Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.Gin Grundproblem des Rnnstgewerbes. die bildlichen Formen gleichfalls fügen; in ihnen klingt also dasselbe Formgesetz In der geschichtlichen Entwicklung folgt natürlich das Kunsthandwerk der Grmzbvtm III. 188S. 10
Gin Grundproblem des Rnnstgewerbes. die bildlichen Formen gleichfalls fügen; in ihnen klingt also dasselbe Formgesetz In der geschichtlichen Entwicklung folgt natürlich das Kunsthandwerk der Grmzbvtm III. 188S. 10
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196181"/> <fw type="header" place="top"> Gin Grundproblem des Rnnstgewerbes.</fw><lb/> <p xml:id="ID_246" prev="#ID_245"> die bildlichen Formen gleichfalls fügen; in ihnen klingt also dasselbe Formgesetz<lb/> wieder, welchem die praktische Umgestaltung des Stoffes ihre Bildung verdankt,<lb/> soweit sie ästhetische Wirkung erzielen will. Sowie der Realismus eindringt,<lb/> entsteht ein Widerstreit zwischen dem linearen und dem bildlichen Teile der Ge-<lb/> samtgestaltuug, der zu schreiender Dissonanz wird, sobald die naturalistische Form<lb/> sich herandrängt. Das stilisirende Kapitäl, wie es die altgrichischen, die<lb/> streugromanischen und frühgothischen Formen zeigen, weist jene Harmonie deutlich<lb/> auf; das spätromanische Vlattkapitäl, das gothische in seiner Blüte zeigt den<lb/> zum Naturalismus heranwachsenden und herangewachsenen Realismus; in der<lb/> späten Gothik, im Rokoko ist der Naturalismus zum entschiedensten Durchbruch<lb/> gekommen, wenn sich dort das Astwerk bildet und hier z, B. die Balkenträger<lb/> zum Ausdruck momentaner Seelenstimmung gelangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_247" next="#ID_248"> In der geschichtlichen Entwicklung folgt natürlich das Kunsthandwerk der<lb/> von der Kunst überhaupt eingeschlagenen Richtung. In einer Zeit, welche außer¬<lb/> halb einer sich naturgemäß vollziehenden, die jedesmalige Gegenwart ganz und<lb/> im wesentlichen gleichmäßig ergreifenden Entwicklung steht, welche tastend und<lb/> hilfsbedürftig bald hierhin, bald dorthin greift, um festen Boden zu finden, ist<lb/> es jedoch berechtigt und notwendig, den sichern Ausgangspunkt wissenschaftlich<lb/> festzustellen. Das Resultat ist dies, daß uur die stilisirende Behandlung der<lb/> bildlichen Formen dem Charakter der kunstgewerblichen Schöpfung entsprechen.<lb/> Auf Schulen sollte daher diese Behandlung wie die feststehende grammatische<lb/> Regel gelehrt werden; nur sie gestattet es, dem wichtigsten Gesichtspunkte die<lb/> herrschende Bedeutung zu verleihen, die er verdient, dem Einführen in die Cha¬<lb/> rakteristik des Stoffes; uur sie gestattet es aber auch, die dienende symbolische<lb/> Bedeutung der bildlichen Formen auf Grund der richtig erkannten, dem be¬<lb/> sondern Stoffe innewohnenden Kräfte in den Dienst eben dieser Kräfte zu stellen<lb/> und so das richtige Verhältnis zwischen beiden herzustellen. Von diesem sichern<lb/> Boden aus mag dann das Genie seine Flüge unternehmen: auch bei dem kühnsten<lb/> wird es des rechten Leitsterns nicht entbehren. Das nachschaffeude Talent aber<lb/> wird durch die daneben hergehende historische Betrachtung nicht zu verkehrter<lb/> Nachahmung, nicht zu gedankenloser Vermischung der Formen, nicht zu einer<lb/> mit der konstruktiven Kraft des Stoffes im Widerspruch stehenden Formenbil-<lb/> dung gelangen. Durch derartige Schöpfungen kann auch das Publikum all¬<lb/> mählich wieder ein Verständnis für die Bedeutung des Stoffes sowie der Form<lb/> im Kunstgewerbe und ihrer Beziehung zueinander gewinnen. Damit fängt aber<lb/> sein Urteil an, in gutem Sinne ebenso maßgebend für die Produktion zu werden,<lb/> wie es dies jetzt meist noch in schlechtem Sinne ist. Vielleicht läßt sich dann<lb/> auch die größte Gefahr, mit welcher die moderne Zeit das Kunsthandwerk be¬<lb/> droht, leichter abwenden, als es ohne solch gebildeteres Urteil der Fall sein<lb/> möchte. Diese größte Gefahr aber besteht in der durch die Maschine mehr als<lb/> jemals früher geförderten und von dem Publikum aus Billigkeitsrücksichten ge-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbvtm III. 188S. 10</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
Gin Grundproblem des Rnnstgewerbes.
die bildlichen Formen gleichfalls fügen; in ihnen klingt also dasselbe Formgesetz
wieder, welchem die praktische Umgestaltung des Stoffes ihre Bildung verdankt,
soweit sie ästhetische Wirkung erzielen will. Sowie der Realismus eindringt,
entsteht ein Widerstreit zwischen dem linearen und dem bildlichen Teile der Ge-
samtgestaltuug, der zu schreiender Dissonanz wird, sobald die naturalistische Form
sich herandrängt. Das stilisirende Kapitäl, wie es die altgrichischen, die
streugromanischen und frühgothischen Formen zeigen, weist jene Harmonie deutlich
auf; das spätromanische Vlattkapitäl, das gothische in seiner Blüte zeigt den
zum Naturalismus heranwachsenden und herangewachsenen Realismus; in der
späten Gothik, im Rokoko ist der Naturalismus zum entschiedensten Durchbruch
gekommen, wenn sich dort das Astwerk bildet und hier z, B. die Balkenträger
zum Ausdruck momentaner Seelenstimmung gelangen.
In der geschichtlichen Entwicklung folgt natürlich das Kunsthandwerk der
von der Kunst überhaupt eingeschlagenen Richtung. In einer Zeit, welche außer¬
halb einer sich naturgemäß vollziehenden, die jedesmalige Gegenwart ganz und
im wesentlichen gleichmäßig ergreifenden Entwicklung steht, welche tastend und
hilfsbedürftig bald hierhin, bald dorthin greift, um festen Boden zu finden, ist
es jedoch berechtigt und notwendig, den sichern Ausgangspunkt wissenschaftlich
festzustellen. Das Resultat ist dies, daß uur die stilisirende Behandlung der
bildlichen Formen dem Charakter der kunstgewerblichen Schöpfung entsprechen.
Auf Schulen sollte daher diese Behandlung wie die feststehende grammatische
Regel gelehrt werden; nur sie gestattet es, dem wichtigsten Gesichtspunkte die
herrschende Bedeutung zu verleihen, die er verdient, dem Einführen in die Cha¬
rakteristik des Stoffes; uur sie gestattet es aber auch, die dienende symbolische
Bedeutung der bildlichen Formen auf Grund der richtig erkannten, dem be¬
sondern Stoffe innewohnenden Kräfte in den Dienst eben dieser Kräfte zu stellen
und so das richtige Verhältnis zwischen beiden herzustellen. Von diesem sichern
Boden aus mag dann das Genie seine Flüge unternehmen: auch bei dem kühnsten
wird es des rechten Leitsterns nicht entbehren. Das nachschaffeude Talent aber
wird durch die daneben hergehende historische Betrachtung nicht zu verkehrter
Nachahmung, nicht zu gedankenloser Vermischung der Formen, nicht zu einer
mit der konstruktiven Kraft des Stoffes im Widerspruch stehenden Formenbil-
dung gelangen. Durch derartige Schöpfungen kann auch das Publikum all¬
mählich wieder ein Verständnis für die Bedeutung des Stoffes sowie der Form
im Kunstgewerbe und ihrer Beziehung zueinander gewinnen. Damit fängt aber
sein Urteil an, in gutem Sinne ebenso maßgebend für die Produktion zu werden,
wie es dies jetzt meist noch in schlechtem Sinne ist. Vielleicht läßt sich dann
auch die größte Gefahr, mit welcher die moderne Zeit das Kunsthandwerk be¬
droht, leichter abwenden, als es ohne solch gebildeteres Urteil der Fall sein
möchte. Diese größte Gefahr aber besteht in der durch die Maschine mehr als
jemals früher geförderten und von dem Publikum aus Billigkeitsrücksichten ge-
Grmzbvtm III. 188S. 10
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