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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Dilettantismus und Borufsschriftstellcrtui".

Es bedürfte nicht eines "äußern Anstoßes," um "die Köpfe zum Nach¬
denken darüber anzuregen," daß der überhandnehmende Dilettantismus ein Krebs¬
schaden der heutigen Literatur sei. Darüber sind die Leute, die überhaupt deuten
können, ohne Nachdenken längst einig. Überraschend neu aber ist allen, die sich
aus Liebhaberei mit der Literatur beschäftigen, die Entdeckung, daß Dilettan¬
tismus und Berufsschriftstellertum Gegensätze bilden, die sich einander ausschließen.
Offenbar versteht die erwähnte Preisfrage unter Dilettanten Leute, die, wie der
Name besagt, aus Liebhaberei nebenbei schreiben, mit unreifen Erzeugnissen den
Markt überschwemmen und dadurch die Interessen der Berufsschriftsteller, d. h.
der Leute, die aus dem Schreiben ein Geschäft machen und auf den Ertrag
ihrer Feder angewiesen sind, empfindlich schädigen. Die geschädigte" Berufs-
schriftfteller haben also ein Interesse und aus Gründe" der geschäftlichen Billig¬
keit ein Recht, die unzüuftlcrischen Dilettanten, die ihnen ins Handwerk pfuschen,
des Landes zu verweisen. Die Frage ist nur, woher die Macht und die Mittel
dazu nehmen. Das vereinte Nachdenken der Berufsgenossen über die brennende
Preisfrage soll die Wege dazu weisen. Denn Wohl zu beachten, in praktische
Vorschläge soll die Antwort ausmünden. Eine sonderbare Forderung, die auf
noch sonderbareren Voraussetzungen ruht.

Der Dilettantismus läuft neben allen Künsten thätig teilnehmend her, da,
wie Goethe sagt, der Mensch nichts erfährt und genießt, ohne sogleich produktiv
zu werden. Die dilettantischen Versuche sind im Wesen des Menschen not¬
wendig begründet und sind lobenswert, da sie Kunstsinn verbreiten und dem
allgemeinen Verstäuduis der hohen Kunstwerke die Wege bereiten. Der allge¬
meine kunstverständige Dilettantismus ist der breite, flach hinlaufende Gebirgs¬
rücken, aus dem als überragende Gipfel die Kunstwerke aufsteigen. Gemein¬
schädlich wird er erst dann, wenn sich die Grenzen zwischen seinen Erzeugnissen
und den Kunstwerken zu verwischen anfangen, wenn die große Menge der Kunst¬
liebhaber dilettantische Werkchen für künstlerische Schöpfungen hält. In allen
Künsten, die zur geläufigen Ausübung eine nach überlieferten Gesetzen mühsam
zu erlernende Fertigkeit voraussetzen, liegt diese Gefahr fern: mit dem technischen
Handwerk, das der Künstler als Meister beherrscht, wird der Dilettant nie fertig.
Darum brauchen die Baumeister, die Bildhauer, die Maler, ja sogar die Kom¬
ponisten über komponirende, malende, meißelnde und bauende Dilettanten nicht
sehr zu klagen. Gar sehr aber klagen über dilettantische Pfuscher die Dichter
und die Schriftsteller. Ihre Technik ist scheinbar so mühelos zu bewältigen, die
Gesetze ihres Handwerks sind so allgemein und unbestimmt und das Material
ihrer Kunstschöpfungen ist aller Welt so vertraut, daß zu literarischem Schaffen
sich jedermann berufen fühlt. Sprechen muß jeder, und schreiben kann jeder,
warum sollte denn nicht jeder ohne weitere Anleitung schreibend sprachliche
Klmstwerkc gestalte" können? So drängen sich Berufene und Unberufene in
die Literatur und schichten Bücher und Schriften zu unübersehbaren Haufen.


Dilettantismus und Borufsschriftstellcrtui».

Es bedürfte nicht eines „äußern Anstoßes," um „die Köpfe zum Nach¬
denken darüber anzuregen," daß der überhandnehmende Dilettantismus ein Krebs¬
schaden der heutigen Literatur sei. Darüber sind die Leute, die überhaupt deuten
können, ohne Nachdenken längst einig. Überraschend neu aber ist allen, die sich
aus Liebhaberei mit der Literatur beschäftigen, die Entdeckung, daß Dilettan¬
tismus und Berufsschriftstellertum Gegensätze bilden, die sich einander ausschließen.
Offenbar versteht die erwähnte Preisfrage unter Dilettanten Leute, die, wie der
Name besagt, aus Liebhaberei nebenbei schreiben, mit unreifen Erzeugnissen den
Markt überschwemmen und dadurch die Interessen der Berufsschriftsteller, d. h.
der Leute, die aus dem Schreiben ein Geschäft machen und auf den Ertrag
ihrer Feder angewiesen sind, empfindlich schädigen. Die geschädigte» Berufs-
schriftfteller haben also ein Interesse und aus Gründe» der geschäftlichen Billig¬
keit ein Recht, die unzüuftlcrischen Dilettanten, die ihnen ins Handwerk pfuschen,
des Landes zu verweisen. Die Frage ist nur, woher die Macht und die Mittel
dazu nehmen. Das vereinte Nachdenken der Berufsgenossen über die brennende
Preisfrage soll die Wege dazu weisen. Denn Wohl zu beachten, in praktische
Vorschläge soll die Antwort ausmünden. Eine sonderbare Forderung, die auf
noch sonderbareren Voraussetzungen ruht.

Der Dilettantismus läuft neben allen Künsten thätig teilnehmend her, da,
wie Goethe sagt, der Mensch nichts erfährt und genießt, ohne sogleich produktiv
zu werden. Die dilettantischen Versuche sind im Wesen des Menschen not¬
wendig begründet und sind lobenswert, da sie Kunstsinn verbreiten und dem
allgemeinen Verstäuduis der hohen Kunstwerke die Wege bereiten. Der allge¬
meine kunstverständige Dilettantismus ist der breite, flach hinlaufende Gebirgs¬
rücken, aus dem als überragende Gipfel die Kunstwerke aufsteigen. Gemein¬
schädlich wird er erst dann, wenn sich die Grenzen zwischen seinen Erzeugnissen
und den Kunstwerken zu verwischen anfangen, wenn die große Menge der Kunst¬
liebhaber dilettantische Werkchen für künstlerische Schöpfungen hält. In allen
Künsten, die zur geläufigen Ausübung eine nach überlieferten Gesetzen mühsam
zu erlernende Fertigkeit voraussetzen, liegt diese Gefahr fern: mit dem technischen
Handwerk, das der Künstler als Meister beherrscht, wird der Dilettant nie fertig.
Darum brauchen die Baumeister, die Bildhauer, die Maler, ja sogar die Kom¬
ponisten über komponirende, malende, meißelnde und bauende Dilettanten nicht
sehr zu klagen. Gar sehr aber klagen über dilettantische Pfuscher die Dichter
und die Schriftsteller. Ihre Technik ist scheinbar so mühelos zu bewältigen, die
Gesetze ihres Handwerks sind so allgemein und unbestimmt und das Material
ihrer Kunstschöpfungen ist aller Welt so vertraut, daß zu literarischem Schaffen
sich jedermann berufen fühlt. Sprechen muß jeder, und schreiben kann jeder,
warum sollte denn nicht jeder ohne weitere Anleitung schreibend sprachliche
Klmstwerkc gestalte» können? So drängen sich Berufene und Unberufene in
die Literatur und schichten Bücher und Schriften zu unübersehbaren Haufen.


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[0084] Dilettantismus und Borufsschriftstellcrtui». Es bedürfte nicht eines „äußern Anstoßes," um „die Köpfe zum Nach¬ denken darüber anzuregen," daß der überhandnehmende Dilettantismus ein Krebs¬ schaden der heutigen Literatur sei. Darüber sind die Leute, die überhaupt deuten können, ohne Nachdenken längst einig. Überraschend neu aber ist allen, die sich aus Liebhaberei mit der Literatur beschäftigen, die Entdeckung, daß Dilettan¬ tismus und Berufsschriftstellertum Gegensätze bilden, die sich einander ausschließen. Offenbar versteht die erwähnte Preisfrage unter Dilettanten Leute, die, wie der Name besagt, aus Liebhaberei nebenbei schreiben, mit unreifen Erzeugnissen den Markt überschwemmen und dadurch die Interessen der Berufsschriftsteller, d. h. der Leute, die aus dem Schreiben ein Geschäft machen und auf den Ertrag ihrer Feder angewiesen sind, empfindlich schädigen. Die geschädigte» Berufs- schriftfteller haben also ein Interesse und aus Gründe» der geschäftlichen Billig¬ keit ein Recht, die unzüuftlcrischen Dilettanten, die ihnen ins Handwerk pfuschen, des Landes zu verweisen. Die Frage ist nur, woher die Macht und die Mittel dazu nehmen. Das vereinte Nachdenken der Berufsgenossen über die brennende Preisfrage soll die Wege dazu weisen. Denn Wohl zu beachten, in praktische Vorschläge soll die Antwort ausmünden. Eine sonderbare Forderung, die auf noch sonderbareren Voraussetzungen ruht. Der Dilettantismus läuft neben allen Künsten thätig teilnehmend her, da, wie Goethe sagt, der Mensch nichts erfährt und genießt, ohne sogleich produktiv zu werden. Die dilettantischen Versuche sind im Wesen des Menschen not¬ wendig begründet und sind lobenswert, da sie Kunstsinn verbreiten und dem allgemeinen Verstäuduis der hohen Kunstwerke die Wege bereiten. Der allge¬ meine kunstverständige Dilettantismus ist der breite, flach hinlaufende Gebirgs¬ rücken, aus dem als überragende Gipfel die Kunstwerke aufsteigen. Gemein¬ schädlich wird er erst dann, wenn sich die Grenzen zwischen seinen Erzeugnissen und den Kunstwerken zu verwischen anfangen, wenn die große Menge der Kunst¬ liebhaber dilettantische Werkchen für künstlerische Schöpfungen hält. In allen Künsten, die zur geläufigen Ausübung eine nach überlieferten Gesetzen mühsam zu erlernende Fertigkeit voraussetzen, liegt diese Gefahr fern: mit dem technischen Handwerk, das der Künstler als Meister beherrscht, wird der Dilettant nie fertig. Darum brauchen die Baumeister, die Bildhauer, die Maler, ja sogar die Kom¬ ponisten über komponirende, malende, meißelnde und bauende Dilettanten nicht sehr zu klagen. Gar sehr aber klagen über dilettantische Pfuscher die Dichter und die Schriftsteller. Ihre Technik ist scheinbar so mühelos zu bewältigen, die Gesetze ihres Handwerks sind so allgemein und unbestimmt und das Material ihrer Kunstschöpfungen ist aller Welt so vertraut, daß zu literarischem Schaffen sich jedermann berufen fühlt. Sprechen muß jeder, und schreiben kann jeder, warum sollte denn nicht jeder ohne weitere Anleitung schreibend sprachliche Klmstwerkc gestalte» können? So drängen sich Berufene und Unberufene in die Literatur und schichten Bücher und Schriften zu unübersehbaren Haufen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/84>, abgerufen am 01.09.2024.