk und zur Zunft. Vielleicht zum goldnen Boden des Handwerks,
von dem das Sprüchwort redet, ganz sicher aber zum unkünstlerischen Banausen-
tum und zur neidischen Zünftelei.

Wer die Literatur als Kunst würdigt, weiß garnichts von berufsmäßigen
Literaten und unberufsmäßigen Schreibern, er kennt nur gute und schleckte


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[0085] Dilettantismus und Berufsschriftstellertiu». Die Untugenden der unberufenen Schreiber zu schildern, ist überflüssig, sie sind heute so aufdringlich und erbärmlich geworden, daß jedermann, dem es darum zu thun ist, sie längst kennt. Aber das muß gesagt werdeu, daß weder die einen berufen sind, weil sie von Vcrnss wegen schriftstellern, noch die andern un¬ berufen, weil sie im zünftlerischen Sinne Dilettanten sind. Daß es nötig ist, das in Deutschland besonders zu betonen, ist seltsam, da viele unsrer größten Schriftsteller in diesem Sinne Dilettanten waren, erklärlich aber ist es, daß man es gerade jetzt sagen muß, wo das deutsche Schriftstellertnm anfängt, sich genossenschaftlich zusammenzuschließen. Gegen die Bildung von schriftstellerischen Genossenschaftsverbünden zur Vertretung der Standesinteressen, zur Ausbildung des literarischen Rechtes und zur gegenseitigen Hilfeleistung wird niemand etwas einwenden; es wäre zu wünschen, daß diese Verbände, die sich freilich heute trotz ihrer „allgemeinen" Namen zersplittern und bekämpfen, den Hoffnungen ihrer Gründer entsprechend, wirklich segensreich wirkten; nur möge man sich vor dem Irrtum hüten, daß die Mitgliedskarte eines Schriftstellerverbandes den Besitzer zum Schriftsteller mache. Dies genossenschaftliche Streben.führt un¬ bewußt zu einer höchst seltsamen Begriffsverwirrung. Die Ziele der geschaffnen Verbände sind zunächst rein praktische, zugleich aber wollen jene das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken, das die Unterschiede zwischen „guten und weniger guten, berühmten und unberühmteu Schriftstellern" verwischen und alle unter¬ einander gleichmachen soll. Für die bürgerlichen und berufsmäßigen Bestre¬ bungen der Schriftsteller und ihrer Vereinigungen mag diese brüderliche An¬ erkennung recht gut sein, aber die Gefahr liegt nahe, das allgemeine Verbands¬ gefühl aus denn bürgerlichen in das künstlerische Leben mit hinüberzunehmen. Die Berufsgenossenschaft wird zur literarischen „Kamaraderie." Die „Schranken," welche die Begabung und die künstlerische Bildung zwischen den einzelnen Be¬ rufsgenossen gesetzt hat, verschwinden langsam im gutmütigen Gefühl der all¬ gemeinen Kollegialität, die selbst leben will und leben läßt. Der strenge künst¬ lerische Begriff des Schriftstellertums wird durch den gefällig bürgerlichen der „Literatcutarriere" verdrängt. Das ist ein bedenkliches Zeichen. Die Kürschnersche Idee des allgemeinen Schriftstellertums, die dasselbe nur von seiner berufsmäßig rechtlichen und bürgerlichen Seite betrachtet und seine« künstlerischen Inhalt ge¬ flissentlich beiseite setzt, ist geistig so leer und liegt von den idealen Bildungs¬ zielen der Literatur so weit ab, daß dem deutschen Schrifttum ernstliche Gefahren drohen würden, wenn ihr praktischer Geschäftssinn noch mehr als bisher den ästhetischen Kunstsinn überwuchern sollte. Diese Bestrebungen führen schuurstmcks zum Handwerk und zur Zunft. Vielleicht zum goldnen Boden des Handwerks, von dem das Sprüchwort redet, ganz sicher aber zum unkünstlerischen Banausen- tum und zur neidischen Zünftelei. Wer die Literatur als Kunst würdigt, weiß garnichts von berufsmäßigen Literaten und unberufsmäßigen Schreibern, er kennt nur gute und schleckte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/85>, abgerufen am 25.11.2024.